Sonne – Kritik

Wegen ihrer Neuinterpretation des R.E.M-Songs „Losing My Religion“ werden drei migrantische Wienerinnen zum aufgebauschten Politikum. Kurdwin Ayubs Sonne ist ein lebendiger, immer (geistes-)gegenwärtiger Coming-of-Age-Film.

Für sich im Jugendzimmer mit Kopftuch, für das Ehepaar auf einer Hochzeit, für Österreich in einer Talkshow: Nur ein paar Schnitte braucht Kurdwin Ayubs Sonne, um den viralen Erfolg einer aus jugendlichem Jux gemachten Neuinterpretation des R.E.M-Songs „Losing My Religion“ zu erzählen. Nicht die so oft beschworenen, in die Höhe schießenden Klick- und Viewerzahlen sind es, die den raschen Aufstieg von Yesmin (Melina Benli), Nati (Maya Wopienka) und Bella (Law Wollner) erzählen, es sind die hastigen Medienbilder selbst, die die drei Maturantinnen unter sich weiterreichen. Und dann sitzen sie da in der Talkshow nicht mehr als junge migrantische Wienerinnen, sondern als aufgebauschtes Politikum. Es reizt zumindest Nati und Bella, sich als inspirational für all die unterdrückten Muslimas da draußen zu geben, während Yesmin, die als einzige auch wirklich ein Kopftuch trägt, sich ihrer eigenen Rolle in dieser Frage noch nicht ganz sicher ist.

Kurdwin Ayubs Sonne ist ein lebendiger, immer (geistes-)gegenwärtiger Coming-of-Age-Film, in dem die medialen Ansichten viel zu hastig etwas festschreiben, was noch gar nicht feststeht. Auch wenn die Frage nach der individuellen Identität innerhalb der muslimischen Community Wiens zentral ist, noch zentraler ist das Dilemma der hochtourigen Bilderwelt der Post-Millenials: Die Jugend muss ausgedrückt werden, das Wesen muss erscheinen. Aber der Schein ist nicht das Wesen, schon gar nicht, wenn alles auf die als die unendliche Bilderwelt von social media beschränkt ist.

So entwirft Sonne eine Art Stockholm-Syndrom der Bilder: Ent- und doch verführt, eingesperrt im engen Hochkant-Bildformat und gefühlt doch ganz frei. Abbilden, abgebildet werden, sich abbilden, abgebildet werden wollen und an all dem verzweifeln. Wie schön, dass man sich in diesem Film nicht einfach von der jugendlichen Energie verzaubern lassen muss, weil sie gegen die ach so eingerosteten Traditionen ankämpfen würde. Natürlich ist der ganze Energieüberschuss beglückend, aber eben auch ein bisschen anstrengend. Und so ist die Welt der aufgedrehten Performances in Sonne von einer ewigen Melancholie durchzogen. Weil das Anhäufen von flüchtigen Ansichten niemals eine vollständige Identität ergibt, sondern nur ein Sich-Verkennen bis zum Erbrechen.

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