Sole Survivor – Kritik
VoD: Final Destination, oder: Was muss man vom Leben wollen? In Thom Eberhardts Sole Survivor wird die einzige Überlebende eines Flugzeugabsturzes von Untoten heimgesucht, die sie an ihre verschwendete Zeit gemahnen. Ein Weinachtshorrorfilm mit wenig fröhlichem Beisammensein.

So ganz sicher ist man in Sole Survivor (1983) nicht, ob man das Laub nun golden finden soll oder doch eher vergilbt, den Sonnenschein echt oder fahl, die Nacht verheißungsvoll oder beunruhigend. In jedem Fall hat der Winter in Südkalifornien mehr mit unserem Herbst zu tun. Das dortige Licht benutzt Thom Eberhardts Debütfilm; hier gehört das Grauen nicht nur der Dunkelheit, sondern gibt, vielleicht noch furchterregender, selbst bei hellem Tage nicht bei. Schon allein deshalb ist Sole Survivor kein klassischer Weihnachts(horror)film. Und obwohl im Bild vereinzelt geschmückte Tannenbäume und verkleidete Nikoläuse erscheinen, wird Weihnachten oder eine damit verbundene Freude im Dialog kaum benannt. Große Ausnahme und Umkehrung: Nachdem der Körper einer Toten aus dem Leichenschauhaus verschwand, bemerkt einer der ratlosen Ärzte, dass der Verlust für die trauernde Familie über die Feiertage doch schon ohnehin schwer genug sein muss. Weihnachten in Sole Survivor hat also herzlich wenig zu tun mit fröhlicher Besinnung und Beisammensein, der Film verweist eher auf ein Vakuum und lässt die Festzeit so weit im Hintergrund mitlaufen, bis man nur noch mitkriegt, was davon im Vordergrund fehlt.
Reklamespot für Desaster

Auch im Leben der Werbefilmmacherin Denise Watson (Anita Skinner) gibt es Leerstellen. Eine frühe Sequenz mit ihr kommt daher wie ein entrückter Reklamespot für Desaster, mit Denise als Protagonistin: wie ein ungelenker, etwas störrischer Dummy thront sie auf einem abgelösten Flugzeugsitz, zu ihren Füßen die Überreste der abgestürzten Maschine und zerfetzten Leiber der Passagiere, wie Props am dampfenden Boden verteilt. Die apokalyptische Vision hat Karla Davis (Caren Larkey), eine alkoholkranke Kassandra, deren Glanzzeit als Schauspielerin lange vorbei ist, und sie wird schnell Wirklichkeit, mit Untoten als Bonus, die Denise fortan überall auflauern. Karla ist eine von mehreren Figuren, die Denise umkreisen, als ein beständiges Echo der Möglichkeiten, wie es anders sein könnte, was fehlt und was Fehlentwurf ist. Zwar bändelt Denise bald mit Dr. Richardson (Kurt Johnson) an, ist aber meist allein in ihrem geerbten, viel zu großen Haus mit Pool; nur eine jüngere Nachbarin als Freundin, die ihr ebenfalls vor Augen führt, was sie nicht will – Strip-Poker-Partys und Sex mit dem ehemaligen Zeitungsjungen.

Egal, Denise tritt lange mit dem verbalen Übermut einer Screwball-Heldin auf. Anita Skinner spielte sonst nur noch in Claudia Weills New-York-Film Girlfriends (1978) mit, der weithin als Klassiker des Feminismus der zweiten Welle gilt. Dort erlag ihre Figur beinahe einem persönlichen Bankrott, einer Art geistigem Dahinscheiden, das Ergebnis ganz selbstgewählter Weichenstellungen. Sole Survivor ist da als Genrefilm freilich fatalistischer. Sobald man dem sehr echten Tod begegnet ist oder ihm gar aus den Fängen glitt, bleibt er allgegenwärtig und vor allem unerbittlich, wie später auch das Final-Destination-Franchise wusste. Daneben fragt Sole Survivor, womit die meisten Menschen ihr Leben so begehen, während die Uhr über ihnen tickt. Vielleicht ist es das, woran die Stimmen aus dem Jenseits erinnern, die sich zunehmend wie Störungen in Denise’ Kopf und auf die Tonspur bohren und dort in einem elektronischen Flirren aufgehen, vielleicht gemahnen die leblosen alten oder versehrten Körper, die immer wieder aus dem Nichts auftauchen, an verschwendete Zeit, an die Sterblichkeit sowieso (It Follows (2014) hat nicht wenig von Sole Survivor).
Sole Survivor im Erstickungsmodus

Als visuelle Dauerschleife spulen Kassettenbänder aus, kratzen Nadeln am Ende von Schallplatten, tatsächlich rückt eine Uhr immer wieder ins Bild: ein Plastikungetüm in Katzenform, mit riesigen, rollenden Augen, die jeden verhöhnen, der sich an sie wendet. Eberhardts Nachfolgerfilm Night Of The Comet (1984) operiert um einiges mehr mit solch comichafter Pointierung oder gleich der ganzen spielfreudigen Haltung darunter. Ist die poppige Neon-Endzeit-Dystopie gänzlich in den 1980er Jahren zu Hause, so wirkt Sole Survivor nicht nur ästhetisch wie ein Relikt aus den 70ern. In seinem hypnotischen Minimalismus, meist ein elegischer Erstickungsmodus ohne die Gnade flüchtiger Schrecken, ähnelt er ein bisschen dem somnambulen Farbalbtraum Messiah Of Evil (1973) oder dem sachten impressionistischen Terror eines Let’s Scare Jessica To Death (1971).

Größte Verwandtschaft, ohne die Eindeutigkeit dort im Finale: Herk Harveys Carnival Of Souls (1962), dessen Toten, eine Mutmaßung, weitaus ephemerer sind als die lebenden Leichen in Sole Survivor. Das neben den Untoten zweite wiederkehrende Doppelbild von Denise sind die Schaufensterpuppen, die inmitten all dem Technikgerät und Konsumpflaster aufragen. Dem Kollektiv wird eine spirituelle Krise jedoch mehr im Vorbeigehen attestiert, Sole Survivor ist eher Psychogramm als Sozialkommentar. Die Todessehnsucht, die laut Dr. Richardson Überlebende wie Denise entwickeln, mag Unfug sein oder schon lange systemimmanent. Vom Gemüt her landet der Film dabei, ganz seiner Heldin folgend, irgendwo zwischen existenziellem Schauder, begründeter Angst und pillenverkleisterter Paranoia unter der Glasglocke. Illusion und Desillusion, Schein und Sein, dann doch auch Begriffspaare der Reagan-Ära.
Der Film ist auf Amazon Prime verfügbar.
Zu weiteren Texten unserer Weihnachtsreihe geht es hier: http://www.critic.de/tag/blutige-weihnachten/
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