Solaris – Kritik
Ein Bildzyklus des Staunens über die ewige Wiederkehr der verloren geglaubten Liebe.

Am Ende sind wir wieder am Anfang: Chris Kelvin, eingefasst in einer Art Guckkasten-Küche, die eine Bild-im-Bild-Szenerie erzeugt, schneidet eine Gurke. Er verletzt sich, hält seinen blutenden Finger unter den Wasserhahn, vor knapp 90 Minuten war diese Szene schon einmal zu sehen. Doch diesmal offenbart der Schnitt keinen Schnitt: eine nahe Einstellung auf den Finger, die Wunde ist wie von Geisterhand verschwunden. Kelvin blickt auf, erstaunt oder verstehend, wir wissen es nicht, er weiß es selbst nicht, so sehr hat Steven Soderbergh seine Bilder, 30 Jahre nach Tarkowskis Verfilmung des Romans von Stanislaw Lem, dem Trügerischen anheim gegeben. Erinnerung, Traum und Vorstellung spielen keine Rolle in einer auf die Gegenwartsempfindung verdichteten Welt, nicht als Begriffe und schon gar nicht als Bildformen.

Es ist ein dauerndes Neu-Ansetzen, das auch die Plot-Struktur infiziert. Kelvin ist Psychologe und hat seine Frau durch einen Suizid verloren. In stilisierten Einstellungen wird er zu Beginn in seiner Trauer regelrecht ausgemessen. Fotografische Stills, deren einsames Zentrum er ist, zwei kurze Bewegtbild-Sequenzen voller Blade-Runner-Stimmung, in deren Verlauf sich die von Soderbergh selbst geführte Kamera an ihren in einen schwarzen Mantel gekleideten, durch eine abstrakte und regnerische Urbanität schreitenden Protagonisten heftet.

Dann ein Hilferuf per Videobotschaft: sein Freund, der Astronaut Gibarian (Ulrich Tukur), bittet Kelvin auf eine Raumstation zu kommen, die um den Planeten Solaris kreist. Kelvin macht sich auf ins All und ist schon bald selbst eingewoben in die seltsamen Vorkommnisse dort. In einer virtuos inszenierten und montierten Traumsequenz, die sich nach und nach selbst als solche dekonstruiert und so bereits die Ununterscheidbarkeit von Bewusstseinsebenen als Sujet des gesamten Films setzt, erscheint Kelvin seine verstorbene Frau Rheya. Ihre Anwesenheit verlängert sich hinein in die Welt des Raumschiffs und bleibt beharrlich: Kelvin wacht neben einer ‚realen‘ Rheya auf, schickt sie in einem ersten Schock in einer Kapsel in die Weiten des Weltraums, doch bald schon ist sie wieder da. Das Melodrama, auf das die zeitgenössischen Besprechungen den Film zumeist kritisch reduzierten, beginnt von Neuem.

Soderberghs ausgeprägtes Formbewusstsein, das sich in diesem Film über die notorische Ins-Bild-Setzung des ‚sexiest man alive‘-Körpers George Clooneys eigentlich dauernd selbst ironisiert, bringt die melancholische Struktur, die Schleife der ewigen Wiederkehr, mit einer zweiten, mehr linearen (wenn auch doppelt angesetzten) Makrobewegung zur Kongruenz. Es ist jene des Handhabbar-Machens, der haptischen Erschließung, der Formfindung überhaupt. Dieser Formfindung geht ein Staunen voraus, wie es nicht nur konstitutiv für die Science-Fiction ist, sondern auch für jede Liebesgeschichte – die Faszination für die Natur und ihre technische Beherrschung einerseits, für den sexuell anziehenden Körper andererseits. Soderbergh übersetzt diese analoge Beschaffenheit in ein eigentlich recht simples Bildkonzept: Stillgestellten, frontalen Ansichten, die ihre Flächigkeit geradezu ausstellen, wird eine haptischere, räumliche Tiefe betonende Bildsprache gegenübergestellt. Diese Differenz wird dazu noch in einer Kalt-Warm-Farblichkeit markiert.

An jedem Anfang steht dabei der staunende Blick, nicht als Metapher, nicht als Wertung, sondern als Ausdruck von Faszination. Immer wieder Großaufnahmen von Gesichtern, die direkt in die Kamera schauen, maximale Nähe evozieren, in ihrer überhöhten Reinheit aber auch etwas Enthobenes an sich haben. Wie zu Beginn die sezierende Kamera blicken sie in stillgestellten Bildern auf Screens, in die Weite des Weltalls, auf die technoiden Innenräume des Raumschiffs und nach und nach auf ihresgleichen, auf das Gesicht des Anderen, der in den haptisch inszenierten Flashback-Szenen doch noch so greifbar war, dessen Status als der Andere aber nun schon bald gar nicht mehr sicher ist. Kelvin stemmt sich gegen die Tatsache der eigenen (Fehl-)Projektion und die langsame Bewusstwerdung der (seiner) Frauen-Imago, verkrampft sich in die Idee, nochmal von vorne anfangen zu können. Am Ende steht er wieder alleine in seiner Küche. Doch Soderbergh kann es nicht lassen und zieht nochmal eine Ebene ein. Konsequent lässt er die Zweisamkeit seiner Protagonisten in der etablierten Bildsprache implodieren. Kitschiges Happy End, esoterische Hysterie oder reaktionäres Klischee? Alles egal. Rückzug.
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