Kleine Dinge wie diese – Kritik

Ein historisches Verbrechen, ein Mann mit Kindheitstrauma und am Ende ein bisschen Gerechtigkeit: Tim Mielants’ Kleine Dinge wie diese könnte die perfekte Parodie eines Berlinale-Eröffnungsfilms abgeben.

Tim Mielants schaut Cillian Murphy ganz tief ins Gesicht, wie er einem bösen Kapitel der Geschichte Irlands entgegentritt. Murphys triste Miene, die brütenden Gesichtszüge, die Traumata dahinter, sie gehören der Figur Bill Furlongs, einem hart arbeitenden Familienvater. Er schleppt Kohle und beaufsichtigt seine Mitarbeiter. Er behandelt sie fair. Und wäscht sich sorgfältig, wenn er nach Hause kommt, bevor er sich die Hausaufgaben seiner Töchter anschaut. Ein katholisches Kloster versorgt er auch mit Kohle, doch etwas stimmt dort nicht. Es ist ein Heim für junge, „gefallene“ Frauen. Sie scheinen dort nicht freiwillig zu sein, sie wollen fliehen. Vor allem eine von ihnen.

Das Richtige tun, trotz widriger Umstände

Eine Romanadaption, eine wahre Geschichte, das muss wichtig sein. Die Zutaten für ein Klischee von einem Eröffnungsfilm der Berlinale sind versammelt, und tatsächlich, die Sponsoren und Politiker*innen, die glauben zu erkennen, was politisches Kino ist, nämlich dann, wenn sie Mitleid spüren und Ungerechtigkeiten zurechtgerückt werden, diese Funktionsträger*innen, die vermutlich trotzdem Menschen sind, die sehr wahrscheinlich klüger sind, als ich es ihnen zutraue, könnten, zumindest theoretisch, glücklich werden.

Kleine Dinge wie diese ist psychologisch geradlinig, konzentriert, gebaut um einen empathischen Protagonisten herum, der sich erinnert, an die eigene Kindheit, an die Mutter, die ihm nicht gerecht werden konnte, die selbst jung war, schwanger aus den falschen Gründen. Der Sex nicht genehm, der Kirche nicht, den Normen der Gesellschaft zuwider. Alles ist verbunden in dieser Erzählung (so lesen wir Geschichte, so verstehen wir uns selbst). Die Erinnerungen aus den 1950er Jahren grundieren die Schicksale in der Gegenwart der 1980er. Bill Furlong hatte Glück, seine Mutter wurde nicht verstoßen, er auch nicht. Bill ist ein ruhiger Mann, er macht eins nach dem anderen, er beklagt sich nicht, sein gebeugter Gang zeugt von Demut, auch von Armut und von seiner körperlichen Arbeit. Er schaut, wem es wie geht, er will helfen, zärtlich und aufmerksam. Und er redet wenig.

Tim Mielants klebt an der Performance von Cillian Murphy, in der mehr steckt, als die simple Konstellation erahnen lässt. Es ist keine Performance mit überraschendem Eigenleben oder gar mit Komplexität, im Gegenteil, auch sie ist total geradlinig, zurückgenommen, nach innen gerichtet. Aber aus dieser Zurückgenommenheit erwächst etwas, eine Art von Abgrund lässt sich erahnen, eine Untiefe, die sich in dem psychologischen Realismus von Rückblenden-Authentifizierung nicht erschöpft. Der Schauspieler drängt nicht heraus aus der altbekannten Konstellation eines gebeutelten Menschen, der trotz widriger Umstände das Richtige tun muss. Furlong tut, was er tun muss. Der Film lässt keinen Zweifel daran, dass auch wir es tun würden, die diesen Film gucken, weil wir nunmal verbunden darin sind, dass wir an uns selbst glauben, entgegen aller Erfahrung und Weisheit. Kleine Dinge wie diese sucht in seiner Konzentration eine Form von Selbstverständlichkeit, die hängen bleibt, weil sie falsch ist. Sie ist die eigentliche Fiktion.

Nichts Boshaftes im Herzen

Immer wieder ruft Mielants den Suspense eines Horrorfilms auf, vor allem im Kloster lässt Emily Watson als böse Oberschwester mit satanischer Freude auf einen ganz anderen Film hoffen, der mit Inbrunst den Codes vom Genrefilm frönt. Doch Kleine Dinge wie diese ist dafür verschlossen, niemals würde der Film die Boshaftigkeit in sein Herz lassen. Pragmatisch schießt er sich ein auf den Protagonisten, auf seine Psyche und die Entscheidung wider die Pragmatik. Die Gesellschaft drum herum, die bösen Schwestern genauso wie die vernünftige (oft müde) Ehefrau, die liebreizend streitenden Töchter, alle sind sie Staffage, Kontext. Staffage, in der sich die Realismen verstecken, die Bill Furlong deswegen nicht mehr erfüllen muss.

Tim Mielants hat keinen intellektuellen Film gemacht, es gibt Nuancen, aber wenig Ebenen. Und doch widersetzt er sich dem pseudopolitischen Mitfühlwohlfühlpop. Es fühlt sich mysteriös an, aber es ist nicht viel mehr als das: Kleine Dinge wie diese entfaltet einen ziemlich freien Genuss daran, zu sein, was er ist, und zu zeigen, was er zeigt. Weil es so wenig ist, und so wenig Erkenntnis bietet, versperrt es sich dann doch den guten Gefühlen. Es fällt zu leicht, der Widerstand bleibt aus, mein Herz bleibt kalt.

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