Small Axe – Kritik

VoD: Panoptikum eines von Hass umzingelten Lebens. In Steve McQueens Miniserie Small Axe über karibischstämmige Einwanderer in London haben vor allem die Nebenfiguren das Glück, nicht völlig überdeterminiert zu sein.

„So if you are the big tree / We are the small axe / Ready to cut you down / To cut you down.“ Als Bob Marley den Song „Small Axe“ ca. 1969 schrieb, war es eine selbstbewusste Kampfansage an die Gesellschaft im Allgemeinen und an das damals in Jamaika dominierende Soundsystem (Sir Coxsone Downbeat) im Speziellen. Die gleichnamige Miniserie, die vom Leben der karibischstämmigen Gemeinschaft in London der 1960er bis 80er Jahre erzählt, ist weniger siegesbewusst. Die fünf Teile zeigen lediglich kleine, oft nur persönliche Erfolge beim Versuch Einzelner, in der britischen Gesellschaft einen Platz zu finden. Der Rassismus, der den Leuten entgegenschlägt, der zu fällende Baum, wirkt trotz aller positiven Entwicklungen zu tief verwurzelt, um ihm völlig beizukommen.

Für jede Folge ein Problem

Die einzelnen, nicht direkt miteinander verbundenen Folgen bilden zusammen eine Art Panoptikum eines von Hass umzingelten Lebens. Jede handelt ein klar abgetrenntes Problem ab. In der ersten Episode (Mangrove) möchte Frank Crichlow (Shaun Parkes) einfach nur ein westindisches Restaurant in Notting Hill betreiben, während die Polizei die Ausbreitung einer fremden, „niederen“ Kultur nur zu gern mit ständigen Razzien beantwortet. So sehen wir, wie systematische Menschenverachtung zur Radikalisierung führt. Die Hausparty in Lovers Rock wiederum verweist auf die Spaltung innerhalb der Gemeinschaft. „Lovers“ treffen auf „Rockers“, Frauen auf vor Testosteron strotzende Männer, Party auf Drogenprobleme.

In Red, White and Blue versucht Leroy Logan (John Boyega) die Polizei von innen zu ändern, landet aber in totaler Isolation. Seine Kollegen beschmieren seinen Spind, unterstützen ihn nicht bei Gefahr, seine Vorgesetzten übergehen ihn bei Beförderungen, während diejenigen, denen er helfen und ein besseres Bild der Polizei vermitteln möchte, in ihm nur einen Verräter sehen. Alex Wheatle erzählt von einer allumfassenden Entwurzelung, wobei das misshandelte Waisenkind Alex (Sheyi Cole) in seiner Adoleszenz versucht, Anschluss unter seinesgleichen zu finden. Schließlich ist es der zwölfjährige Kingsley Smith (Kenyah Sandy) in Education, der im Bildungssystem erst vernachlässigt und dann ausgeschlossen wird, während die Eltern mit ihren diversen Jobs keinen Nerv haben, auch nur zu bemerken, was mit ihrem Sohn vorgeht.

Selbst die Besten der Besten drohen zu scheitern

Im Mittelpunkt stehen dabei sichtlich Siegertypen. Red, White and Blue wird nicht müde zu betonen, dass Leroy Logan Wissenschaftler war, bevor er zur Polizei ging, dass er topfit ist, dass er alle in seinem Umfeld geistig und körperlich überragt. Alex Wheatle schafft es trotz aller Nackenschläge nicht, am Leben zu scheitern, während Kingsley wieder zu staunen lernt. Frank Crichlow schließt sich erst, nachdem er alles Legale und Friedliche versucht hat, dem militanten Kampf gegen die Polizei an und setzt sich mit seinen Mitstreitern kreativ und gewitzt zur Wehr. Während Martha (Amarah-Jae St. Aubyn) kein Opfer ist, sondern sich mit Glasscherben gegen sexuelle Gewalt zur Wehr zu setzen weiß. Es werden nicht einfach nur normale Leute von einem sie abweisenden England fertiggemacht, selbst die Besten der Besten drohen zu scheitern.

Als das „Mangrove“ einmal mehr ausgehoben wird und Kunden wie Personal des Restaurants unter scheinheiligen Gründen von der Polizei festgesetzt werden, verbleibt die Kamera lange auf einer Schüssel, die auf dem Boden einer nunmehr leeren Küche schwingt und langsam zur Ruhe kommt. Wenn Leroy Logan am tiefsten Tiefpunkt angekommen ist, dann wird er in einem Bild kalter Farben und glatter Flächen gezeigt, in dem er und sein Umfeld fragmentiert sind. Immer wieder liegt Alex Wheatle gefesselt am Boden. Momente der Ohnmacht werden von der Serie mit ihrer vollen filmischen Expressivität bedacht. Es scheinen die Punkte zu sein, auf die gewartet wird. Erst hier ist das Drama komplett, das zum Anprangern nötig ist. Und erst in der Niederlage offenbart sich der Sieger, der doch wieder aufsteht.

Zwanghaft auf der Suche nach dem Drama

Dieses Verständnis seiner Geschichten als Schlaglichter auf eine ungerechte Welt bestimmt Small Axe bis ins Mark. Lovers Rock ist auf dem Papier ein sehr entspannter Beitrag. Es gibt kaum Handlung, sondern eher atmosphärische Miniaturen. Das Soundsystem wird aufgebaut, es wird sich herausgeputzt, getanzt, gesungen, geredet. Eine Liebesgeschichte bietet den Hauch eines roten Fadens, zu dem immer mal wieder zurückgekehrt wird. Die Kameraführung ist aber alles andere als entspannt. Es gibt einen bezaubernden Moment, wenn Silly Games von Janet Kay endet und die Leute auf der Tanzfläche minutenlang weiterwippen und -singen. Die Kamera aber geht, wenn sie wieder über die Tanzfläche zieht, nicht im Moment auf, sondern starrt wie auf ein ihr fremdes Untersuchungsobjekt. Und der Mann, der Frauen wie Schlachtvieh anschaut und behandelt, wird immer wieder bedrohlich in die Einstellungen gepackt. Als ob nur auf einen sexuellen Übergriff gelauert wird, zwanghaft auf der Suche nach dem Drama.

Mehr noch als die Bilder sind es die theatralischen Dialoge, die lediglich der Linie des Dramas folgen. Unentwegt arbeiten sie nur die Situation heraus und machen diese im großen Ganzen verortbar. Einem über die Problemlage hinausreichenden Leben verweigern sie sich förmlich. In dieser Konzentration verkommen die Figuren zu Marionetten in einem Lehrstück. Die oft authentischen Schicksale sind tatsächlich bestürzend, und oft sind die realen Vorbilder als Consultants mit an Bord, aber unter der absolut gesetzten Botschaft erstickt die Emotionalität. Und ästhetisch wird ohnehin alles auf Nachvollziehbarkeit gesetzt und nicht auf Wagemut.

Hängen bleibt der Reggae

So haben höchstens Nebenfiguren mitunter das Glück, nicht völlig überdeterminiert zu sein. Sie sind zwar weiterhin Wasserträger der Handlung, die der Hauptfigur die nötigen Impulse geben, aber doch sind ihre Biografien nicht so schrecklich klar und schematisch. Seltsamerweise sind es in Mangrove geschlossen die „weißen“ Figuren, die nicht nur ambivalent, sondern freier in ihrer Entwicklung scheinen. So wird beispielsweise ein rassistischer Polizist als entschieden destruktives Gegenstück zur anfänglichen Hoffnung der Gemeinde eingeführt, wenn er vor dem Mangrove im Autos sitzt und seinen Abscheu in einer entschiedenen Rede ausdrückt. Wenn er ein letztes Mal im Film zu sehen ist, bevor er einfach nicht mehr aufgegriffen wird, sitzt er abermals im Auto vor dem Restaurant, dieses Mal in Zivil und schweigsam. Was er da aber macht, wird nie erklärt. Gerade das macht ihn umso bedrohlicher.

Die beiden Teile, die Regisseur Steve McQueen mit Courttia Newland geschrieben hat (Lovers Rock und Red, White and Blue), schaffen es noch am ehesten, sich von dieser allgegenwärtigen Kontrolle zu lösen. Insgesamt ist Small Axe aber kaum mehr als eine Informationsveranstaltung, die mit solidem Kunsthandwerk und tollen Darstellern vor allem Potenziale großflächig verschenkt. Das Einzige, was nachhaltig hängenbleibt, ist der Reggae, der drei der fünf Teile entscheidend prägt. (Red, White and Blue sowie Education kommen ohne ihn aus, bezeichnenderweise die Folgen, die von Familien handeln, die den Hass auf die eigne Hautfarbe nicht unwesentlich internalisiert haben.) Als Playlist mit zärtlichen Liebesliedern, drückenden Dubs, Songs von Auflehnung und Lässigkeit spricht Small Axe weit weniger zwanghaft von seinen Problemlagen.

Die Serie steht bis 29.01.2026 in der Arte-Mediathek

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