Sibyl - Therapie zwecklos – Kritik

VoD: Justine Triets neuer Film handelt von einem Filmdreh als Gruppentherapie und ein paar Frauen jenseits des Nervenzusammenbruchs. Sibyl verlässt sich viel auf Tradiertes, lässt aber auch eine deutsche Regisseurin wutentbrannt vom Filmset ins Meer springen.

In der schönsten Szene von Sibyl geht eine deutsche Regisseurin von Bord. Die von Sandra Hüller gespielte Mika hat genug von ihren Hauptdarstellern Margot (Adèle Exarchopoulos) und Igor (Gaspard Ulliel), bricht die Szene auf dem Boot ab, lässt sich auch vom Regieassistenten nicht mehr stoppen, springt ins Mittelmeer und schwimmt zurück in Richtung Stromboli. Zurück bleiben eine hilflose Crew und zwei übereinanderliegende Darsteller. Und natürlich Sibyl (Virginie Efira), die als Margots Therapeutin eigentlich nur am Set ist, weil Margot ohne sie nicht funktioniert, weil Margot von dem Typen, der jetzt auf ihr liegt, gerade ein Kind abgetrieben hat und eigentlich nur noch heulen und hassen kann. Vielleicht kann Sibyl ja die Szene zu Ende inszenieren, schlägt jemand vor, und natürlich kann Sibyl, und natürlich macht Sibyl.

Netz aus Abhängigkeiten

Die Szene ist nicht nur witzig, sondern trifft Justine Triets neuen Film im Kern. Sibyl sucht am Anfang eigentlich nach neuer Unabhängigkeit, will einen Großteil ihrer Patienten abgeben und endlich ihren ersten Roman beginnen, von dem sie schon so lange erzählt. Dieser Unabhängigkeit steht weniger die eigene Abhängigkeit im Weg – Sibyls Alkoholismus scheint weitestgehend eingedämmt – als die Tatsache, dass andere von ihr abhängig sind: die Kinder, die Patienten, und Freund Etienne (Paul Hamy) guckt auch eher bedürftig als ermutigend aus der Wäsche. Sibyl scheint im ersten Teil vor allem den feministischen Allgemeinplatz durchzuspielen, dass die Assoziation von Weiblichkeit und Kümmerei dem kreativen Output von Frauen im Weg steht. Und daran zu erinnern, dass auch Therapeutinnen Schmerzhaftes mit sich herumtragen – Flashbacks neun Jahre zurück, in denen die leidenschaftliche Affäre mit Gabriel (Niels Schneider) zur Ursache von Sibyls Alkoholsucht wird. Und schließlich das Verhältnis zwischen Leben und Fiktion im Allgemeinen auszutarieren.

Flucht in die Farce

Als die Schauspielerin Margot verzweifelt bei Sibyl anruft, kommt eine Dynamik in Gang, die diese Ebenen miteinander verschaltet und dabei durchaus auch Triets Film rettet: Margots Fall bietet sich als Einstieg in den eigenen Roman an, wird Sibyl zurück zur Flasche bringen und schickt den Film ans Set und damit auf die Meta-Ebene. Dort macht Sibyl am meisten Spaß, weil er auf dem Vulkan von Stromboli ein bisschen ausbrechen kann aus seiner unnötig komplexen Struktur, ein bisschen albern wird, und gerade in der Farce bekommt Triet auch die labile Verfassung der Figuren besser zu fassen. Wenn Margot für ihr Close-up verlangt, dass Sibyl Igors Dialogpart übernimmt, oder eine Ohrfeigenszene für körperliche Rache nutzt, dann wird der Filmdreh endgültig zur Gruppentherapie, in der ausgerechnet der männliche Schauspielstar gar nichts zu melden hat. Und alles hängt am seidenen Faden, den Autorenfilmerin Mika irgendwo am Rande des eigenen Nervenzusammenbruchs in der Hand hält.

Sibyl ist manchmal frustrierend in seinem Vertrauen auf tradierte Topoi, und gerade im letzten Teil will Triet vielleicht unnötig zuspitzen, was sie gerade wunderbar breitgetreten hat, und wechselt nochmals die Register. Virginie Efira in der Hauptrolle aber erdet die Vielfalt der Tonalitäten immer wieder ganz wunderbar. In ihrem Gesicht ruht der Film, der Sibyl sein will: Psychogramm einer Frau, die ein bisschen zu viel für andere lebt, mit Fiktion und Leben struggelt, disparate Wünsche und vergangenen Schmerz unter einen Hut zu bringen versucht und das auch irgendwie schaffen wird. Der Film fühlt sich dagegen manchmal an, als hätte er Mühe mit seinem eigenen Hut und all den Dingen, die drunterpassen sollen, aber vielleicht ist das genau der Punkt: Aus disparaten Elementen ein kohärentes Selbst zu formen ist eben nicht so einfach, in der Fiktion wie im Leben.

Der Film steht bis 23.04.2025 in der ARD-Mediathek.

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