SHAYNE – Kritik
VoD: Stephan Geene hat dem in Vergessenheit geratenen Schlagerstar Ricky Shayne ein eigenwilliges Denkmal gesetzt. SHAYNE ist nachdenklich, experimentell, und kennt einen bunten, crazy Haufen alter Bilder aus der Schatzkiste der Bravo.
„Ich bau dir ein Schloss, aber darin kannst du nicht wohnen (…) Es ist, als wäre der ganze Körper eine Tür zum Leben. Und sie ist immer offen. Es ist, wie wenn man sie immerzu aufmacht, aber niemals hineingeht.“ Das sagt Kerstin Cmelka, poetisch-analytische Kommentatorin in Stephan Geenes Shayne, über Schlager, Film und Kunst.

Ricky Shayne war für uns Girls und Boys solch eine Tür. Er sprengte von 1967 bis 1972 das Format der ZDF-Hitparade mit seiner rauen Bluesstimme, seiner auffälligen männlichen Schönheit, musikalischer Glaubwürdigkeit und echtem Glanz. Nichts gegen Schlager, die das Gegenteil verkörpern. Aber Shayne war anders. Mehr Dimensionen. Mehr Rebellion. Und mehr Dunkelheit. Man sah, er kam von ganz woanders her, und damit meine ich nicht seine vielen geografischen Heimatländer. Ich meine Soul, Rock’n‘Roll und Beat; Haschisch, Feuer, Glut und Liebe. Obwohl er in Deutschland mit Schlagern auftrat, hatte er im Geiste diese kleine Meute jaulender und eiernder Beatgitarren um sich, die tanzten, sich verrenkten und die Zuhörer ins Rutschen brachten. Shayne war in Kairo geboren, in Beirut aufgewachsen, in Rom während der Beat-Welle zum Star geworden. 1966 spielte er die Hauptrolle, einen Mod, in Franco Montemurros schönem Film Siebzehn Jahr, blondes Haar, neben dem auch noch sehr jungen und freudigen Udo Jürgens und Joachim Fuchsberger in der Rolle von Shaynes großbürgerlichem Vater, dem Ölfirmenmanager Robert Fuller.
Cold Turkey seit 40 Jahren
Ricky Shayne war nur zum Schein ein Schlagerstar. Man sah ihm stärker an als den Kollegen, dass er ein echter Mensch war. Man spürte, dass vieles nur halb zum Ausdruck kommen konnte, aber in ihm rumorte. Der Filmemacher und Shayne-Fan Stephan Geene war zu der Zeit 10 Jahre alt. Nun, mehr als vierzig Jahre später, hat er ein serielles Porträt von Shayne gemacht. Nachdenklich, experimentell. Sechs Teile, 120 Minuten.
Zwei junge Männer, die, jeder auf andere Weise, Shayne sehr ähnlich sehen, versetzen sich in seine damalige Person, indem sie ihn, anhand alter Fotos, nachspielen. Es gelingt ihnen ziemlich gut. Sie kriechen in ihn zurück wie Geister in eine Flasche und bewegen sich wie Tiger im Käfig: Tarek und Imran, seine Söhne, beide heute so alt wie Shayne damals. Man sieht einen von ihnen im Kostüm des Vaters – schwarze Samtjacke mit arabesken Goldstickereien, weit aufgeknöpft, Brusthaar –, verloren in der weitläufigen, modernistischen Architektur des Hauses der Kulturen der Welt (ein Name wie aus einem Traum). Und fühlt mit, wie das ist: als Mann der berauschenden, illusionären, visionären Seventies seit mehr als vierzig Jahren mit einem cold turkey hier herumzugehen. Nicht weniger lebendig als damals. Aber die Umstände!
Ich habe noch so einen Maxirock wie seine Jacke.
Der Film wirft einen bunten, crazy Haufen alter Bilder aus der Schatzkiste der Bravo in den Raum. Geene erzählt, wie er als Junge Rickys Bilder ausschnitt, „je kleiner, desto besser“, als steckte der Geist einer Person am intensivsten in Miniaturen. Das fand ich auch. Wie leidenschaftlich er aussah. Tiefe, extrem ausdrucksvolle Augen, wie kajalgeschminkt. Sein Wust kräftiger, lockig dunkler Haare. Eine verrückte Little-Richard-Frisur.

Die prächtige Lässigkeit, mit der er auftrat. Träumend, wohlig in sich, in einer Wolke aus Gras. Die Schauspielerin und Autorin Claudia Basrawi sagt zu ihm, nachdem sie sich Filmausschnitte angesehen haben: „Es ist, als ob du gar nicht reingehörst. Obwohl du doch die Hauptperson bist.“ Er war nicht wirklich da. Er war in uns, auf Reisen. Wir Mädchen liefen mit seinem Bild herum im Herzen. Wir rochen sein Achselhaar, durch die Musik. Starschnitte. Nackt, nur mit seiner Gitarre bekleidet. Er brachte den Gospel-Beat-Groove, die ausgeflippte Partystimmung, die aufrührerischen Trommeln, die große heisere Stimme, das Adriano-Celentano-Feeling in den deutschen Schlager. „Io sono mod“. Giorgio Moroder schrieb ihm den Hit „Ich sprenge alle Ketten (und sage nein, nein, nein, nein, nein)“. „Ich fühle mich nie und nirgends zuhause“, sagte er der Bravo, „Liebe ist mein Hobby. Ich kann mich einfach keinem Menschen anpassen.“ „Mein größter Gegner ist meine Faulheit.“ Die Medien, das Fernsehen liebten ihn. Nun haben sie ihn praktisch vergessen. Man weiß nicht, warum.
„I have no idea what happened to me. It happened that I was successful. I did not do that as a profession. I couldn’t care less. I like to sing. I am a singer, not a puppet on a string.“
Ricky Shayne sieht heute ganz anders aus als damals und nicht minder aufregend und unangepasst. Er hat ein bekümmertes, ernstes Gesicht; der Infotext zu Geenes Film spricht von seinen „Abbrüchen und Doppeldeutigkeiten“. Stolze Nasenlöcher. Nervöse, fahrige Gestik. Restless legs; ein Bein zappelt immer ungeduldig; es will fort mit ihm, to keep on moving. Zerstreute Intensität. Die extravagante Unterwasserbrille. Sein dunkles Cape. Der Maximilian-Schell-Bart. Ein müder Zauberer.
Ein Schmerz, der ins Herz beißt
Wie erging es ihm inzwischen? Seine Frau verdiente das Geld als Stewardess, sie wohnten bei Düsseldorf, er kochte, brachte die Jungen zur Schule, sie hatten kurz ein Kiosk, ein Modelabel, lebten in den USA. Shayne hat den Ruf, schwierig zu sein. „Ich wäre nicht ich, wenn ich anders wäre. Es gäbe mich nicht. Je ne suis pas Monsieur Tout-le-monde.“ I’m not like everybody else (The Kinks): immer noch ein Mod. Und er macht ziemlich klasse Grafiken von Teufelsfratzen, Monstern und Dämonen, poppig, posterhaft, wie etwas, das man sich aufs Mofa airbrushen lassen oder als Sticker auf sein Mäppchen kleben will; manche dieser Wesen ähneln ihm. „I had a wonderful life. A hell of a time. I jumped from one bed into another.“ Shayne und Basrawi reden über Oum Kathoum – „Das Tuch, das sie immer hielt an ihrem Handgelenk, scheinbar um sich den Schweiß abzuwischen, war voller Kokain! That’s why she sang for six hours!“ – und als sie über den Sänger Abdel Halim Hafez sprechen, weint Shayne, wegen allem, wegen früher. „Das Leben ist zu kurz. Ich hab Ideen für die nächsten 1000 Jahre.“ Der erste Teil der Serie endet mit Shaynes großartiger Version von „He ain’t heavy, he’s my brother“ und einem langen Blick Ricky Shaynes in die Kamera, in dem ein Schmerz steht, der einem tief ins Herz beißt.
Neue Kritiken

Mein 20. Jahrhundert

Caught Stealing

Wenn der Herbst naht

In die Sonne schauen
Bilder zu „SHAYNE“


zur Galerie (2 Bilder)
Neue Trailer
Kommentare
Sabeth Buchmann
Toller Text, der das Filmprojekt sehr treffend beschreibt !
1 Kommentar