Servus Papa, See You in Hell – Kritik
VoD: Trotz seines rigorosen Titels Servus Papa, See You in Hell bewegt sich Christopher Roths leicht fiktionalisierter Film über eine Jugend in der Kommune von Otto Muehl jenseits der Sektenklischees – und nimmt auch die Welt da draußen kritisch in den Blick.

Die um 1970 entstandene und bis in die 1980er Jahre bestehende Kommune Aktionsanalytische Organisation um den österreichischen Künstler Otto Muehl gerät in der Rückschau bisweilen zur Anekdote in einem bewegten Künstlerleben. Dabei zählte zu den Nachwirkungen der Kommune auch, dass Muehl zu sieben Jahren Haft verurteilt wurde, unter anderem wegen sexuellen Missbrauchs von Unmündigen. Christopher Roth erzählt in Servus Papa, See You in Hell von einer Jugend in der Kommune und dem Aufbegehren gegen die Gemeinschaft und ihren Anführer. Die Frage, was am Draußen der Welt denn tatsächlich besser ist als am Drinnen der Kommune, macht der Film sich dennoch nicht leicht.
Das Drinnen und das Draußen

Das Drehbuch schrieb Roth zusammen mit Jeanne Tremsal, die als Mädchen eine Zeit lang in der Kommune lebte. Im Film spielt sie die Mutter ihres Alter Ego, das ebenfalls Jeanne heißt (Jana McKinnon). Dieser Hintergrund verleiht dem Film, der immer näher an der Fiktion als an der Dokumentation ist, nicht nur eine besondere Glaubwürdigkeit. Man möchte auch glauben, dass die für das Sektengenre ungewöhnliche Reife des Films diesem Umstand zu verdanken ist.
Geht es um Sekten, wird schließlich gerne die Erzählung der Flucht gewählt. Das Aufbegehren, der Ausbruch und schließlich das Erlangen der „Freiheit“ bilden häufig Dreh- und Angelpunkte. Damit wird die Frage umgangen, ob in der Welt da draußen nicht vielleicht auch gehörig viel schiefläuft, sich nur eben kein so klarer Gegensatz konstruieren lässt.

Servus Papa, See You in Hell nimmt sich nun auch den Facetten dieser Welt da draußen an. Da sind die Stadtkommunen, die das Geld für die Hauptkommune herbeiwirtschaften, per verhassten spießigen Bürojobs. Diese Büros sind in nur beinah übertrieben traurig-kargen Farben gezeichnet. Sexuelle Hierarchien und Ausnutzung gibt es auch hier. Am häufigsten begegnet uns aber die bürgerliche Außenwelt im voyeuristischen Modus: Ein SPÖ-Politiker befummelt beim PR-Besuch nackte Beine und anderes, in der Stadt spricht man raunend und ein bisschen geifernd von der „Sex-Kommune“. Man braucht diese hedonistisch erscheinende Gegenwelt, weniger als Utopie denn als etwas, von dem man sich abgrenzen kann, und das man gleichzeitig heimlich begehrt.
Gemeinschaft als Hypnose

Ein Hauptziel der mehrere 100 Leute fassenden Kommune lag in der Überwindung der Kleinfamilie: Zweierbeziehungen waren strengstens untersagt, Promiskuität zum Prinzip ernannt. Wer besonders viel in den Betten der Kommune herumkam, stieg in der sozialen Hierarchie auf. Wie nun dieses Leben in der Kommune zeigen? Ein bloßes Kippen von schön zu schlimm wäre platt, Genuss und Unbehagen stehen daher beieinander. Der Film eröffnet mit der Szene einer sogenannten Selbstdarstellung, einem theatralischen Ritual des Seelenstriptease, gemischt mit Schuldbewältigung und -zuschreibung. Spottlieder und Lobeshymnen werden gesungen und zeigen eine wirksame Gruppendynamik: das Exponieren der Einzelnen und das Aufgehen in der Gruppe, die mit einstimmt.
Diese Kommunen-Szenen spielen sich zwischen zwei Extremen ab: Das eine ist die bukolische Idylle, in der Jeanne mit ihrem Freund Otis (Arsseni Bultmann) im Gras liegt, Schmetterlinge studiert und sich Jean (Leo Altaras) annähert, der Welt und der Gemeinschaft abgewandt. Das andere meint das Rauschhafte in der Gemeinschaft, hypnotisch inszenierte Orgien aus Gesang, Spiel, Küssen und Tanz. Wohl fühlt man sich dabei nicht, dazu beklemmen die sozialen Ausgrenzungsmechanismen schon zu sehr; sich dem zu entziehen, ist dennoch schwer.

Clemes Schick spielt Muehls Entsprechung Otto mit einer vulgären Körperlichkeit und Wiener Schmäh. Schnuten ziehend und andere nachäffend bildet er das Zentrum der Gemeinschaft, ist dabei aber kein typischer Despot. Perfides Kalkül wird dennoch sichtbar, wenn er etwa Jeanne seine geistig behinderte Tochter Kiki (Rebecca Sickmüller) überlasst, um sie zu überwachen und sich ihr zu nähern.
Einladung zum Vatermord

In der Rezeption des Films wie schon in Debatten um die Kommune selbst war immer wieder zu lesen, hier werde deutlich, wie ein gut gemeinter Ansatz ins Autoritäre abrutschen könne. Allerdings war Muehls Ansatz von Anfang an autoritär und hierarchisch, seine Führungsposition unanfechtbar – Roth verdeutlicht das mit einem zum Ende des Films immer wieder auftauchenden Piktogramm einer zunehmend bröckeligen Pyramide. So wie Muehl bei seinen gewalttätigen und obszönen Happenings das unbewusst Verkommene unter der bürgerlichen Fassade sichtbar machen wollte, sollte die Kommune die latenten sozialen Hierarchien ans Licht holen, explizit machen und aussprechen – die Rangordnung der Gemeinschaft wurde sogar schriftlich festgehalten. In Zeiten des platten Abfeierns flacher Hierarchien kein wertloser Gedanke. Durch das Benennen von Verlierern und Gewinnern ist aber noch wenig gewonnen. Und wer die eigene Führungsposition sowie die Minderwertigkeit anderer so unterstreicht und alles in eine wirre Psychoanalyse packt wie Otto Muehl, der lädt zum Vatermord ein.
So eröffnet der Film zum Ende hin denn auch eine alternative Geschichte, in der sich die Jugendlichen in der Kommune auflehnen und von ihrem Gottvater Otto lossagen. Wo aber führt das Ausbrechen aus der Kommune hin, wenn die bürgerliche Ordnung kein passabler Gegenentwurf ist? Fixpunkte für Jeanne und ihre Lieben bleiben die freie Liebe, das Gemeinschaftsgefühl und die Freiheit. Aber diesmal wirklich ohne Regeln, diesmal wirklich ohne Hierarchien. An einer Stelle bezeichnet Otto die Kinder der Kommune als sein „Werk“. Ganz falsch scheint das nicht, viele Ideale aus der Kommune überleben den Zusammensturz. Am Ende bleibt die Frage, ob Jeanne, Otis, Kiki und Jean ein freies Zusammenleben ohne Ottos Dogma der freien Liebe finden werden. Und damit auch eine Mahnung an Widerstandsbewegungen, das zunächst entscheidende Dagegen in ein eigenes Dafür zu übersetzen, um nicht nur als Antithese zu bestehen.
Der Film steht bis 25.10.2024 in der Arte-Mediathek.
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