Seneca – Kritik
Seneca als nervtötendster Philosoph aller Zeiten, sein Schüler Nero als machtgeiles Riesenbaby und „Mr. President“: Robert Schwentkes Film mit John Malkovich ist am politischsten, wenn er Quatsch macht, und wirkungslos, wenn er politisch wird.

Wenn es nach Robert Schwentke geht, war Lucius Annaeus Seneca (John Malkovich) der wohl nervtötendste, selbstverliebteste, arroganteste Philosoph aller Zeiten. Sein Schüler Nero (Tom Xander) ist längst nicht auf seiner Höhe, und das soll er auch zu spüren kriegen, wenn der Mentor ewig lange Sätze aus seinem Mund fließen lässt, sehr, sehr spezifische Bezeichnungen sich überschlagen, eine masterclass aristotelischer Rhetorik gegeben wird, die Intonation perfekt sitzt, Gesten alles unterstreichen – und Nero das alles schnell nachmachen soll. Seneca liebt die penible Korrektur seines Schützlings, genießt den IQ-Unterschied, während Nero wütend wird, erstmal dessen engste Vertraute und Familie köpfen lässt und dann auch Senecas Tod wünscht. Denn wenn es nach Robert Schwentke geht, wurde Nero Claudius Caesar Augustus Germanicus ständig „Mr. President“ genannt, trug eine aufblasbare Krone, hatte ein „Mum“-Tattoo, rockte seine E-Gitarre und war generell ein übergewichtiges, machtgeiles, narzisstisches Riesenbaby.
Schauspiel mit Quatsch aufwiegen

Was John Malkovich als Seneca an Worten anhäuft, wird von Schwentkes Inszenierung mit Quatsch aufgewogen. Seneca zeigt nicht die großen Kulissen Roms, aber ist trotzdem ein üppiges Kino geworden, übersetzt römische Dekadenz in einen an Kostümen, Sprache, Effekt, Schauspiel, Bewegung, Verweisen verschwenderischen Film. Und wie Seneca sich selbst liebt, liebt Schwentke John Malkovich. Eigentlich ist die berühmte Handlung um den jungen Kaiser und seinen Lehrer schnell erzählt: Nero legt dem Senator nahe, sich selbst umzubringen, Seneca tut es, und seine Frau Paulina (Lilith Stangenberg) folgt ihm. Schwentke geht es aber eben weniger um seine Figur als um seinen Hauptdarsteller und sein Spiel, das ausgekostet werden soll, dessen Ausführungen wahrscheinlich leicht abgeänderte Textstellen des historischen Vorbilds sind. Was aber ziemlich egal ist, weil hier nicht Gedanken, sondern Worte, nicht Zusammenhang, sondern Akkumulation, nicht das Gesagte, sondern die Artikulation selbst im Mittelpunkt stehen.
Politik des albernen Kinotods

Bevor hier irgendwer den Kopf verliert, kaut Seneca der herrschenden Klasse Roms immer erstmal ein Ohr ab. Aber wenn Schwentkes Film eine Parabel ist, und danach schreien die ständigen Gegenwartseinschüsse, dann eher über die Krise politischer Kunst als die der politischen Macht. Von seinem Protagonisten übernimmt Schwentke zwar die Vorliebe zum blutigen Theater und inszeniert alle Räumlichkeiten als halboffene Bühnen, die in die Weite Italiens reichen. Aber Seneca scheidet sich von Seneca gerade durch den unwirklichen Schein und das unbekümmerte Spiel: Wo das römische Universalgenie echte Sklaven für die große Kunst abschlachtet, bietet der blutige Tod Schwentke eher die Möglichkeit, seinem CGI-Team und Malkovich über das letzte Drittel nochmal einiges abzuverlangen: Genüsslich wird das Aufschneiden der Schlagadern gefilmt, wird draufgehalten, wenn der digitale Effekt die Haut aufspaltet, bei Paulina reichlich Blut fließt, aber bei Seneca nichts passiert. Also folgt das kochend heiße Bad und das Ausschlagen der Zähne, es folgt ein veritabler Kinotod, bei dem das Schauspiel plötzlich regungslos und dann doch nochmal wach wird. Und wenn sich wirklich nichts mehr bewegen kann, das Gesicht am Boden liegt, verhilft Schwentke dem Malkovich-Gesicht per sich drehendem Bildkader wenigstens nochmal ins Senkrechte.
Vielleicht ist (Film-)Kunst gerade dann am politischsten, wenn sie nicht nach den Repräsentationen der Realität sucht, sondern sich radikal in den ihr eigenen Modus des „Als-ob“ zurückzieht, keine Haltung in dem Sinne kommuniziert, dass sie als Teil einer Diskurslogik verwertet werden kann, sondern sich ein Stück weit von der Welt ausgliedert, eben nicht „über die Realität nachdenkt“, sondern über sie hinausweist. Unklar aber, ob Seneca das schafft. In seinen besten Momenten hat man das ganze „Mr. President“-Getue vergessen und sieht John Malkovich dabei zu, wie er einen Tanz mit Lilith Stangenbergs Kleid aufführt, in seinen schlechtesten schließt er den langsamen Tod seines Protagonisten mit dem der Erde kurz, wenn Senecas Leichnam von einem Bagger verscharrt wird und die Kamera auf Müllberge schwenkt. Als lustige Spielerei ist Seneca am politischsten, als explizit politische Parabel bleibt er wirkungslos. Und so kann man in diesem Film nur da sitzen und das Gleiche hoffen wie Senecas Zuschauerin Lucia (Geraldine Chaplin), bevor sie einen seiner neuesten Theaterergüsse präsentiert bekommt: „I hope it doesn’t get political again.“
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Till Bodenegger
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