Scream VI – Kritik
Kaum ein Jahr nach dem fünften Teil legen Matt Bettinelli-Olpin und Tyler Gillett bereits Scream 6 nach, in dem die Freundesgruppe aus dem Vorgänger von der Kleinstadt nach New York zieht. Die Horror-Reihe geht den Schritt Richtung Franchise, verbaut sich damit jedoch den Blick aufs Genre.

Hübsche Variation einer klassischen Eröffnungsszene: Anstatt einer Teenagerin am heimischen Telefon bekommt es eine Filmwissenschaftlerin (Samara Weaving) in einem New Yorker Szenelokal als erste mit dem Killer zu tun. Slasher-Filme sind für sie ein Phänomen des 20. Jahrhunderts, Kinder ihrer Zeit. In einem alten, verlassenen Kino hat jemand ein Mord- und Filmmuseum eingerichtet, ausgestellt sind dort Waffen, blutverschmierte Kleidung und die Verkleidungen aller 9 bisherigen Ghostface-Killer, neben Memorabilia der filminternen Stab-Kinoreihe. Scream 6 beschreibt die Historisierung und Musealisierung seines eigenen Genres, aber wie daraus entkommen?
Das Prinzip Mehr-und-Größer

Der Plot des sechsten Teils der Reihe verlässt die Kleinstadt Woodsboro, denn die ganze Freundesgruppe aus Scream 5 (2022) und eine Handvoll Neuzugänge hat es zum Studium nach New York verschlagen. Samantha Carpenter (Melissa Barrera) versucht nach dem Trauma der Morde des letzten Jahres vor allem, auf ihre kleine Schwester Tara (Jenna Ortega) aufzupassen, die aber lieber ihre College-Freiheiten ausleben möchte. Dazu muss Samantha mit einer Internetverschwörung gegen sie klarkommen, denn man wirft ihr die Morde aus Teil 5 vor. Dass ihr Vater Billy Loomis – der Mörder aus dem Original – ihr in Halluzinationen Gewalttaten einreden möchte, hilft wenig. (Wer hier wirklich alle Querverweise, Namen und Motive nachvollziehen möchte, muss sich wohl alle Scream-Filme noch einmal ansehen.) Und wie es sich gehört, macht erneut ein Killer mit der an Edward Munchs Der Schrei angelehnten Ghostface-Maske nach allen Regeln des Horrofilms Jagd auf die Gruppe.

Nach dem Requel, als das sich der letzte Film verstand, folgt mit Teil 6 der Schritt zum Franchise. Das bedeutet: Das Prinzip Mehr-und-Größer wird beibehalten, aber die Reihe wird zur Serie, die sich ewig fortsetzen kann – also können auch Legacy-Charaktere, die Hauptfiguren der ersten Teile, sterben. Die Vergleichsgrößen sind jetzt nicht mehr Halloween und Freitag der 13., sondern Avengers und James Bond.
Franchise und Genre

So eine Franchisierung will gut vorbereitet sein, und so werden die neuen Figuren aus Teil 5 weiter ausgefleischt, vor allem über mit gefühliger Popmusik unterlegten Liebesgeschichten im ersten Akt. Von der alten Riege tritt nur Courtney Cox als rampenlichtaffine Journalistin Gale Weathers auf – mit Neve Campbell gab es Honorarstreitigkeiten.

Entgegen diesen großen Franchisebestrebungen und dem der Horror-Eskalationslogik folgenden Umzug in den Big Apple ist Scream 6 erstaunlich bodenständig. Noch im letzten Teil waren die Morde solche, die erst in ihrer medialen Inszenierung durch Fankulturen in der Filmwelt Bedeutung erlangten. Von solchen Überlegungen fehlt diesmal jede Spur. Das neue Setting New York kommt nur in einer einzigen Szene wirklich zur Geltung, in der in einer U-Bahn mit Beleuchtungsstörung gleich mehrere Ghostfaces lauern. Ansonsten verliert sich der großstädtische Horror der Anonymität angesichts des engen Freundeskreises mit einigen Neuzugängen. Das FBI in Gestalt von Kirby Reed (Hayden Panettiere, die die Rolle bereits in Scream 4 spielte) fühlt sich auch eher an wie ein neuer Hilfssheriff. Als Whodunnit-Slasher funktioniert das wunderbar, Blut und Gedärme gibt es diesmal noch mehr und die Verdachtsmomente und falschen Fährten sind großzügig gestreut.
Vorlage für Teil 7

Doch die Scream-Filme waren immer mehr als solide Genrebeiträge, sie waren die Meta-Ebene und das Gewissen des Genres, Filme, die ihr Publikum sehr ernst genommen haben. Zum ersten Mal in der Reihe hat man hier jedoch den Eindruck, dass man sich mit der Idee, das Ganze auf Franchise-Level zu heben, den Blick aufs Genre gehörig verbaut hat. Denn neue Regeln, nach denen der Horrorfilm funktioniert, zeigt Teil 6 uns nicht. Scream ist ja schon insofern ein untypisches Slasher-Franchise, als dass neben seiner Killerfigur auch die widerspenstigen Teenager von Film zu Film wiederkehren. Und um etwas übers Marvel-Franchise zu erzählen, ist das Slasher-Genre dann doch zu eigen.

In Teil 5 wusste Tara auf die obligatorische Frage des Killers „Was ist dein liebster Horrorfilm?“ zu antworten, dass sie auf elevated horror stehe, auf Horror, der sich von vornherein anspruchsvoll gibt, wie den Babadook oder die A24-Filme – Kritiker würden diese prätentiös nennen. Ist dieser Kontrast nicht die perfekte Vorlage, die gegenwärtige Horrorfilmlandschaft mit einem guten, alten und intelligenten Slasher in Scream 7 (der noch dieses Jahr in Produktion geht) aufzurütteln?
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