Schwimmen – Kritik

"Stalker, ey!" In Luzie Looses Coming-of-Age-Film Schwimmen bedeutet Abbilden Macht. Die junge Elisa wird erst durch die Kamera in ihren Händen zur Täterin.

Sie sitzt in einem leeren Zimmer und klatscht in die Hände. Vielleicht trauert Elisa (Stephanie Amarell) dem Leben nach, das ich einst zwischen diesen Wänden entfaltet hat, und versucht, die Stille zu füllen. Vielleicht aber klatscht sie in die Hände, um sich selbst zu spüren. Als sie aufhorcht, um dem Hall ihrer klatschenden Hände zu lauschen, wirkt es so, als vergewissere sie sich ihrer Wirkung auf die Welt. Dabei inszeniert Luzie Looses Schwimmen Elisa als eine in sich gekehrte Gestalt, die wirkungslos an der Welt abperlt, das Gesicht unpassierbar. Der kräftige Zusammenprall ihrer Hände trotzt ihrer blassen, schlaksigen Gestalt. Doch erst die Kamera, die der Film ihr wenig später in die Hände legt, macht Elisa buchstäblich zur Täterin.

Herr der Bilder

Schwimmen findet sein Zentrum in der Kamera. Nicht in einer bestimmten Kamera, sondern im Prinzip des Aufnehmens, des Sich-Bilder-zu-eigen-Machens, des Herr-Werdens über Bilder. Schon die ersten Szenen, in denen Elisa filmt, deuten die Grenzüberschreitung an, die dem Aufnehmen inhärent ist. In der allersten dieser Szenen filmt Elisa ihre Mutter (Alexandra Finder) beim Umzug. Sie filmt mit der Kamera ihres Vaters, der ihre Mutter kürzlich verlassen hat, und sie filmt für ihren Vater, wie der Kommentar, den sie spricht, offenbart. Die Kamera holt den Blick des Abwesenden zurück in die Intimität der Zurückgelassenen, und sie richtet sich gegen die Mutter, sie verkörpert die ungerechte Allianz aus Tochter und Vater gegenüber der sich abrackernden Mutter. Elisas Mutter bittet die Tochter, nicht zu filmen. Wenig später streunt Elisa durch die Feierlichkeiten zum 1. Mai in Berlin, mit der ihr eigenen Unscheinbarkeit, wird hier und da angerempelt, als weigere man sich, sie wahrzunehmen. Erst als sie ungeniert ihre Kamera auf ein tanzendes Mädchen richtet, zieht sie Aufmerksamkeit und Zorn auf sich: „What the fuck? Stalker ey!“

Dies sind die einzigen Szenen, in denen die ungefragt Abgebildeten die Macht über ihre Abbildung zurückerlangen, sie zu unterbinden vermögen. In Schwimmen bedeutet sonst nur das Abbilden Macht. Wer abbildet, hat gewonnen; wer abgebildet wird, verliert. Bilder können bestehende Machstrukturen verfestigen oder sie neu konfigurieren. Als Elisa nach dem Schwimmunterricht ohnmächtig wird und demütigende Fotos geschossen werden, sackt sie etwas weiter in den ihr schon lange zugeschriebenen Opfer-Status ein. Doch als sie in einem narrativen Schuss-Gegenschuss-Prinzip das Objektiv umdreht und in einem minutiös geplanten Rachezug die Täter in erniedrigenden Situationen aufnimmt, wankt im Nu das Machtgefüge, stürzen ihre Peiniger selbst in die Ungnade. Die Machtdynamik auf dem Schulhof ist geprägt von schnell wechselnden Allianzen, die nur kurzwährenden Schutz bieten.

Das Bild als Wirkungsmittel

Die Tatsache, dass die eigenen vier Wände bei Cyber-Mobbing keinen Rückzugsraum mehr bieten, inszeniert Loose treffend in einer Szene, in der Elisa zuhause ihr Smartphone auf den Boden schmettert. Das Gerät mag in tausend Stücke bersten, die Inhalte blieben. Das Bild überdauert das Medium. Doch Schwimmen ist vordergründlich kein Film über Cyber-Mobbing, sondern über das Bild als Wirkungsmittel. Wenn Elisa ihre Klassenkameraden beim Pissen, beim Wichsen, beim Kotzen filmt – immer ist eine Körperflüssigkeit involviert –, dann wirkt sie nicht auf die Realität ein, dann nimmt die Realität nicht von ihrer Abbildung Notiz. Erst die Verbreitung der Abbildung ändert den Lauf der Dinge, lässt Klassenkönige in die Schmach fallen, führt Menschen an den Rand des Suizids. Das wirft auch die Frage auf, warum Dinge, die ohnehin geschehen, einen solchen Eklat verursachen.

Die Ambivalenz des Wassers

Die Suche nach der eigenen Wirkung webt Schwimmen in die schon oft erzählte Geschichte einer Freundschaft zwischen ungleichen Mädchen ein: auf der einen Seite die selbstbewusste Anthea (Lisa Vicari), die sich ihrer erwachsenen Reize bewusst ist; auf der anderen die schüchterne Elisa, die sich noch wie ein Kind kleidet. Anthea macht sich zur Aufgabe, Elisa in das zu hieven, was sie für den Frauenstand hält. Es wird ein klassischer Initiations-Parcours aufgespannt: Ohrlöcher stechen, schminken, frisieren, Party, Alkohol, Drogen. Anthea führt und Elisa folgt, willfährig und widerwillig zugleich. Von Anfang ist ihr Verhältnis widersprüchlich, gleichermaßen von Zärtlichkeit und Gewalt geprägt, von Achtung und Grenzverletzung.

Dem Titel des Films zur Ehre symbolisiert in Schwimmen das Wasser eben diese Ambivalenz und eben diese Intensität. Immer wieder führt die Handlung an einen See. Ein unheilbringender Ort – zweimal wird eine Figur dort an den Rand des Tods gebracht –, aber auch Stätte der finalen Emanzipation und Läuterung. Ein Ort, den mobile Endgeräte durch Raum und Zeit verbreiten, aber auch ein Ort, der Raum und Zeit links liegen lässt, als er zum Schauplatz archaisch anmutender Mutproben wird, an denen sich im Laufe der Jahrzehnte wenig geändert haben dürfte. Letztendlich ist die größte Mutprobe aber die, die man im Alleingang vor seinem eigenen Gewissen ablegt, lehrt Schwimmen.

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