Schock – Kritik
In seinem Regiedebüt spielt Dennis Moschitto einen Arzt, der nach Entzug seiner Approbation in der Kölner Unterwelt arbeitet. Trotz des Titels sind nicht die blutigen Szenen das Krasse am Thriller Schock, sondern die Atmosphäre einer anhaltenden Niederlage.

Denis Moschitto startete seine Schauspielkarriere zur Jahrtausendwende. Nebenrollen in Schule (2000) und Nichts bereuen (2001), die er mit mehr Leben füllte als seine Kollegen, bringen ihm erste Aufmerksamkeit. Es folgen die Hauptrollen in Süperseks (2004), Kebab Connection (2004) und Chiko (2008), darauf jedoch der Karriereknick. Mit dem Sohn eines Italieners und einer Türkin scheint niemand im deutschen Kino etwas anfangen zu können, zumindest sobald es über Rollen mit Migrationshintergrund hinausgehen sollte. Es folgen wieder Nebenrollen – am liebenswertesten sind seine Auftritte in Die Sendung mit dem Elefanten. Vielleicht reift deshalb die Idee in ihm, wie sie einst Matt Damon und Ben Affleck hatten: Bietet einem niemand passende Rollen, muss eben ein eigenes Drehbuch her. Und dazu setzt sich Moschitto bei Schock, zusammen mit Daniel Rakete Siegel, gleich noch auf den Regiestuhl.
Murphy’s Law waltet unablässig

Er spielt nun Bruno, einen Arzt mit goldenem Herzen, bei dem alles schiefgeht. Die Approbation ist weg, regelmäßig muss er zum Drogentest, und was aus Frau und Kind geworden ist, wird nie geklärt. Nur die vagen Antworten, dass alles zur Zufriedenheit aller geklärt sei. Noch ein Abgrund ist das Verhältnis zu seiner Schwester. Sie treffen sich regelmäßig, ohne größere Wiedersehensgesten. Doch stellt sie bei der ersten Begrüßung fest, dass er, der seit Langem Ergraute, ja graue Haare bekommen habe. Das Schweigen über sichtlich schmerzhafte Vergangenheiten ist allgegenwärtig. Es ist eine der größten Stärken des Films, wie er beiläufig Eisberge ansammelt, deren Größe nur zu erahnen ist.

Bruno arbeitet illegal weiter – für die, die nicht ins Krankenhaus gehen können. Er behandelt asiatische Prostituierte im Puff, macht Hausbesuche bei Gangstern mit Schusswunden (kaum zu erkennen: Fahri Yardım), legt einem untergetauchten Mafiaboss Infusionen. Doch Murphy’s Law waltet unablässig. Er bringt nicht nur seinen Patienten Unglück, sondern steckt bald selbst in der Bredouille. Die Antikörper für die Krebserkrankung des Mafiabosses illegal zu besorgen scheint ein Klacks, doch am Ende warten nur Zerstörung und die Panik, jemand könnte mitbekommen haben, dass er wieder nur Infusionen mit Kochsalzlösung gelegt hat, weil das echte Medikament auf sich warten ließ.
Keine Lust auf Gängiges

Immer wieder sind Schießereien die Folge seiner Entscheidungen. Sie haben blutige Konsequenzen, sind aber wenig glorreich, warten kaum mit den Helden und Profis eines Actionfilms auf – eher erinnern sie an die kläglichen Samuraikämpfe eines Akira Kurosawa. Schock ist zwar voller Drastik. Doch die findet sich in der ärztlichen Arbeit, im Herumdoktern mit guten Absichten und in einer niederschmetternden Gegenwart. Wir dürfen hautnah miterleben, wie Zähne notdürftig gezogen oder offenliegende Knochen ohne Betäubung mit einer Feile abgeschliffen werden.

Diese Spitzen dumpfen Schmerzes sind schockhafte Stufen einer Eskalation, die aus dem vormals so netten Arzt etwas gar nicht mehr so Nettes macht. Die Elektromusik von Hainbach zieht an, dröhnt immer satter; der oberflächlichen Mechanik eines konventionellen Thrillers wird nachgegeben, jemand wird so lange unter Druck gesetzt, bis er bricht. Dabei hat das Regie-Duo nicht unbedingt Lust auf Gängiges. Vorbilder sind zu erkennen, aber nie wird Schock zum Klon. Vor allem herrscht aber eine erfrischende Unklarheit, ob das hier Genre ist oder irgendwas aus der Nähe der Berliner Schule. Ein Film jedenfalls über geschlagene Wunden, die nicht heilen, sondern nur noch mehr Siechtum nach sich ziehen.

Im Grunde ist der Titel deshalb ein ziemlicher Hohn. Ja, es gibt einzelne Schockmomente, aber sie setzen nicht den eher gleichmäßig fließenden Ton. Bruno bewegt sich immerzu durch ein nasskaltes Köln. Nie darf er ankommen, sondern landet nur auf Zwischenstopps. Meist sitzt er im Auto und fährt lethargisch hin und her, im Kreis zwischen den Punkten seiner Konflikte. Die Farben sind fahl oder drückend monochrom. Nicht das Blut ist das Krasse an Schock, sondern die Atmosphäre einer anhaltenden Niederlage, die mit dem Film einsetzt und nicht endet.
Ein geschlagener Hund, der herunterschluckt

Der von einer Anwältin (Anke Engelke, Moschittos Kollegin von Die Sendung mit dem Elefanten) vermittelte Mafiaboss verlangt von Bruno, dass er Italienisch mit ihm redet, nachdem er erfährt, dass sein Vater aus Sizilien stammt. Bruno ist das aber sichtlich unangenehm. Einerseits, weil er sich nicht mit dem Verbrecher gemein machen möchte – immer sehen wir ihn Einweghandschuhe überziehen oder mit Atemschutzmaske, als wolle er vergeblich die Ansteckung am Milieu verhindern –, andererseits spiegelt sich darin jemand, der nicht auf seine Herkunft reduziert werden möchte, der einfach nur normal und nett sein will. Es liegt durchaus nahe, dass einiges an Frust aus der eigenen Karriere in den Film einfloss.

Deshalb ist es ein wenig bizarr, dass der Regisseur/Autor Denis Moschitto dem Schauspieler Denis Moschitto eine Rolle gibt, in der er nicht glänzen kann. Sein Bruno versucht selbstverständlich zu agieren. Aber nichts gerät ihm selbstverständlich, weshalb er zuvorderst traurig schaut und schweigt. Ein geschlagener Hund, der herunterschluckt, etwas versucht und wieder schluckt. Ein konventionelles, etwas ödes männliches Leiden, das aber von den Autoren zumindest mit Unkonventionellem umstellt wird.
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