Schlußakkord – Kritik

Detlef Siercks Schlußakkord von 1936 trägt den NS-Propagandafilm sichtlich in sich. Doch dabei wirkt die Gestaltung des Melodramas über Flucht, Familie und Musik, als ob sich gerade ein Kind im Spielzeugladen ausprobiert.

Die Entstehungszeit von Schlußakkord (1936) lässt sich lange ganz gut ausblenden. Teilweise spielt die Handlung beispielsweise in New York. Wir befinden uns also woanders, aber es wirkt kaum fremd. Nicht nur, weil jeder Deutsch spricht und die Konzertübertragung eines deutschen Stardirigenten aus Berlin ein kulturelles Ereignis zu sein scheint, sondern auch weil der auftauchende Central Park eben keine anonyme, dunkle Gasse ist, sondern etwas Bekanntes. Wenn die Kamera wiederholt von Berlin nach New York schwenkt – und zurück –, dann hält sie auch kurz an, um die Wellen des Atlantiks zu zeigen. Die Distanz zwischen den beiden Städten wird durchaus spürbar gemacht. Nur ist dazu zuweilen Beethovens Neunte zu hören, und es liegt in der Luft, dass alle Menschen Brüder (und Schwestern) sind/sein könnten. Mit anderen Worten: Schlußakkord wirkt ziemlich weltgewandt.

Garstige „natürliche“ Zustände

Als Dirigent Garvenberg (Willy Birgel) für ein paar Tage zu einem Engagement außerhalb Berlins aufbricht, ist der Adler mit dem Hakenkreuz am Flughafen dann aber doch deutlich im Hintergrund zu sehen. Vielleicht fällt einem dann ein, dass 1936 das Jahr der Olympischen Spiele war und Schlußakkord eine internationale Auswertung erhielt, dass das Weltmännische eben Teil der damaligen (inter-)nationalen Propaganda gewesen sein wird. Womit nochmal unübersehbarer wird, dass die bisherige Internationalität des Films ausschließlich unter deutschen Vorzeichen stand.

Um dieses Auftauchen des Hakenkreuzes herum bekommt aber vor allem die Handlung einen gewissen Beigeschmack. Das Melodrama entspricht nun immer mehr nationalsozialistischen Vorstellungen von Familie. Kinder erkennen hier ihre Mütter ganz instinktiv, und überhaupt eignen sich nur Frauen, die brav zu Hause bleiben und in der Kinderbetreuung aufgehen, als Ehefrauen und Mütter. Frauen mit einem mondänen Sozialleben müssen hingegen verdorben erscheinen. Und mit diesem konservativen Schwenk, der eine anständige Familien schaffen und alle anderen durch Tod und Gericht bestrafen wird, stellt sich eine Welt her, „wie sie sein soll“ – statt eben das Melodramatische und damit die Tränendrüsen in den Widersprüchen von Gesellschaft und Leben zu suchen, wo ein Happy End immer auch auf gewisse Weise Verzicht und Verlust bedeutet. Unter den Vorzeichen der Naziherrschaft ist dieses selige Aufgehen in „natürlichen“ Zuständen nochmal garstiger.

Hochkulturgenuss und Kinderliebe

Erzählt wird von den Eltern des kleinen Peter (Peter Bosse). Seine Mutter (Maria von Tasnady als Hanna) musste Peter auf der Flucht zurücklassen – ihr Mann hatte Geld unterschlagen. Nach Schicksalsschlägen und Wiedergeburt kehrt sie heim, erkennt aber, dass Peter einen liebevollen Adoptivvater gefunden hat, Garvenberg. Zumindest als Kindermädchen kann sie ihrem Sohn nah sein. Garvenberg sehnt sich derweil nach einem heimeligen Familienleben und trachtet danach, seine Frau (Lil Dagover) mit dem Kind ans Haus zu binden. Die aber will leben und feiert weiterhin Partys. Vor allem verstrickt sie sich in eine sadomasochistische Affäre mit Hellseher und Betrüger Carl-Otto (Albert Lippert), was sie innerlich auffrisst und erpressbar macht.

Von Seelenverwandtschaften und den unüberbrückbaren Unterschieden zwischen aufrichtigem und verkommenem Leben wird erzählt. Von der heilenden, verbindenden Wirkung der gehobenen, nicht „entarteten“ Musik. (Nicht amerikanischer Jazz, sondern Beethoven rettet Hanna in ihrer düstersten Stunde in den USA.) Von Menschen, die einfach mit Kindern können, und anderen, die nie die Zuneigung der Kleinen erlangen werden. So sind es Hochkulturgenuss und Kinderliebe, die Garvenberg und Hanna zusammenführen werden und Peter damit wieder ein rettendes Elternhaus schenken. Schlußakkord trägt den familienpolitischen Propagandafilm sichtlich in sich.

Rauschhafte Pracht

Zugleich ist dies aber trotz alledem auch ein wunderbarer Film, handelt es sich doch um eine frühe Regiearbeit von Detlef Sierck. Bizarrerweise wurde dieser von den Nazis aus dem Theater und ins Filmgeschäft gedrängt – unter anderem weil die Ufa nach dem Abgang unzähliger Talente infolge der Machtübernahme Hitlers Regisseure brauchte. Und so sorgten sie dafür, dass er nach seiner Flucht 1937 als Douglas Sirk stilprägend für das Melodrama der 1950er Jahre in Hollywood werden konnte. Sierck kann zwar die Prägung des Dramas nicht ganz abschütteln, es aber doch etwas verschieben. „It is a combination of kitsch, and craziness, and trashiness. But craziness is very important, and it saves trashy stuff […]. There is a very short distance between high art and trash, and trash that contains the element of craziness is by this very quality nearer to art.” Das erklärte er einst in Bezug auf Die wunderbare Macht (Magnificent Obsession, 1954). Es passt aber durchaus auch auf Schlußakkord.

Dass es sich bereits um seine fünfte Regiearbeit handelt, ist kaum zu spüren. Nicht nur die Kameraschwenks, die andeuten, dass sie den kompletten Weg über den Atlantik nehmen, zeugen von der Verspieltheit Siercks. Die Gestaltung wirkt wiederholt, als ob sich gerade ein Kind im Spielzeugladen ausprobiere. Was dem Film nicht nur Pracht, sondern auch etwas Rauschhaftes verleiht. Dem stehen ausladende Szenen entgegen, in denen die Musik von Garvenbergs Orchester im Mittelpunkt steht. Mit diesen wird den weltlichen Obsessionen von Lil Dagovers Ehefrau – Sierck lässt ihre Figur nie in eine inhärente Verdorbenheit kippen, sondern zeigt zuvorderst eine zwischen gesellschaftlichen Ansprüchen und dem eigenen Lusthaushalt verirrte Frau – eine geradezu verkrampfte Suche Garvenbergs und Hannas nach einem Elysium entgegengestellt.

Etwas ist hier suspekt

Der Höhepunkt der Verrücktheit, mit der sich Sierck der Handlung nähert, ist aber ein Puppentheaterstück, das Peter für Adoptivvater und Mutter aufführt. In der Geschichte von Schneewittchen spiegelt sich seine Geschichte, und doch geht das Ganze nicht auf. Der siebte Zwerg fehlt, und ein Polizist klingelt an der Tür, woraufhin die Aufführung zum Erliegen kommt. Das filmische Drama bricht mit dem Ordnungshüter ein, der den Garvenbergs offenbart, dass Hannas Mann ein Straftäter ist, weshalb sie um ihre Stelle bangen muss. Das elterliche Entzücken über die talentierte Wunderlichkeit des Kindes ist dabei völlig entrückt, wie der Einfall des Dramas penetrant ist und von Peter zu Recht mit maulendem Trotz beantwortet wird. Irgendwie ist eben alles immer einen Tick zu viel, zu lebhaft, zu durchgedreht. Damit schüttelt Schlußakkord seine Entstehungszeit vielleicht nicht ab. Dass hier etwas suspekt ist und wir sehr subjektive Wahrheiten präsentiert bekommen, kommuniziert er damit aber durchgängig.

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