RRR – Kritik

Neu auf Netflix: Feuer und Wasser, Gut und Böse, ein teddybäriger und ein scharfkantiger Hauptdarsteller. In RRR ist das eine Mischung wie TNT. S.S. Rajamouli zeigt einmal mehr, dass er eine Bank ist, wenn es um aberwitziges, kreatives Kino geht.

Aus dem ersten R schälen sich die Worte „The StoRy“. Die Frau des indischen Kolonialgouverneurs möchte gern das süße, singende Kind aus dem Urwald besitzen, das ihr gerade die Hand mit Henna aufgehübscht hat. Ein neues Spielzeug für daheim. Also wirft ihr Mann zwei Münzen hin, und das Kind wird verschleppt. Die sich in den Weg werfende Mutter sei keine englische Kugel wert, weshalb sie mit einem Ast weggeprügelt wird.

Feuerfest, unzerstörbar und ewig verbunden

Aus dem zweiten R ergibt sich „The FiRe“. Eine Polizeistation ist von Tausenden aufgewiegelten Demonstranten eingeschlossen. Ein Stein trifft das Bildnis King Georges, und der nach Aufstieg gierende, aber von seinen rassistischen Vorgesetzten übergangene Ram (Ram Charan) prügelt sich prompt durch die Menge, um den Schuldigen zu verhaften. Zwischenzeitlich schlägt ein Meer aus Menschen auf ihn ein, aber am Ende hat er den Verantwortlichen tatsächlich mitgebracht. Und trotz seiner Wunden stellt er sich einfach wieder stramm in die Formation.

Aus dem dritten R ergibt sich „The WateR“. Bheem (N.T. Rama Rao Jr.), der dem entführten Kind folgte, um es zu befreien, bringt einen Wolf dazu, ihn zu jagen. In eine Falle möchte er das Tier locken und fangen. Mitten in der Jagd ist sein Verfolger aber auf einmal weg, und ein Tiger ist nun hinter ihm her. Ein Tiger, der das ausgelegte Netz fast zerreißt, der den Gejagten mehrmals ins Fleisch kratzt, der aber doch zuletzt mit unmenschlicher Kraft unschädlich gemacht wird.

Bheem wird daraufhin versuchen, inkognito einen Weg in den Gouverneurspalast zu finden, während Ram inkognito nach demjenigen sucht, der losgeschickt wurde, das Mädchen zu befreien. Doch das Feuer und das Wasser, der Vulkanausbruch und der Sturm, der freie Wille und das Schicksal – wie es so schön mehrmals besungen wird – werden in Unkenntnis ihrer tatsächlichen Identitäten Freunde. Sie bilden eine Mischung wie TNT. Nachdem sie einen Jungen vor einem explodierenden Zug retten, als seien sie feuerfest, unzerstörbar und schon ewig verbunden, wird der Titel eingeblendet: RRR – Rise Roar Revolt.

Von Anbeginn alle Regler auf Anschlag

Diese Exposition ist ausladend, irrwitzig und vor allem klassisch, als wäre seit Zwei glorreiche Halunken (The Good, The Bad and the Ugly, 1966) nichts geschehen. Wir befinden uns gerade einmal am Beginn der Reise der beiden, und doch hat RRR zu diesem Zeitpunkt schon alle Regler auf Anschlag gedreht. Die englischen Kolonialbeamten sind bereits aufs Entschiedenste zu mittelalterlichen Tyrannen stilisiert worden, die sich an der Qual der Inder erfreuen. Ram und Bheem sind Actionhelden, deren Unmenschlichkeit hemmungslos voll Pathos zelebriert wird, statt sie „realistisch“ zu gestalten. Ein paar Kontraste (Feuer und Wasser, Gut und Böse, Macht und Hilflosigkeit, ein teddybäriger und ein scharfkantiger Hauptdarsteller) und der Wille, aus allem das Maximum herauszuholen, reichen, damit das Adrenalin dem Film schon nach wenigen Sekunden aus Ohren, Mund und Nase läuft.

Bei einem Ball im Gouverneurspalast wird Bheem von einem überheblichen Snob, der in ihm nur braunen Müll sieht, auf der Tanzfläche zu Boden gestoßen. Kenne er denn den Tango? Den Flamenco? Habe er Finesse? Doch Ram beginnt zu trommeln, und die beiden ungleichen Freunde fragen zurück, ob der Snob denn den neusten indischen Tanz kenne. Im folgenden Dance-off machen die beiden kurzen Prozess mit dem Kontrahenten und der Palastgarten verwandelt sich in ein Musikvideo, in dem sie anstrengungslos und lächelnd die Masse auf ihre Seite ziehen.

Auf globale Verhältnisse übertragen, hätte auch Hollywood RRR in den Staub geschubst haben können. Kenne der Film denn Color Grading? Könne er sein Drehbuch ausfeilen, bis ein kunstvolles Drama entstanden ist? Wisse er, wie Marken etabliert und verwaltet werden? RRR müsste verneinen, weil er auch keinen Sinn daran zu sehen scheint. Er hat dafür etwas anderes. Maßlosigkeit nämlich und unendliches handwerkliches Geschick. So wirken ganz im Gegenteil große Teile des kontemporären Hollywoodkinos im Angesicht der Werke von Regisseur S.S. Rajamouli verarmt und blass, wobei RRR eben keine Ausnahme macht. Als verstecke sich Hollywood hinter seiner Fähigkeit Bilder einzufärben und damit in einer totgetrampelten Melancholie. Hier wird stattdessen aus dem Handgelenk ein Feuer abgebrannt, ein Sturm entfacht.

Bei aller schamlosen Übertreibung eine Augenweide

Dabei wirft RRR nicht einfach hemmungslos mit Impressionen um sich, sondern ist bis ins letzte Glied expressionistisch und ausgearbeitet. Die Dramen, die Action, die Entwicklung der wendungsreichen Geschichte, alles ist auf den Punkt inszeniert, damit es die größtmögliche Wirkung entfalte. Weshalb der Film bei aller schamlosen Übertreibung eine Augenweide ist. Selbst der größte Wahnsinn der Actionsequenzen ist atemberaubend und mitreißend gefilmt und geschnitten, wobei zu jedem Moment genau zu sehen ist, was los ist und was auf dem Spiel steht. Spätestens wenn eine Zeitlupe fast pausiert, um nochmal zu unterstreichen, dass gerade jemand mit Wölfen, Tigern und Hirschen im Schlepptau über eine britische Armee herfällt und das wie der unglaubliche Auftritt zelebriert wird, der er ist, dann ruft der Film ebenso viele Spielberg-Faces bei seinem Publikum hervor, wie in ihm selbst zu sehen sind.

Es soll gar nicht darum gehen, dass das indische Kino – RRR ist keine Bollywood-Produktion, sondern kommt aus dem Telugu-Kino (Tollywood, wenn man so will) – besser ist als Hollywood. Sondern dass Rajamouli abermals beweist, dass er eine Bank ist, wenn es um aberwitziges, kreatives, gekonntes Kino geht. Wie in den vorangegangenen Filmen – Bāhubali: The Beginning (2015) und Bāhubali: The Conclusion (2017) – ist auf die Laufzeit doch zu merken, dass das durchgedrückte Gaspedal auch beim Zuschauer an die Substanz gehen kann, dass die zunehmende Konzentration auf Kämpfe und Schlachten ein wenig die Pausen oder das sonnige Gemüt der Tänze und der Zuneigung vermissen lässt. Aber diese Einschränkung ist nichts gegen das, was der Film auf der Habenseite hat.

Neue Kritiken

Trailer zu „RRR“


Trailer ansehen (1)

Neue Trailer

alle neuen Trailer

Kommentare

Es gibt bisher noch keine Kommentare.






Kommentare der Nutzer geben nur deren Meinung wieder. Durch das Schreiben eines Kommentars stimmen sie unseren Regeln zu.