Roter Himmel – Kritik
VoD: Mit Anleihen an die Romantik sieht Christian Petzold einer künstlerischen Krise ins Auge, ohne vor ihr zu kapitulieren. Roter Himmel lässt Natur und Liebe, Künstlerambitionen und einen tollen Song entbrennen.

Wieder ein ausbleibender Gegenschuss in einem Film von Christian Petzold. Wieder fehlt ein Bild: wie schon Nellys entstelltes Gesicht (Phoenix, 2014), wie schon der Fluchtpunkt von Georgs Hoffnungen auf ein Wiedersehen (Transit, 2018), wie schon die Gewissheit, dass Undine (2020) noch irgendwo in den Gewässern um Berlin anzutreffen ist. In Roter Himmel gibt es keine Antwort auf Nadjas (Paula Beer) Blick aufs weite Meer. Felix (Langston Uibel) hatte eine Fotoreihe von ihr am Ostseestrand geschossen, wollte sich damit an der Kunsthochschule bewerben, ein Foto der Porträtierten von hinten, eines vom Meer, eines vom Gesicht der Blickenden. Nun ist dieser letzte Gegenschuss weg, und da ist nur noch das weite, endlose, erhabene Meer, auf das geblickt wird, aber nicht mehr, wer da blickt und vor allem: wie der Blick aussieht. Das Unglaubliche bei Petzold ist, dass dieser so simple Trick immer wieder aufgeht, immer noch so viel zu erzählen, eröffnen, reflektieren vermag über die eigentlich viel zu großen Dinge, die seine Filme mit und über die Liebe erkunden: Liebe und das Lager, Liebe und Flucht, Liebe und Stadtgeschichte, nun Liebe und Natur.
In my mind…

Die Bilder fehlen, aber es gibt sie, weil es scheint, als hätten sie den Film nur verlassen, um woanders stattzufinden. Eine Abwesenheit, die kaum ein Regisseur so unprätentiös ins Werk fließen lässt wie Petzold, sie so sehr zum Prinzip erhebt, so sehr anwesend sein, auf Ausdruck beharren lässt. Vom Film getriggert entstehen sie in my mind, wie es dieser tolle, so lässig wie melancholisch vor sich hertreibende Song ausdrückt, mit dem man in Roter Himmel hineingleitet. Dabei würde sie Petzold vielleicht sogar zeigen. Schließlich zeigt er dann doch so vieles: Explizites, Erschreckendes, plötzlich über diese Ostseebad-Welt Hereinbrechendes, was eben noch ein paar Kilometer weg war. Aber Roter Himmel tut sich eben schwer damit, ringt sich jedes solcher Bilder ab, trägt eine sichtliche Verantwortung dafür, was und wie es gezeigt werden kann.
Manchmal aber kommt es einfach nicht dazu, obwohl es gehen würde, obwohl doch ständig eine Einladung ausgesprochen wird. Schuld daran ist meist Leon (Thomas Schubert), der gerade am langersehnten Nachfolger seines Debütromans schreibt, der aber schon im Titel so generisch nach „sich rücksichtslos ins Berliner Nachtleben werfen“ klingt, dass er eigentlich nur von jemandem geschrieben werden kann, der sich in nichts hineinwirft, aus allem ausklinkt, vollkommen verdutzt guckt, wenn jemand A sagt und dann auch A macht. Von einem, der einen wirklich so saublöden Satz hervorbringt wie: „Die Arbeit lässt es nicht zu.“ Und tatsächlich: Nichts lässt sie zu, keinen Gang oder Blick zum Meer, wenn Felix danach fragt, nicht einmal die Arbeit selbst, für die man doch extra ins Ferienhaus von Felix’ Mutter auf das Fischland gefahren ist.
… Love’s gonna make us blind.
Auch keine Romanze mit Nadja lässt die Arbeit zu, egal wie sehr ihre Blicke danach fragen, und erstmal auch nicht, dass wir Zuschauenden diese Nadja richtig kennenlernen könnten. So bekommt Paula Beer dann doch wieder dieses Petzold-Gespenstische, obwohl Roter Himmel erstmal alles andere als Petzold-gespenstisch daherkommt, sondern eigentlich ganz konkret beginnt: mit einer veritablen Autopanne, die die Abreise aus dem Ferienhaus nicht mehr so leicht macht. Mit Nadja und Devid (Enno Trebs) als unerwarteten Mitbewohnern darin. Mit Felix und seinem Tatendrang, mit einem Entwurf zum zweiten Roman, der wirklich nichts taugt und mit einem Feuer, das irgendwo in den Wäldern Mecklenburgs wütet, das aber, da ist sich Felix ganz sicher, noch weit weg ist.

Der einfache, unvermittelte Blick aufs Meer, auf die Natur – auch Petzolds Arbeit lässt ihn nicht zu: Nadjas letzter Versuch, Leon kennenzulernen, ist die nächtliche Einladung an den Strand zu den glühenden Algen. Und da ist es wieder, das in Roter Himmel fehlende, in den Kopf wandernde Bild: die versprochene Vorstellung, die sich nun bitte ganz unvermittelt auch auf der Leinwand entfalten soll, wenn Leon es nur zulassen würde, weil er doch dieser Protagonist ist, der es zulassen könnte. Aber: „Love’s gonna make us blind“, wie es die zweite Zeile des großartigen Songs verstehen will. Blind für das hier drinnen wartende Glück der Liebe selbst, blind für die da draußen wartende Katastrophe. Blind für den Zustand der Natur, der nicht mehr einfach als Erhabenheit abgebildet werden kann, wie es vielleicht die Romantik noch konnte, weil der Mensch dann erst begann, ihre Kraft gegen sie zu wenden.
Vulkanische Schönheit
Petzolds (nach Undine) zweite explizite Beschäftigung mit der Romantik fällt deutlich kritischer aus: Deswegen läuft die Verbindung über Heinrich Heine, der von Nadja am Esstisch rezitiert wird, wie nur Paula Beer rezitieren kann. Heine, der aus der Romantik kommend die Romantik überwand, nicht mehr die Liebe in den Gedichten, sondern ihre Repräsentationen selbst erschütterte. Die Romantik als Funke für eine Jahrhunderte schwelende Glut, die hier als Feuer sichtbar wird, aber ohne dass die Idee eines neuen Funkens verabschiedet werden müsste. Wie Petzold vergangene Kunstproduktion in seinen Film holt, um zu fragen wie die heutige gehen könnte, wie er den Blick in die Geschichte wagt, um die Möglichkeiten des eigenen Blicks auszuloten, vor dieser künstlerischen Krise steht, ohne vor ihr zu kapitulieren, aber auch ohne sie einfach zu lösen: Das ist die kaum zu überschätzende Bedeutung von Roter Himmel.
Am Ende dann nochmal der Blick eines Schriftstellers auf die Natur, nachdem sie entbrannte und verbrannte: ein verkohltes Paar, Arm in Arm verstorben, Matthias Brandts unverwechselbare Vorleserstimme und fehlende Tränen im Gesicht des Autors mit den nicht aufhören wollenden Gedanken an die Romantik Pompejis, an die Schönheit des Ascheregens, an die vulkanische Naturgewalt, die sich abermals vor den Blick auf die eigentliche Katastrophe geschoben hat – und ein Song, der diesen Film beschließt, nachdem er ihn eröffnet hatte, nachdem er ihn mittendrin noch einmal beseelte und der überall nachhallt, wo man auch hinhört: „In my mind / love is gonna make us blind.“
Den Film steht bis 26.11.2025 in der Arte-Mediathek.
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