Rimini – Kritik
VoD: Ulrich Seidl schleppt seinen neusten Loser durch die Abgründe des Billig-Urlaubs. Rimini erzählt dabei mehr über das Auswahlverfahren von A-Festivals als über konsumfreudige Golden-Ager.

„Especiale per te“, „Dolce Vita!“, „Amore“, „Ciao grazie“: Die italienischen Allgemeinplätze überschlagen sich im Mund von Richie Bravo (Michael Thomas), wenn er mit all den Golden-Ager-Frauen flirtet. Meistens passiert das in Ulrich Seidls neuem Film nach seinen Shows auf den Bühnen, na ja, sagen wir: kleinen Podesten in den Billighotels von Rimini. Sein Gehilfe drückt auf Play für die (manchmal auch falsche) Synthie-Melodie, und Richie ist in seinem Element: Mit der Intonation von Schlager-Klassikern verführt er die Damen, und für die richtigen Fans gibt’s gegen Aufpreis sogar noch ein bisschen Sex. Auf den Bühnen sitzen der Glitzeranzug, die Schlangenleder-Schuhe, die Rose am Revers und die blondierten Haare, ansonsten sitzt Richie in irgendwelchen Spielotheken oder schäbigen Strandbars mit Unterhemd und pelzig aussehendem Fellmantel.
Realabstraktion Rimini

Es ist vielleicht kein Zufall, dass Ulrich Seidls neueste Loser-Figur in seiner ganzen Erscheinung so sehr an den großen Comeback-Auftritt von Mickey Rourke in The Wrestler erinnert: Rimini geht es um eine Welt, in der Lebenswege mehr nach einem berühmten Vorbild gebaut sind, als dass dabei eine eigene Handlungsmacht am Werk wäre. Überall hängen solche Charakter-Schablonen: in Richies österreicherischem Kinderzimmer strahlen Roy Blacks weiße Zähne von der Wand, scheint Charlton Heston nie gestorben zu sein, im Fitnessstudio gibt es Bruce Lees gestählte Muskeln, und in Richies Haus (die von ihm so genannte „Richie-Bravo-Villa“) hängt vor allem der „Maestro“ des Schlager-Imitats selbst, mit ordentlicheren Haaren und besserer Figur.

Letzteres in Überlebensgröße, versteht sich! Und das ist wichtig, denn alles ist hier Realität gewordene Abstraktion. Die Welt in Seidls erstem Spielfilm nach neun Jahren lebt nur noch von dem Bild, das sich für sie eingeschliffen hat. Das gilt natürlich vor allem für Richie, von dem seine Rentner-Groupies vielleicht meinen, er sei ein toller Sänger oder ein wahnsinniger Liebhaber, ihn entsprechend noch irgendwelche Sprüche in die Handykamera sagen lassen. Aber ehrlicherweise ist die viel erprobte Stimme komplett unterdurchschnittlich, und auch der Sex ist letztlich mehr eine traurige als aufregende Angelegenheit für alle Beteiligten. Und all das gilt auch für den Ort Rimini selbst, der hier eigentlich nichts mit einem Urlaubsparadies für konsumfreudige Europäer zutun hat. Stattdessen frieren hier Geflüchtete, verkommen die Hotels und Strandbars, legt sich grauer Schnee und weißer Nebel über den Strand.
Ein bisschen Handlung schon zu viel

Seidls Werke, gerade die Spielfilme, sind eigentlich im besten Sinne kaum zu ertragen. Und das geht meistens so auf, weil der Österreicher dabei ein paar Balanceakte meistert: empathisch zu sein, ohne die Gewalt, die Traurigkeit, den Abgrund zu unterschlagen. Seine Figuren auszustellen, ihr Verhalten zu beobachten, und ja: irgendwie auch nachvollziehbar zu machen, ohne dabei wie der große Lenker im Hintergrund zu stehen. Im besten Fall baut Seidl ein Diorama, in dem sich seine Darsteller*innen im wahrsten Sinne des Wortes aneinander reiben, sich abstoßen, tiefe Schluchten aufreißen, den Rhythmus des Films entscheidend mitbestimmen.

Nicht dass Michael Thomas nun in Rimini keinen großen Auftritt hätte, aber doch ist es hier eher Seidl allein, der ein paar vorher ausgedachte Ideen verwirklicht sehen will. Und so entwickelt Rimini gefühlt einen deutlichen schnelleren Rhythmus, als ihn etwa noch seine Paradies-Trilogie hatte. Immer wieder müssen neue Szenen- und Plotideen eingestreut werden, die die Welt und ihre Bewohner*innen kaputt sieht, ohne dass sie uns davon selbst überzeugen darf. Da muss Richie dem Baby seiner Schwarzen Haushälterin dann kurz ein Koloniallied vorsingen, soll Hans Michael-Rehberg in seiner letzten Filmrolle als Richies Vater eine Nazi-Vergangenheit auspacken, und eigentlich ist schon Richies Tochter Tessa, die dem Film erst so etwas wie einen typischen Konflikt gibt (sie will Geld von dort, wo es keines gibt), eine viel zu große Setzung.
Durch einen Film geschleppt werden
So ist Rimini eben erneut ein Geschleppe, nur eben nicht, weil seine Darsteller auch glaubhaft etwas leben, was sich nur widerwillig „Leben“ nennen lässt, sondern weil ein Regisseur ganz schön Mühe hat, seine Laufzeit nicht mit ewigen Wiederholungen zu füllen. Vielleicht macht Rimini also vor allem sichtbar, dass so ein A-Filmfestival mit großen Regie-Namen auftrumpfen will, komme von ihnen, was wolle. Rimini fragt: Würde sich jemand für Richie interessieren, wenn er nicht der ‚große Richie Bravo‘ wäre? Ich frage mich: Würde sich der Wettbewerb für Rimini interessieren, wenn er nicht von Ulrich Seidl wäre?
Der Film steht bis 22.09.2025 in der Arte-Mediathek.
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