Rheingold – Kritik

Flucht aus dem Iran, Dealen in Deutschland und ein spektakulärer Bankraub: In Rheingold erzählt Fatih Akin die Geschichte des Rappers Xatar eher als Lausbubengeschichte denn als Mafia-Epos – und mixt deutsche Folklore mit Motiven des Gangsta-Rap.

Kaum in Bonn angekommen, zeigt der kurdische Komponist Eghbal Hajabi (Kardo Razzazi), der mit seiner Familie nach der islamischen Revolution aus dem Iran fliehen musste, seinem Sohn Giwar (Ilyes Raoul) die Oper. Dort würden Geschichten mit Musik erzählt, erklärt er ihm. Und liefert damit das Leitmotiv von Rheingold, Fatih Akins Verfilmung der Biografie des Rappers Xatar, bürgerlich Giwar Hajabi. Von der Flucht aus dem Iran wird dabei erzählt, von der Jugend in Deutschland, der Drogendealerkarriere, einem spektakulären Raubüberfall, bei dem Gold im Wert von 1,7 Millionen Euro erbeutet werden, und den folgenden Haftaufenthalten in Syrien und Deutschland.

Flair eines Rap-Songs

Die Musik und der Hip-Hop werden aber nur sporadisch aufgegriffen, sie bilden vielmehr den Fluchtpunkt, auf den alles hinläuft. Es wird nur mehrmals erwähnt, dass Eghal Hajabis Musik persische Folklore mit westlicher Musik verbindet, dass Giwar (mittlerweile: Emilio Sakraya) wiederum die Musik seines Vaters mit Hip-Hop-Beats mixt. Musikalisch ist Rheingold stattdessen darin, dass Akins neuer Film das Flair eines Rap-Songs zu imitieren versucht. Er kombiniert deutsche Folklore (das Rheingold, denn der Verbleib der 1,7 Millionen bleibt das Zeug für Legenden) mit der Folklore des Hip-Hop, mit den Erzählungen der Straße, des Gangsterlebens und der realness.

Die verschiedenen Stationen des Entwicklungsromans des Giwar Hajabi, der Xatar werden wird, arbeitet der Film deshalb auch nicht aus. Sie sind kurze, verständliche Motive im stetigen Fluss einer Erzählung, die nirgendwo allzu lange verweilt. Der Iran der Kindheit besteht aus einem von Islamisten gestürmten Konzertsaal und der Wüste, in der sich der Widerstand verliert oder durch die geflohen wird. Das Deutschland der Jugend wiederum besteht aus Symbolen eines ausschließenden Wohlstands – in Form der Oper und des Gymnasiums – und der sozialen Verwahrlosung – ein von einer Bande regierter, trostloser Basketballplatz. In Villen und Geschäftsräumen wird verhandelt, auf der Straße lauern die Gegner. Und so weiter. Die Räume und das Geschehen entsprechen sich dermaßen, dass alles schon verstanden ist, wenn die Szenen neu ansetzen.

Alles im Griff, alles tragisch

In diesen simplen Entsprechungen wird die harte Authentizität des Protagonisten auf kleinem Raum inszeniert. Seine gewitzte Herausforderung des Status quo. Dass er für seine Mutter und seine Schwester auf die schiefe Bahn gerät, weil der Vater in Bonn sofort abhaut, sobald Geld und Prestige locken. Giwar beginnt Drogen zu dealen und raubkopierte Pornos zu verticken, damit seine Mutter nicht mehr so schwer arbeiten muss. Nur unschuldige, kleine Dinge tut er, während er zunehmend in mafiöse Kreise abdriftet, die er bewundert und vor denen er zurückschreckt. Er hat alles im Griff, und doch ist alles tragisch. Seine Jugendliebe wird er von sich überzeugen und trotzdem viril durchs Nachtleben Amsterdams und Syriens streifen.

Im Großen und Ganzen werden also klassische Klischees des Gangsta-Rap wiedergegeben, und den Inhalt von Rheingold kennen wir so oder so ähnlich schon von N.W.A., 2Pac und Bushido. Aber wie im Rap geht es weniger um das Große und Ganze. Die vermeintliche Authentizität der harten Biografie bildet nur den Hintergrund. Wo in der Musik die kunstvollen Reime und die aggressiven bis melancholischen Beats im Mittelpunkt stehen, da sind es hier die inszenatorischen Einfälle, das (meist gut aufgelegte) Schauspiel und die atmosphärischen Brüche, die Rheingold seine Identität geben.

Auch ein Comic

Vor allem geht Akin, dessen Debütfilm Kurz und schmerzlos (1998) noch Scorseses Hexenkessel (Mean Streets, 1973) würdigte, nicht in die Falle, die Geschichte allzu ernst zu nehmen. Er macht aus dieser Biografie kein Mafiaepos, sondern eher eine Lausbubengeschichte, die hier und da eskaliert, weil der Protagonist völlig naiv und unreflektiert sein Gangsterimage zu füllen versucht. Die Highlights des Films sind denn auch die Kampfschule bei einem bulligen Straßenkämpfer, zwielichtige Gangstergestalten im absurden Fatsuit, die Badelatschen, mit denen man aus einer syrischen Luxusoase vor Soldaten in die Wüste flieht, oder die groteske Kluft zwischen den arabischen Kerkern mit ihrer Folter und Unmenschlichkeit und der deutschen Vollzugsanstalt mit höflichen Beamten, die auch mal für die eigenen Kinder nach Autogrammen fragen.

Der wohl beste oder unverschämteste Moment ist eine Hommage an Hitchcocks Die Vögel (The Birds, 1963). Hinter dem Chef eines niederländischen Türsteherkartells versammeln sich Xatars Schläger. Der Blick des ahnungslosen Opfers wird einem der Schläger folgen und schließlich bei einer bedrohlichen Ansammlung enden. Bei aller Betonung von Authentizität ist der Film doch auch immer ein Comic.

Zwielichtiges BWL-Epos

Als Giwar beginnt, sein Label aufzubauen, hört er von einer rappenden Prostituierten. Er geht umgehend in den Puff und möchte etwas von ihr hören – es geht dabei um Schwester Ewa, einen der später erfolgreichsten Acts des Labels. Was er da zu hören bekommt, sei ziemlich schlecht, urteilt er, aber real – und werde deshalb funktionieren. Wenn im Abspann dann Xatar zu hören ist, könnte das gleiche Urteil gefällt werden. Auf den Listen der kreativsten und besten Rapper wird er wohl nie auftauchen, aber seine Geschichte ist eben real. Und Ähnliches könnte man auch über Rheingold sagen. Es ist vielleicht kein herausragender Film und nicht Akins bester, aber als luftige Gangsta-Rap-Erzählung und zwielichtiges BWL-Epos, in dem es ständig um Geschäfte geht, besitzt er seine eigenen, mitreißenden, ambivalenten Qualitäten.

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