Return to Dust – Kritik

Armut, Arbeit und arrangierte Ehe. Li Ruijuns Return to Dust blickt auf das Landleben im kargen, vom Wirtschaftswunder vergessenen Nordwesten Chinas – und steuert mit viel Geduld auf ein Bild hin, das sitzt.

Ein Großteil der chinesischen Filme, die in den letzten Jahren auf großen europäischen Festivals zu sehen waren, spielen im städtischen Milieu. Das mag damit zu tun haben, dass westliche KuratorInnen mit den Sorgen der urbanen Mittelschicht mehr anfangen können als mit den Alltagsproblemen der mehr oder minder armen Landbevölkerung. Es mag aber auch an der Filmförderung und Zensur innerhalb der Volksrepublik liegen, schließlich zieht die Regierung ihre Legitimität nicht aus dem Willen des Volkes, sondern vor allem aus dem steten Wirtschaftswachstum und der damit verbundenen Ausweitung des relativen Wohlstands.

Ab und zu blickt aber doch mal ein Film auf das Dasein von der Hand in den Mund lebender Bauern, von denen es in China immer noch ein paar Hundert Millionen gibt. Zhang Miaoyans Black Blood (2011) war so ein Werk: Ein Paar im kargen, wüstenartigen Nordwesten des Landes verkauft sein Blut, um dem gemeinsamen Kind ein besseres Leben zu ermöglichen. Auch Li Ruijuns Wettbewerbs-Beitrag Return to Dust (Yin Ru Chen Yan) spielt in einem vom Wirtschaftswunder vergessenen Dorf im Nordwesten – und auch hier wird Blut umverteilt, von den Armen auf dem Land an die Reichen in der Stadt.

Liebe ist: Urin wegwischen

An ein gemeinsames Kind ist bei Ma (Wu Renlin) und Guiying (Hai Qing) allerdings nicht mehr zu denken. Die beiden Mittfünfziger, die einander kaum kennen, wurden von ihren Verwandten in eine arrangierte Ehe gesteckt – so richtig gefragt hat sie niemand. Und so schauen wir zu, wie diese zwei verhärmten Einzelgänger sich nach der Eheschließung langsam gegenseitig kennenlernen, erst neben- und irgendwann miteinander leben.

Anfangs wissen beide kaum irgendwas mit dem Anderen anzufangen, doch nach und nach wächst zwischen ihnen eine Zuneigung, die sich nicht aus Leidenschaft speist, sondern aus Gewöhnung und Fürsorge. Er steckt ihr immer wieder Essen zu und wischt ihre unfreiwilligen Ausscheidungen weg – sie sagt ihm, er solle vorsichtig fahren und wartet mitten in einer eisigen Nacht stundenlang draußen, um ihn mit heißem Tee zu empfangen. Vielleicht ist das die wichtigere Form von Liebe.

Der gute Mensch von Gansu

Für die Frage, ob arrangierte Ehen letztlich glücklicher sind, interessiert sich Li Ruijun dann allerdings nicht. Stattdessen zeigt er uns den harten Alltag des Landlebens am Rande des Existenzminimums: Samen sortieren, Mais säen, den Boden pflügen, ernten, aus Lehm Ziegel machen, Ziegel transportieren, aus den Ziegeln ein Haus bauen. Alles erwächst hier aus dem Boden, dem titelgebenden Staub, der sich mit seinen vielen Grau-Brauntönen in den Film einschreibt.

Die Figurenzeichnung gerät dabei allerdings etwas unterkomplex: Insbesondere Ma – der gute Mensch von Gansu – wirkt wie die Verkörperung reiner Güte. Immer ist er sanft, hilfsbereit und rechtschaffen, opfert sich auf für seine Frau, lässt sich von Fremden ausnutzen, zahlt jedes Geschenk doppelt und dreifach zurück. Umso deplatzierter wirkt die einzige Szene, in der er doch plötzlich mal – wie aus dem Nichts – zornig und bösartig wird. Zudem wirken die vielen kleinen Gesten, mit denen der Film die Zuneigung der Beiden unter Beweis stellen will, irgendwann überbetont und redundant. Auch Mas Arbeitstier – ein unerschöpflich rackernder, keineswegs sturer Esel – winkt etwas zu sehr mit dem Zaunpfahl.

Stärker sind die geduldigen Aufnahmen der schweren körperlichen Arbeit. Mit ihnen steuert Return to Dust quasi zwei Stunden lang auf die letzte Einstellung hin. Der Mittelteil mag etwas durchhängen, doch dieses letzte Bild sitzt. Es ist unspektakulär und doch brutal – eine sorgfältig vorbereitete Metapher für die soziale Kälte, die mit dem Turbokapitalismus einher geht, der Hunderte Millionen Chinesen aus der Armut befreit hat und doch viele andere im Staub liegen lässt.

Neue Kritiken

Trailer zu „Return to Dust“


Trailer ansehen (1)

Neue Trailer

alle neuen Trailer

Kommentare

Es gibt bisher noch keine Kommentare.






Kommentare der Nutzer geben nur deren Meinung wieder. Durch das Schreiben eines Kommentars stimmen sie unseren Regeln zu.