Red Rooms - Zeugin des Bösen – Kritik
Die morbide Neugier einer Frau für einen Snuff-Mörder ist auch die unsere: Pascale Plantes Red Rooms ist zugleich Gerichtsdrama und Psychothriller und konstruiert ein plattitüdenfreies Dreieck zwischen Medien, Publikum und Gewalt.

Ein grauer, klinischer Gerichtssaal. Hier der Richter im Talar, dort die Geschworenen, auf der anderen Seite, eingefasst in einen Glaskasten, der Angeklagte. Grau und ausdruckslos lauscht Ludovic Chevalier (Maxwell McCabe-Lokos), den wir bald als den „Dämon von Rosemont“ kennen werden, den Anklagepunkten. In einer ungebrochenen, mehrminütigen Plansequenz schwebt die Kamera durch den Saal, während die Anklägerin (Natalie Tannouse) das Vorgehen des Mörders umschreibt. Drei Mädchen habe er entführt, in sogenannten Red Rooms ihre rituelle Hinrichtung gefilmt und die Videos im Dark Web zum Verkauf angeboten. Eigentlich sollte es ein Segen sein, als Publikum Genaueres erspart zu bleiben. Doch mit jedem Detail, das in dieser eindrucksvollen Szene über den Mordverlauf gestreut wird, wächst eine morbide Neugier heran.
French Canadian Psycho

Kelly-Anne (Juliette Gariépy) fügt sich organisch in das kühle Grau des Raumes ein. Ihr Blick wandert vom mutmaßlichen Täter im Glaskasten zur aufgelösten Mutter (Elisabeth Locas) eines Opfers, beobachtet gebannt ihre Körperhaltung und vor allem ihre Blicke, als versuche sie, sich zwischen den beiden zu verorten. Ihre obsessive Faszination für die Gewalttat liegt jetzt schon auf der Hand. Im Laufe des Films wird diese weiter wachsen, bis die Grenzen zwischen Zuschauerin und Teilnehmerin, Mitgefühl und Sensationslust verschwimmen, bis die Konturen ihres Selbstbildes sich in gleißendem Rot auflösen werden.
In ihrem schwarzen Rollkragenpullover erinnert Kelly-Anne manchmal an ein Update von Patrick Bateman aus American Psycho (2000): hochfunktional und begabt, doch eine klaffende Leere hinter ihrem glatten Antlitz. Der große Unterschied liegt aber, brüchig und vielschichtig dargestellt von Gariépy, in ihrem Versuch, diese Leere mit etwas zu füllen. Mit einer Emotion, einer menschlichen Wärme, die sich ausgerechnet außerhalb ihrer grauen Welt im suggestiven Rot der Red Rooms widerspiegelt. Durch sie konstruiert der französisch-kanadische Regisseur Pascal Plante einen komplexen Kommentar über die Dreier-Beziehung zwischen uns, den Medien und der Gewalt.
Kühle Charakterstudie

Das thematische Konstrukt des Films scheint beizeiten einen sehr deutlichen moralischen Zeigefinger zu heben: Auf übergroßen Bildschirmen verzerren die Gäste einer Boulevard-Talkshow den Gerichtsprozess zur Vorabend-Unterhaltung; umgeben von Online-Pokerspielen und Snuff-Filmen zeigt Kelly-Anne die emotionale Abgestumpftheit gegenüber der ständigen Präsenz von Gewalt in allen Ecken der digitalen Welt. Also: Sobald es seinen Weg auf unsere Bildschirme findet, ob Promi-Gossip oder Homizid, ist alles Eskapismus, ist alles Spiel. So weit, so gut. Red Rooms verliert sich aber glücklicherweise nicht in platten Statements à la „We live in a society!“, sondern präsentiert sich als kühle Studie moralisch grauer Figuren, in denen wir uns selbst wiederfinden.
Köstlicher Widerspruch

Nach realen Bezügen zum Film müssen wir nicht lange suchen. Die Streaming- und Podcast-Landschaft verwandelt in Windeseile reale Tragödien zur kurzweiligen Thriller-Unterhaltung. Später trifft Kelly-Anne außerdem auf die manische Clementine (Laurie Babin). In ihrer blauäugigen Starre kommt diese wie eine satirische Zuspitzung derer daher, die 2022 den Schauspieler Johnny Depp allein schon aufgrund seines sympathischen Gebarens von Anschuldigungen der häuslichen Gewalt freisprachen und ihren geballten Hass auf die Anklägerin Amber Heard fokussierten. Auch hier wurden, wie in Red Rooms, Mimik und Gestik der einzelnen Figuren auf Brüche und Schwächen untersucht; Live-Kommentare und Video-Essays schufen ein kurzzeitiges, lukratives Sub-Genre.
Pascal Plantes intelligentes Drehbuch greift all diese gesellschaftlichen Bezüge in einem Mix aus Gerichtsdrama und Psychothriller auf, der sich trotzdem beizeiten klein und persönlich anfühlt. Red Rooms wohnt dabei ein Widerspruch inne: Der Film hinterfragt die mediale Ausschlachtung von Leid und Schmerz, doch ist ja gerade in seiner Art der Aufarbeitung irgendwie verrucht und köstlich. Wir als Publikum können unsere eigenen moralischen Fragen in dem stylischen Film analysieren und gleichzeitig unserer eigenen morbiden Fantasie freien Lauf lassen. Je stärker die Empathie, je erschütternder das angedeutete Leid, desto intensiver der Grad an Unterhaltung. Red Rooms deckt diese Widersprüche auf und lässt uns an der Scham Freude empfinden.
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