Reality – Kritik
Tina Satters Film über die Whistleblowerin Reality Winner ist kein Biopic, sondern audiovisuelle Aufbereitung ihrer Entlarvung durch das FBI. Die Bilder knirschen dabei gewaltig – bis Reality schließlich komplett mit seiner „Objektivität“ bricht.

Reality – zum einen ist das schlicht der Name der Protagonistin. Reality Winner wurde 2017 als Whistleblowerin entlarvt, nachdem die Sprachwissenschaftlerin bei einer Dienstleisterfirma der NSA klassifizierte Informationen zur russischen Einflussnahme bei der Trump-Wahl 2016 ans News-Portal The Intercept weitergegeben hatte. Der Film ist jedoch kein Biopic über Reality Winner, vielmehr audiovisuelle Aufbereitung dieser Entlarvung, der Konfrontation mit dem FBI.
Was hier gesagt wird, ist „wahr“

Denn Reality, das ist auch wörtlich zu verstehen. Die für die Seherfahrung wichtigsten Sätze des Films werden nicht ausgesprochen, sie erscheinen nach drei Minuten – zuvor sieht man Winner in ihrem Büro sitzen, in ihrem Auto heimfahren – als Text auf der Leinwand: The FBI documented the following events with an audio recorder. The dialogue in this movie is taken entirely from the transcript of that recording. Diese Sätze bilden die erste und klarste Authentifizierungsstrategie des Films – was hier gesagt wird, ist „wahr“, ist wirklich passiert, Realität.
Immer wieder springt Tina Satters Film ab nun von den Spielfilmszenen, die Sydney Sweeney als Reality Winner beim Verhör mit zwei FBI-Agenten zeigen, zu vermeintlich „echten“ Bildern, zu Dokumenten: Da werden Audiowellen mitsamt Dateinamen eingeblendet, die die Authentizität des Tons untermauern sollen, Bilder des besagten Transkripts der Aufnahme. Wird Reality im Film von einem der FBI-Agenten fotografiert, erscheint das echte Foto der echten Reality Winner vor ihrem echten Haus.
Die Spielfilmszenen, die den Großteil der rund 80 Minuten Laufzeit ausmachen, befinden sich im Spannungsverhältnis zu diesen „Realitätsbildern“: Die Kamera bemüht sich zwar über große Strecken, nüchtern und sachlich auf die Ereignisse zu blicken, Schuss-Gegenschuss, viel passiert nicht im Bild. Und doch knirschen diese Bilder gewaltig, gerade weil sie trotz aller Zurückgenommenheit über keine offensichtliche Rückendeckung einer dokumentierten „Wahrheit“ verfügen, weil sie ihre Gemachtheit nicht verbergen.
Das Wichtige wird zur Leerstelle

Dieser Aspekt ist vielleicht das Spannendste an Reality – die Bilder stellen sich ihrem Verhältnis zum Dokument, zwangsläufig und permanent, wirken (trotz oder wegen ihrer Nüchternheit) auf eine nicht ganz greifbare Art deplatziert. Vermittelt der Text aufgrund besagter Authentifizierungsstrategien den Anschein einer gewissen Objektivität, negieren die Bilder diese zum Teil, färben in ihrer Hergestelltheit auch auf die anderen Elemente des Films ab.
Diese Infragestellung des Wahrheitsgehalts von Reality verläuft zunächst noch subtil – deplatziert, ausgestellt wirkt schon vor der bestimmenden Texteinblendung allein die Filmmusik. Düstere Synthesizerklänge vermitteln Spannung, wo im Bild keine zu sein scheint, spielen von Beginn an mit den Erwartungen: dramatische Musik, das gehört sich so in einem Politthriller, der dazu auch noch auf wahren Begebenheiten beruht – hier passiert Wichtiges.
Doch das Wichtige wird zur Leerstelle: Der Film bricht schließlich komplett mit seiner Objektivität, indem er das „Drehbuch“ – oder Dokument – ernst nimmt. Die inhaltlich relevanten Passagen darin sind geschwärzt, immer wieder stößt der Film in diesen Passagen an Dead Ends, dann setzt ein Dröhnen ein, Bildstörungen lassen Figuren schlagartig verschwinden und wieder auftauchen. Wie die klassifizierten Dokumente, die Winner in der Reality geleakt hat, nicht für alle bestimmt waren, so sind es auch Passagen des FBI-Dokuments nicht, damit auch nicht die entsprechenden Passagen des Films, der in diesen Momenten mit der Illusion einer kohärenten, gar „wahren“ Wiedergabe bricht.
Knallen tut’s höchstens im Kopf

Ob diese Geheimhaltung – ob bei FBI oder NSA – nun so oder so zu bewerten ist, diese Entscheidung nimmt der Film uns nicht ab, durch die Wiederholung der Zensurmechanismen, die Fokussierung auf das Geheimnis als Vorenthaltenes, entwirrt er jedoch ein wenig die Ebenen, findet Mittel zur Offenlegung der Strukturen von Machthaber/Zensor und im Dunkeln tappender Zuschauer*innenschaft. Objektiv ist auch der Text des Films nicht, was gesagt wird/werden darf, sind größtenteils Banalitäten – ewig lange geht es um CrossFit oder darum, ob Realitys Katze nun unter oder auf dem Bett liegt. Die große Klimax (gehört sich nicht auch die in solchen Filmen?) bleibt aus, fehlt – knallen tut‘s höchstens im Kopf.
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