Rave On – Kritik
Viktor Jakovleski und Nikias Chryssos verdichten in Rave On ihre Club-Erfahrungen zu einer tragisch-komischen Odyssee – Ecstasy, Ketamin-Koma und Erleuchtung inklusive.

Kann man einen Rave filmisch einfangen? Die intensive Cluberfahrung so reproduzieren, dass sie fürs breite Kinopublikum nachempfindbar wird? Und wenn ja, ist das überhaupt erstrebenswert? Oder Verrat an der eingeschworenen Raver-Community, für die das entgrenzende Wir-Gefühl nur live, in der schwitzig-trippigen Club-Gemeinschaft zu haben ist? Solche Gedanken müssen Viktor Jakovleski und Nikias Chryssos durch den Kopf gegangen sein, als sie die Idee zu Rave On entwickelten, einem Spielfilm über eine wilde, drogensaturierte Nacht im Techno-Club. Die beiden Filmemacher sind selbst leidenschaftliche Raver, wissen also, was auf dem Spiel steht. Das hat sie zum Glück nicht von dem Projekt abgebracht.
Im Drogendusel durch Lüftungsschächte kriechen

Los geht’s gleich mit wummernden Beats und Strobolicht. Zum treibenden Elektro-Sound zucken Blitze über die Leinwand wie bei der Lightshow im Techno-Schuppen. Erst nach ein paar Minuten im Dunkeln setzt die eigentliche Filmhandlung ein. Ein junger Mann mit Stoffbeutel über der Schulter steht in der Schlange vorm Eingang eines namenlosen Clubs. Es ist noch hell, das Ambiente industriell-ruinös, das Publikum aufgekratzt. „Du heute nicht!“ - so wird Kosmo (Aaron Altaras), der Typ mit dem Beutel, vom Türsteher unwirsch abgewiesen. Dabei will er nur mal kurz rein, um DJ-Legende Troy Porter die Probepressung seines neusten Tracks in die Hand zu drücken. Früher war Kosmo selbst ein angesagter DJ. Doch irgendwie hat er die Kurve nicht gekriegt. Jetzt will er mit neuer Musik noch mal durchstarten. Die hat er für sein Detroiter DJ-Idol extra old-school-mäßig auf Vinyl pressen lassen.

Über Umwege und Beziehungen schafft er es dann doch in den Club. Es beginnt ein furioser Trip durch die Eingeweide des Techno-Tempels. Kosmo trifft auf Freund:innen von früher, die ihm gleich Ecstasy in den Mund schieben, obwohl er eigentlich nüchtern bleiben wollte. Stattdessen schnüffelt er schon bald auf siffigen Toiletten Ketamin, tanzt bis zur Erschöpfung, hat wilde Halluzinationen, will unbedingt zu Troy in den Backstage-Bereich, wird rausgeschmissen, schnupft noch mehr K, verliert den Beutel mit der Schallplatte, kriecht im Drogendusel durch enge Lüftungsschächte. Oder ist das nur eine weitere Horrorvision? Um wieder klar zu werden, nimmt er Kokain und dreht dann völlig durch. Irgendwann landet Kosmo komatös im Sanitäterraum, wo eine liebevolle Awareness-Person ihn mit Tee aufpäppelt und zu guter Letzt doch noch zu kosmischer Erleuchtung verhilft.
Mit echten Clubkids

Klingt atemlos, rauschhaft und irgendwie auch abgefuckt. Genauso haben es Jakovleski und Chryssos inszeniert. Das Regie-Duo entschied sich für einen halb-dokumentarischen Ansatz und drehte in einem echten Techno-Club mit Live-Publikum und ballerndem Soundsystem – nein, nicht im Berghain. Berlins Kultclub bleibt bei seinem strikten Kameraverbot. Für die Dreharbeiten fanden die Filmemacher eine andere Techno-Location, in der sie Rave-Parties mit echten Clubkids organisierten und in diesem Setting dann ihre Drehbuchhandlung einbetteten.

Die Steady-Cam (Jonas Raphael Schneider) klebt fast nur am verpeilten Hauptdarsteller. Wir sehen das Geschehen durch Kosmos MDMA-geweitete Augen. Die nebulöse Handlung und die Dialoge wirken improvisiert, seine verzerrte Wahrnehmung wird durch Unschärfen, Doppelbilder und extreme Kamerawinkel nachgeahmt. Das funktioniert im Kino überraschend gut – besonders wenn das Soundsystem auf Clublautstärke aufgedreht ist und die Bässe das Bauchfell vibrieren lassen. Dann fühlt es sich tatsächlich fast so an, als sei man mittendrin im Techno-Nightlife und erlebt die Stimmungs- und Erregungskurven der Raver-Community hautnah mit.
Mitwippen beim Abspann

Es geht um Weltflucht und Selbstfindung, vor allem aber um das tranceartige Gemeinschaftsgefühl unter den Ravern, das kathartisch oder auch traumatisch sein kann – je nach Stimmung und Drogencocktail. Die Odyssee vom verlorenen DJ-Wunderkind, das gegen Widrigkeiten kämpft, nimmt ein paar unerwartete Wendungen, nebenbei teilt der Film durchaus kritische Seitenhiebe auf die Techno-Szene aus, in der das Leben eine einzige Rave-Party ist, man aber schwer würdevoll altern kann. Kosmo trifft im Club seinen ehemaligen Musik-Professor, der ihm als Student einst großes Talent bescheinigte,und jetzt völlig ausgebrannt durch den Club torkelt. Auch seinem einstigen DJ-Partner Klaus (Clemens Schick) begegnet er. Der läuft als Mittfünfziger immer noch mit kurzen Hosen rum, reißt zynische Sprüche und gesteht irgendwann, dass er in seinem öden Dayjob Regale zusammenbaut. Natürlich werden auch gewichtigere Diskurse gestreift, etwa wie aus dem rauen Elektrosound des Detroiter Undergrounds die weichgespülte Techno-Suppe werden konnte, zu der die Massen heute von Ibiza bis Goa tanzen. Oder wem die Musik eigentlich gehört: den Produzent:innen oder allen Musikfans, die daraus ständig neue Techno-Tracks mischen?

Musik ist das tragende Element des Films. Der dancefloor-taugliche Soundtrack von Ed Davenport (alias Inland), einem Technokünstler, der regelmäßig in den größten Clubs der Welt auftritt, wummert das Pathos aus allzu tragisch-komischen Szenen weg und übertönt auch manche schauspielerische Schwäche. Wenn der Held am Ende nach seiner wüsten Rave-Nacht selig aus dem Club ins Helle tritt, möchte man selbst lieber noch ein bisschen länger im dunklen Kinosaal verweilen, Mitwippen zu den Drum & Base-Klängen des Abspanns und dabei überlegen, ob sich das Schlangestehen vorm Berghain mal wieder lohnen könnte.
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