PTU (Police Tactical Unit) – Kritik
VoD: Kaum ein Filmemacher braucht das extreme Breitwandformat so sehr wie Johnnie To. Wenn Cops und Gangster aufeinanderprallen, wird PTU (2003) von einer Noir-Aktualisierung zu einem Spiel auf großer Bühne.

Was haben Akira Kurosawa, Don Siegel und Johnnie To abseits ihrer Vorliebe für männerlastige und betont kinetische Genrestücke gemeinsam? Sie haben alle drei einen Thriller gedreht, in dem ein Polizist seine Dienstwaffe verliert. Eine Art Subgenre des Polizeifilms? Es ist jedenfalls eine symbolträchtige Fehlleistung, die die Filmhelden so schnell wie möglich auszubügeln haben. Schließlich ist damit der Gesetzeshüter seines wirksamsten Mittels beraubt, seine Macht buchstäblich in Händen zu halten. Vom Ehrverlust einmal ganz zu schweigen. Noch schlimmer ist jedoch, was der Revolver in der Hand eines anderen alles anrichten könnte. Was ist, wenn mit ihm jemand ermordet wird? Spätestens dann hätte sich wohl der obligatorische Run auf den nächsthöheren Dienstrang, der den Filmcop naturgesetzartig anzutreiben scheint, erübrigt.
Am besten wäre es, die Waffe käme zurück, ohne dass die Umwelt überhaupt von ihrer Abwesenheit Wind bekäme (im Polizeifilm ist die sensationsgeile Presse ja so etwas wie der Intimfeind des Detectives). Und so geht man im Großstadtdschungel auf die Jagd – während einem die Zeit, die Vorgesetzten und das eigene Über-Ich im Nacken sitzen.
War Zone

In Kurosawas Ein streunender Hund (Nora Inu, 1949) und Siegels Nur noch 72 Stunden (Madigan, 1968) zwängen sich getriebene Ermittler bei grellem Sonnenlicht durch urbane Settings und sind manchmal kurz davor, auch noch ihre Nerven zu verlieren. In Tos PTU (2003) dagegen haben wir es mit einem Suchenden zu tun, der eher behäbig seine Stationen abklappert. In einem auffällig reduzierten, auf wenige Schauplätze eingedampften Hongkong werden wir permanent durch nächtliche, von Leuchtreklamen beschienene Häuserschluchten geleitet, ganz ohne genreübliches stickiges Polizeibüro samt cholerischem Chef und Papierbergen zwischendurch.
Die minutiös kalkulierten Outdoor-Arrangements von To und seinem Stammkameramann Siu-Keung Cheng – wenn man so will, die Konstruktivisten des neueren Hongkong Crime Cinema – entführen uns in eine gespenstisch entleerte Metropole. Eigentlich ist schon der konkrete Bezug zur Megacity irreführend; es gibt hier nichts Uferloses, stattdessen strahlt sie glanzlose Gleichförmigkeit, fast etwas „Kammerspielartiges“ aus.
In diesem abgesteckten Zirkel kommt es nun zu taktischen Manövern; wie programmiert bewegen sich Körper hindurch. Dass auf diesem überdimensionierten Schachbrett auch Raum zum Leben Platz hat, scheint abwegig. Vielmehr haben wir es mit einer War Zone zu tun. Überall marodierende Banden – die einen tragen eine Dienstmarke, die anderen nicht.
Zu Boden gehende Körper

In einer schummrigen Seitengasse will hier Sgt. Lo Sa (Tos Stammdarsteller Lam Suet) mit einem aufgelesenen Holzbrett im Anschlag einige Gangster stellen, die er kurz zuvor in einem Bistro – aus Langeweile? – herausgefordert hat. Doch stattdessen rutscht der etwas trottelig wirkende Sergeant in guter, alter Cartoon-Manier auf einer (wie bereitgelegten) Bananenschale aus. Körperkomik ist ein Element, das in den sonst hochdramatischen To-Kosmen nicht fehlen darf. Den Kerlen mit den fiesen Visagen, die das Gravitationszentrum seiner Filme bilden, haftet nicht zuletzt durch solche Einlagen etwas Lächerliches an.
Als Lo nun nach seinem Missgeschick wieder erwacht, ist nicht nur sein Schädel blutig, sondern auch sein Halfter leer. Eine Einsatztruppe der PTU (Police Tactical Unit) macht den noch etwas Benebelten darauf aufmerksam. Ihr Befehlshaber ist Sgt. Mike Ho (Simon Yam, ebenfalls häufig bei To). Mit dessen Hilfe setzt nun Sgt. Lo alle Hebel in Bewegung, seinen silbernen Colt mit dem kurzen Lauf wiederzufinden (die Beförderung steht schließlich kommende Woche an). Und Bewegung ist das Stichwort: Denn Stillstand gibt es in PTU von der ersten Minute an nicht.
Nur ganz am Ende wird es einen kurzen Moment der Ruhe geben: Nach einem massiven Shootout liegen sechs durchlöcherte Männer auf dem Asphalt. Der slapstickhaft niedergegangene Körper vom Anfang wird dort wieder anwesend sein, bloß dass es diesmal andere Leiber sind, die, von Blutfontänen und expressiven Mimiken begleitet, umgerissen werden.
Überall Bewegungen

Nicht nur das Aufeinandertreffen patrouillierender Gangster und Cops liefert konstante Kinetik, auch die Cinemascope-Bildkader selbst besitzen Bewegungsdrang: Die Kamera zoomt heran und heraus, fährt sanft umher, verlagert ihren Fokus, hebt wie schwerelos ab, um einen gesteigerten Ausdruck zu kreieren. Vorder-, Mittel- und Hintergrund tauschen ihre Zuständigkeiten durch, so wie Bildrand und Bildmitte in konstantem Dialog stehen.
Sieht man einmal von John Carpenter ab, gibt es kaum einen anderen neueren Filmemacher, der das extreme Breitwandformat so braucht wie To. Siu-Keung Cheng denkt dabei in PTU konsequent jedes noch so zaghafte Aufkommen von Spannung vom Wechselspiel der Körper und Blicke her. Sie bekommen so, und in PTU ist dafür nicht bloß der sich wiederholende Jingle-Score verantwortlich, etwas Tänzerisches. Tatsächlich fühlt sich das ganze Setting nicht nur wie eine Noir-Aktualisierung, sondern eben auch wie ein Spiel auf großer Bühne an.

Zum angedeuteten Spektakel-Finale kommt es nicht nur, weil Lo glaubt, seine Waffe dort zu finden, sondern auch, weil er auf dem Weg dorthin in einem Wespennest herumstocherte. So tritt der schwelende Zwist zweier rivalisierender Gangs offen zutage, nimmt in mehreren parallel laufenden Storys – zusammengehalten durch sich kreuzende Telefonate – immer bedrohlichere Dimensionen an.
Der entwaffnete Polizist ist aber nicht der Einzige, der zwischen die Fronten gerät. Ein kleiner Junge fährt mit seinem Rad wie ferngesteuert durch die Straßen, während in unmittelbarer Nähe Aktionen laufen. Vielleicht ist er die einzige Figur, die in PTU nicht für Gewalt steht. Und vielleicht ist das der Grund, warum der straff erzählte Film (eine ganze Welt in weniger als anderthalb Stunden) ihm für kurze Zeit folgt und ein bisschen Spielzeit gewährt.
Lo & Ho
Dafür, dass PTU ein Police Procedural Film ist, sieht man den Polizisten gar nicht so gern bei ihrer Arbeit zu. Dass Brutalität eine ihrer Hauptkompetenzen darstellt, wird im Hongkong-Kino häufig erzählt. Beim Verhör ordentlich austeilen; sich selbst etwas für den Ruhestand abzwacken – aber in PTU scheint die Grenze zwischen dem, was man Gut und Böse nennt, besonders fließend zu sein. Nicht einmal die diversen Einheiten innerhalb des Polizeiapparats sind sich hier untereinander grün. Wie die Gangster buhlen sie um Revierzuständigkeiten, Ränge und Souveränität.

Letztlich scheint uns der Film zu sagen: Die Polizei ist auch bloß eine unter vielen Rackets. Wie die Triaden agiert sie im Schatten; arbeitet manchmal gemäß, oft jedoch entgegen ihren eigenen Befehlsketten. Zu diesem desillusionierenden Blick auf den Apparat gesellt sich aber ein von To gerne aufgegriffener Topos, der hellere Töne anstimmt und weit weniger strukturell ansetzt: PTU ist auch das Porträt einer bedingungslosen Männerfreundschaft, die gerade in Extremsituation ihren „Sinn“ erfährt (quasi Tos Abarbeiten an Howard Hawks Heldengeschichten, was ihn wiederum mit Carpenter verbindet). Sinnlos bleibt das beständige Töten aber auch so.
Der Film steht bis 13.08.2023 in der Arte-Mediathek.
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