Porträt einer jungen Frau in Flammen – Kritik

In ihrem großen Liebesfilm Porträt einer jungen Frau in Flammen empört sich Céline Sciamma nicht über den männlichen Blick, sondern sabotiert ihn. 

Beginnen müsste man eigentlich, weil es der große Fluchtpunkt dieses großen Films ist, mit dem Gesicht von Adèle Haenel, mit den markanten Augenbrauen, dem leicht heruntergezogenen Mund, überhaupt mit diesen zugleich groben und feinen Gesichtszügen, die … aber schon erhebt der Film Einspruch, denn wenn Porträt einer jungen Frau in Flammen trotz aller Kaminfeuerwärme einen Groll hegt, dann gegen falsche Porträts, gegen scheinbar neutrale Beschreibungen von Menschen und Gesichtern, vor allem gegen männliche Darstellungen weiblicher Gesichter, und überhaupt gegen die Praxis, sich ein Bild von etwas zu machen, das noch gar nicht selbstbestimmt in Erscheinung getreten ist. 

Doch von vorn: Noch bevor die Handlung von Céline Sciammas Film einsetzt, sollte ein Porträtmaler die von Haenel gespielte Héloïse malen, Tochter einer Gräfin in der Bretagne des 18. Jahrhunderts; das Ergebnis sollte nach Mailand geschickt werden, zu Héloïses zukünftigem Ehemann, um das Hochzeitsarrangement offiziell zu machen. Aber Héloïse hat sich dem Porträt erfolgreich entzogen, der Maler ist unverrichteter Dinge abgereist. Vorher hat er frustriert das begonnene Bild sabotiert, das nun als abstrakte Kunst gewordener Verweigerungsakt im Anwesen der Familie herumsteht: Wo Héloïses Gesicht hätte sein sollen, sind nur wütend verwischte Farben zu sehen.

Der unvermeidliche Eisberg der Ehe

Das Gesicht als Leerstelle: Die gerade im Hause angekommene Marianne (Noémie Merlant) steht vor dem Bild und blickt so fasziniert wie ängstlich auf das große Nichts über dem eleganten Hals. Héloïses Mutter (Valeria Golino) hat die Malerin für einen zweiten Versuch angeheuert. Unter einem Vorwand soll sie Zeit mit Héloïse verbringen, auf dass sie das ersehnte Porträt ihrer Tochter dann aus der Erinnerung erstellt. Nur Frauen nämlich, weiß dieser Film, durften im 18. Jahrhundert platonische quality time mit anderen Frauen verbringen, und Malerinnen durften nichts anderes malen als Porträts anderer Frauen. Sciamma klagt diese Umstände nicht empört an, sondern erkennt sie als Schlupflöcher für subversive Aneignungen, nimmt sie zum Ausgangspunkt einer großen Liebesgeschichte. So injiziert Porträt einer jungen Frau in Flammen in die genauen Blicke, die Marianne für ihren Job auf Héloïse werfen muss – und die bald neugierig erwidert werden – ein immer offensichtlicher werdendes Begehren.

Dem vorauseilenden Porträt setzt Sciamma von Beginn an eine Ästhetik der fiebrigen Antizipation entgegen. Héloïse ist für diesen Film zunächst ein verwischtes Gemälde, dann von der jungen Hausangestellten Sophie (Luana Bajrami) beschriebener Körper, dann ein Hinterkopf, der in Richtung Klippen rennt, erst dann ein Gesicht, in dem bald ein Feuer lodert. Auch wenn große Gefühle noch lange vorgefühlt bleiben werden, ist Porträt einer jungen Frau in Flammen schon hier ein großer Liebesfilm. Eine epische Schlichtheit durchzieht ihn, all die sorgsam angerissenen Fragen um Blickregime und Kunstproduktion sind in einer Struktur geerdet, deren erzählerische Klammer und zentrale Plot Points geradewegs von der Titanic (1997) stibitzt scheinen – mit Héloïses arrangierter Ehe als Eisberg, von dem wir wissen, dass er unweigerlich näher kommt.

Traute Dreisamkeit

Céline Sciamma ist bekannt geworden durch ihre Coming-of-Age-Trilogie: Water Lillies (2007), Tomboy (2011) und Mädchenbande (2014) waren durchzogen von den Bewegungen ungestümer Jugend, der die Regisseurin lediglich zum Ausdruck zu verhelfen schien. Hier dagegen ist alles reduziert, beruhigt, das Verlangen brennt irgendwo innen, erhöht die Temperatur der Bilder, entreißt diese aber niemals der Kontrolle der Regisseurin. Sciamma stellt vielmehr stetig eigene bewegte Gemälde her, baut ihren Film mit der Lust an so leisen wie großen romantischen Gesten, deren poetische Gravitas sich auch Claire Mathons Kameraarbeit und Dorothée Guiards Kostümen verdankt. Bilder, in denen nichts zu viel ist, und eine Montage (Julien Lacheray), die sich nur zu gern vom Knistern des Kamins, vom Wind in den Dünen und vom Rauschen der Wellen vor jedem unnötigen Vorschnellen abhalten lässt. In einer der tollsten Einstellungen blickt Marianne Héloïse an, die da hinten im Sand steht, und die dem Gelbrot des Lagerfeuers eigentlich längst enteilten, unsichtbar gewordenen Schwaden lassen ihr Gesicht in ein leichtes Flirren geraten.

Auch als sich das Verlangen nach dieser letzten großen Entzündung endlich Bahn brechen darf, bleiben die Bilder beruhigt, finden nur ein anderes Verhältnis der Körper zueinander; der Sex ist bei Sciamma nicht die Ekstase des Aktes, sondern die körperliche Vertrautheit danach, die Nacktheit betritt das Bild nicht pompös, sondern beiläufig. Und dass der Film die Welt der fiebrigen Antizipation verlässt, heißt nicht, dass Porträt einer jungen Frau in Flammen fortan im hermetischen Raum der Zweisamkeit spielen, die große Liebe als Gegensatz zum repressiven Sozialen ins Bild setzen würde. In den Tagen ohne Hausherrin entsteht vielmehr eine weibliche Solidargemeinschaft, die auch die junge Sophie einschließt, die schwanger ist, aber kein Kind haben will und mit diesem Problem nicht allein bleiben muss.

Kein Freispruch fürs Kino

Und doch ist das Gesicht, in dem sich Begehren und Liebe bündeln, sowie seine tragische Überführung ins fertige Bild, das Herz dieses Films, zugleich begehrtes Objekt des eigenen Blicks. So wie Marianne, die Héloïse ihre eigentliche Aufgabe irgendwann gesteht, immer intensivere Porträts der nun Geliebten malt, stellt Sciamma mit ihrem Film eigene Porträts her, von Héloïse, aber auch von Marianne, setzt den Pinsel immer wieder neu an, um jede innere Veränderung in irgendeinem Gesichtszug, in irgendeinem Blick zu finden. Doch Porträt einer jungen Frau in Flammen feiert das Kino deshalb nicht gleich als bessere Porträtmaschine, als präzisere Form der Annäherung.

Denn einmal erklären sich Marianne und Héloïse, was ihnen aneinander aufgefallen ist, welche unbewussten Gesten sie machen, wenn sie beschämt oder unsicher sind, Gesten also, die auch das Kino nicht fassen kann, ohne ihnen die entscheidende Flüchtigkeit zu nehmen. Und dann ist das Kino natürlich ohnehin kein Freiraum, vielmehr Teil jener Ordnung, in denen Bilder noch immer viel zu häufig vorauseilen und die Rollen von Blickenden und Angeblickten ungleich verteilt sind – Sciamma ist nur eine von vier Regisseurinnen im 19 Filme zählenden Wettbewerb von Cannes.

Brennendes Gesicht

Im großartigen Epilog, der die Geschichte als erinnerte markiert und derart präzise und schmerzhaft auf den Prolog antwortet, dass aus einer dramaturgischen Plattitüde die schönstgeschwungene Klammer der jüngeren Filmgeschichte wird, kommen in zwei Szenen sowohl das Porträt als auch das Kino zu ihrem Recht, wenn auch in veränderter Form. Das konventionelle Bild einer Dame mit Kind gibt sich als Hüter einer geheimen Geschichte weiblicher Selbstermächtigung zu erkennen. Und in einem letzten näher rückenden Blick der Malerin auf ihre Muse über das Tal eines Opernhauses hinweg sehen wir nochmals Adèle Haenels längst zum unbeschreiblichen Bewegtbild gewordenes Gesicht, das nun nicht mehr bloß Feuer gefangen hat, sondern lichterloh in Flammen steht.


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Kommentare


Markus

„Jedes Gewand kann man spalten bis auf die nackte Haut, die es verbirgt. Jeden sorglosen Ton spalten bis
auf den Schrei, den er zurückhält. Und die Nacktheit weiter spalten bis auf das purpurne Herz! Lavinia
war eine einzige restlose Entblößung, welche die übliche Nacktheit von Haut und Fleisch wie einen
billigen Spuk vergessen ließ. Das lichte Entsetzen war sie. Und so stand sie eines Morgens am Bordstein
in ihrem schönsten Kleid. Gelbrote Flammen schlugen von ihren Knöcheln aufwärts über den versengten
Kopf. Sie hinkte am Straßenrand, ein Fuß ging auf dem Bürgersteig, einer in der Gosse. Hinkte im
Abfall, den sie noch zertreten wollte, aus den Autos geworfene Plastikflaschen und zerknüllte Alufolie.
Stolz hinkende Lohe in giftgrünen Halbschuhen … Denk dir nur, hatte sie gesagt, ich in meinem
schönsten Kleid! Es ist ein nach oben steigendes Kleid, die prasselnden Fackeln, nichts fällt da schlaff
über die Hüfte, über den Busen, das Knie. Das Kleid steigt, steigt, geht hoch, von Knöcheln aufwärts …
ich in Flammen.“ - Botho Strauß, Die Nacht mit Alice, als Julia ums Haus schlich


Stefan Eichardt

Lieber Till Kadritzke,
als ich ihn sah, dachte ich währenddessen, dass ich danach keinen weiteren Film mehr sehen möchte. Da ich das Programm fürs Kino achteinhalb Celle mache, wird das ein flüchtiger Wunsch sein. Ich kann mich ohne weiteres nicht erinnern, je was Vergleichbares gesehen zu haben. Für mich der schönste Film seit langem.
ich habe einige Kritiken zu diesem unglaublich schönen Film gesehen, darunter leider auch so uninspirierte wie die vom Filmdienst und EPD-Film, die sich beide anmaßen, diesem Film mit 4 von 5 Sternen einen Stern vorzuenthalten. Ihre Kritik indes ist ein wirklich schön geschriebene wie lesbare Kritik, die dem Film angemessen ist. Meine Frage an Sie, lieber Till, lautet: Wie meinen Sie das mit, den Plot direkt von der Titanic stibitzt? Ich habe die Titanic nicht gesehen...
Vielen Dank
mit herzlichem Gruß
Stefan Eichardt
Kino achteinhalb Celle
https://www.kino-achteinhalb.de/programm/archiv/event/1522






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