Pornfluencer – Kritik
VoD: Sex zwischen Katzen und Kameras. Pornfluencer zeigt den Lebensalltag eines "verified couples" und geht dabei weniger den Umtrieben der Pornoindustrie als einer toxischen Beziehung auf den Grund.

Beim Sex mit dem Partner einfach mal die Kamera draufhalten? Das scheint für viele unvorstellbar zu sein, für Jamie und Nico aber ist es Alltag. Sie sind ein sogenanntes verified couple, also ein Pärchen, das sich beim Sex filmt und die Clips auf Porno-Websites hochlädt. Jamie und Nico, aka Youngcouple9598, haben mit ihrem Content ein kleines Vermögen verdient und stehen nun im Fokus von Joscha Bongards Dokumentarfilm Pornfluencer.
Sex-positiv, sensibel und ehrlich

Das filmische Material wird darin ausschließlich auf einer Desktop-Oberfläche abgespielt, was beim Schauen den Eindruck vermittelt, man würde den eigenen Bildschirm betrachten und selbst Begriffe wie „Pornhub“ und „verified couples“ in die Suchleiste tippen. Pornfluencer stürzt sich so unmittelbar ins Sujet und präsentiert, mithilfe dynamisch-musikalischer Untermalung, eine schwindelerregende Abfolge von nackten Körpern im Geschlechtsakt. Was man eben nach einer kurzen und expliziten Google-Suche so findet.
Nach einem kurzen Trip durch endlose Pornolandschaften landet Bongard auf Jamies und Nicos Kanal. Mit ein paar gekonnten Griffen – die Digital Natives kennen die Klickabfolge bestimmt vom eigenen Surfverhalten – ist Jamies Instagram-Profil gefunden, sind die DMs geöffnet, die Privatnachricht getippt. Hier offenbart Bongard auch direkt seine Absicht: Er möchte einen sex-positiven, sensiblen und ehrlichen Dokumentarfilm über die verified couples drehen, und diesem Anspruch möchte er gerecht werden, indem er den Lebensalltag von Jamie und Nico filmisch begleitet.

An dieser angekündigten sex-positiven Betrachtung mangelt es Pornfluencer allerdings. Viel eher werden nach kurzer Zeit die destruktiven Dynamiken der Beziehung von Youngcouple9598 deutlich. Denn für Jamie bedeutet Sex so viel wie Liebe, und das Pornobusiness will sie eigentlich bald verlassen. Nico hingegen ist bekennender Pick-up-Artist und bringt Jamie im Verlauf des Films immer wieder dazu, explizite Posen einzunehmen, bei denen sie sich sichtbar unwohl fühlt.
74 Minuten durch Instagram klicken

Bongard lässt Nico zwar nicht so leicht davonkommen und nutzt die Möglichkeiten des Desktop-Formats, indem er in einem neuen Fenster ein paar YouTube-Videos aufruft, die die Pick-up-Ideologie parodieren. So distanziert er sich komödiantisch von seinem Protagonisten, gleichzeitig kann er es aber nicht lassen, sich selbst einer klar pornografisch motivierten Bildsprache zu bedienen, die sich von der auf PornHub kaum unterscheidet.
Das Ganze wird von erklärenden Clips und Interviews flankiert, aber wirklich viel über verified couples lernt man auch hier nicht, gleich das erste Expert*inneninterview kritisiert vorwiegend die großen Pornoproduktionen und lässt das eigentliche Thema des Films außen vor. Und auch das Erklärvideo Porn 101, das zu Beginn des Films ins Bild rutscht, beschränkt sich eher auf aggressive Grafikelemente und abwertende Aussagen über den Pornomarkt, die weniger differenzieren als den Raum für Eigeninterpretation minimieren.

Die Wahl des Formats geht streckenweise sehr gut auf, denn durch den Spielort Desktop zwingt Bongard das tabuisierte Surfverhalten von Pornokonsument*innen auf die große Leinwand. Doch letztlich lässt einen gerade diese dem Format innewohnende Schnitttechnik eher unbefriedigt zurück. Durch ständige Unterbrechungen von Jamies und Nicos Erzählung, sei es durch den Cut auf andere Websites oder durch Vor- und Zurückspulen in den Interviews mit Youngcouple9598, wirkt Pornfluencer sehr fragmentarisch. Nachwirkend kommt viel eher das Gefühl auf, als hätte man sich die letzten 74 Minuten durch einige mal unterhaltsame, mal bedrückende Instagram-Grafiken geklickt.
Der Film steht bis 17.08.2024 in der ARD-Mediathek.
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