Polizeiruf 110: Das Gespenst der Freiheit – Kritik

Wenn die Europaflagge brennt: In Das Gespenst der Freiheit, Jan Bonnys Polizeiruf-Folge zur rechten Lage der Nation, erreicht das amerikanische Paranoia-Kino das deutsche Fernsehen. Sonntag, 19.08. um 20:15 Uhr bei Das Erste.

Europa brennt. Und das nicht nur wegen der Hitzewelle/Dürreperiode. In Bayern, das ist so etwas wie Brandstifter-City, stehen im Oktober Wahlen an. Eine absolute Mehrheit aus AfD/CSU ist wahrscheinlich.
Derweil feiert Jan Bonnys zweiter Kinofilm nach Gegenüber (2007) Weltpremiere in Locarno. Doch obwohl die Augen aufgrund des Wechsels von Festival-Chef Carlo Chatrian zur Berlinale eigentlich gen schweizerisch-italienischer Grenze gerichtet sind, wird der Film hierzulande mit wenigen Ausnahmen (hier und hier) geradezu verschwiegen.
Nun folgt aber zehn Tage später, quasi als Doublefeature, Bonnys Das Gespenst der Freiheit im deutschen Fernsehen. Auf einem Sendeplatz, der diesmal Aufmerksamkeit und Medienecho verspricht. Denn sonntags bietet die ARD für ihre Zuschauer ein fiktionales Themenprogramm an.
Die Lindenstraße und der Tatort greifen „gesellschaftsrelevante“ Themen, man könnte auch sagen, „Probleme“ auf. Idealerweise schließt sich dann noch eine Talkshow an.

On Duty: Von Meuffels kehrt zurück

Der Tatort leidet derweil ein wenig unter seinem Erfolg. Teams sprießen wie Pilze aus dem nahrhaften Boden der Republik, alte und neue Folgen laufen rund um die Uhr auf festen Plätzen der unterschiedlichen Sendeanstalten. Im Sommer gibt es sonntags um 20 Uhr 15 ein kurzes Wiederholungsfenster. Kürzlich wurde da der Alvart/Schweiger-Kinotatort Tschiller: Off Duty (2016) parallel zur Fußball-WM versendet – von hämischen Kommentaren in Netz und Feuilletons begleitet.
Nach der Sommerpause, Koordinator Gebhard Henke war mittlerweile nicht mehr im Amt, hat die Sendeanstalt dann gewissermaßen ein formales Ausrufezeichen gesetzt: Der Schweizer Tatort kam in Anlehnung an die Tradition des Live-Fernsehspiels als Komplett-Plansequenz ohne Schnitt aus.

Derlei Sperenzchen und die Tukur-Experimente dienen allerdings nur als wohldosierte Ausnahme zum kalkuliert konventionellen Standard-Tatort. Das eigentliche Experimentierfeld auf diesem Sendeplatz gehört dem Polizeiruf. Der Ableger des ehemaligen DDR-Gegenentwurfs zum ARD-Sonntagskrimi darf sich zugunsten der filmischen Qualität und Extravaganz auch schlechtere Quoten leisten. Mit Ankunft der Figur des Hanns von Meuffels (Matthias Brandt) im Jahr 2011 hat der BR hier ein Refugium geschaffen, in dem sich Regisseure wie Dominik Graf, Christian Petzold, Marco Kreuzpaintner und Jan Bonny eingenistet haben.

Zwei unheilige Vaterfiguren

Jetzt steht Bonnys nächster Polizeiruf 110: Das Gespenst der Freiheit auf dem Programm. Und es darf erwartet werden, dass er, ähnlich seinem kontroversen Kinofilm Wintermärchen in Locarno, wie eine Bombe hochgehen wird.

Mit den Kollegen von der Polizei dürfe er auf keinen Fall reden, dann sei er geliefert, dringt Kommissar von Meuffels in einen wichtigen Zeugen. Die Kronzeugenregelung hat er ihm angeboten. Doch der junge Mann steht zwischen von Meuffels und Röhl (Joachim Król) vom Verfassungsschutz. Zwei unheilige Vaterfiguren. Im Gegensatz zu Röhl sind die eigenen Kollegen, von denen Meuffels spricht, harmlos. Röhl ist die eigentliche Gefahr. Ein Mephistopheles, der Króls komplette schauspielerische Bandbreite zutage fördert. Den Höhepunkt einer Reihe beeindruckender Auftritte aber hat die Figur in dem Moment, als sie gar nicht mehr erscheint und ihre komplette diabolische Kraft entfaltet. Ein genialer Kunstgriff im Buch Günter Schütters.

Farim hat einen Menschen totgeschlagen und totgetreten. Einen ausländischen Mitbürger. Vermeintlich, um seine junge deutsche Freundin vor dessen Übergriffen zu schützen.
Das Gespenst der Freiheit geht von Anfang an aufs Ganze. Und von Meuffels, wie so viele Male zuvor, insbesondere in Hermine Huntgeburths Sumpfgebiete (2016), ist von Beginn an isoliert, hoffnungslos, auf verlorenem Posten. Ein Don Quijote im Netz deutscher Justizbehörden. Das amerikanische Paranoia-Kino hat endgültig das deutsche Fernsehen erreicht!

Das Ende aller Krimithemenabende

Wenn der Kommissar auf Farim trifft, geht es immer um alles. Einmal findet sich der junge Mann plötzlich im Lokal der Familie seines Opfers wieder. Und später, wenn er und von Meuffels so händeringend versuchen, eine gemeinsame Lösung zu finden, an einem seelenverlorenen Ort, da schreit jeder Pixel des Fernsehers.

Irgendwann klingelt nur noch das Telefon. Als Zuschauer möchte, will, muss man rangehen, aber die Figur im Film erhört einen nicht. Das Gespenst der Freiheit ist so schmerzhaft, radikal und kompromisslos, wie er in Angesicht seines Gegenstandes nur sein kann. Darin manifestiert sich eine Haltung, wie sie selten zu finden ist. In Wintermärchen, da begegnet sie einem wieder. Bonny hat ein Doublefeature zur rechten Lage der Nation geschaffen, das sich erbarmungslos in die deutsche Filmgeschichte schreibt. Womit es nahtlos an Dominik Grafs Tatort Der rote Schatten anknüpft.

Und von Meuffels, dieser desillusioniertesten, mit Schuld beladenen Figur des deutschen Fernsehens wünscht man nur noch eines: die baldige Erlösung. Als Ende aller Krimithemenabende. Das wäre so konsequent und schön, eine unerreichbare Fantasie, ein deutsches Märchen.

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