Pity – Kritik
ArteKino Festival: Als seine Frau ins Koma fällt, beginnt ein Mann, sich in der Rolle des Bemitleideten zu gefallen. Leider wacht die Gattin plötzlich wieder auf. Regisseur Babis Makridis setzt mit dieser schwarzen Komödie die Greek Weird Wave fort.

Nur selten bewegt sich die Kamera in Pity. Aber als der namenlose Anwalt (Yannis Drakopoulos) wie versteinert am Krankenhausbett seiner eben aus dem Koma erwachten Frau steht, fährt sie doch einmal zurück und öffnet ihren Blick. Füllte der Mann eben noch einen Großteil des Bildes aus, so wird er kleiner und kleiner, je mehr sich die Kamera entfernt. Diese Einstellung markiert den Moment im Film, in dem sich die Aufmerksamkeit von ihm auf sie (Evi Saoulidou) verschiebt – die Aufmerksamkeit der Kamera, vor allem aber die Aufmerksamkeit der Menschen. Wochenlang hatten sie ihn, den tragischen Helden, wegen des schweren Schicksalsschlags bemitleidet, ihm Kuchen gebacken, auf die Schulter geklopft, ihn umarmt und getröstet. Bald schon spielt er aber nur noch eine Nebenrolle, etwa wenn sich bei einer Party alle Augen auf seine Frau richten und die Gäste wie gebannt lauschen, während sie von ihren Nahtoderfahrungen berichtet.
Kuchen und Umarmungen

Pity, der zweite Film des griechischen Regisseurs Babis Makridis, ist in zwei Hälften geteilt: die Zeit des Komas und die Zeit danach. Die ersten Tränen nach dem schweren Verkehrsunfall seiner Frau mag man dem Anwalt noch abnehmen. Doch nur wenig später wartet er hinter seiner Wohnungstür förmlich darauf, dass die Nachbarin endlich klingelt und einen Kuchen für ihn und den Sohn vorbeibringt. Als der kurz darauf am Klavier übt, verbietet der Vater ihm, fröhliche Stücke zu spielen – schließlich könnte die Nachbarin sie hören und die regelmäßigen Kuchenlieferungen einstellen.
In der Wäscherei erhält der vermeintliche Witwer in spe Rabatt angesichts seiner traurigen Geschichte. Und seine Kanzlei-Sekretärin gibt ihm in einer von schwülstiger Orchestermusik unterlegten Szene eine hölzern-steife Umarmung. Die gesellschaftlich erwartete Performance des Trauernden gelingt dem Anwalt vorzüglich, und er findet rasch Gefallen an der Aufmerksamkeit, die sie ihm einbringt. Den temporären Verlust seiner Gattin scheint er insgeheim recht gut zu verkraften – zumal sie sich funktional leicht durch eine Koch- und Putzhilfe ersetzen lässt.
Aufmerksamkeit als Droge

So richtig spannend (und böse) wird der Film natürlich ab dem Moment, da die Frau zur Überraschung der Ärzte ihre Augen wieder öffnet. Kurz darauf darf sie auch schon in die eigenen vier Wände zurückkehren. Wie ein Süchtiger kann ihr Mann nicht von seiner Droge – der Aufmerksamkeit in Form von Mitleid – lassen und erzählt Bekannten, dass sie weiterhin im Koma liege und es nicht gut um sie stehe. Zu Hause weiß er nichts mit der Genesenen anzufangen: Als sie einmal nachts ihren Schlafanzug öffnet und seine Hand an ihre Brust führt, erinnert er sie daran, zeitnah einen Mammographie-Termin zu organisieren. Aber vielleicht gibt es ja Mittel und Wege, an neuen Stoff – frisches Mitleid – heranzukommen ...
Zwischen Ironie und Verachtung

Babis Makridis verfolgt den Weg seines Protagonisten zunächst mit milder Ironie. Meist ruht die Steadicam und beobachtet mit unbeweglichem Bildkader und ausreichend Distanz die physische und emotionale Apathie des Anwalts – die Tonspur setzt dieser Starre gelegentlich emotionsschwangere, hochdramatische Choräle entgegen. Aus diesem leicht spöttischen Tonfall entwickelt sich aber nach und nach eine spürbare Verachtung, die den Mann nur noch ausstellt und verurteilt, statt sich zu bemühen, die Psycho(patho)logie hinter seinen mentalen (und moralischen) Verrenkungen zu verstehen. Im Finale treibt Makridis die Suche des Abhängigen bis ins Extrem und opfert narrative Glaubwürdigkeit und anthropologische Neugierde für eine möglichst spektakuläre Auflösung.
Pity beginnt als Drama, graduiert zur lakonischen schwarzen Komödie und schließt als etwas effekthaschende Groteske. In dieser Überzeichnung ähnelt er zentralen Werken der Greek Weird Wave wie Dogtooth (Kynodontas, 2009) und Alps (Alpeis, 2011). Anders als jene Filme von Yorgos Lanthimos verharrt Pity aber oft an der psychologischen Oberfläche, statt zu ergründen, was – außer klischeehafter maskuliner Gefühlskälte – die Verhaltensauffälligkeiten seines Protagonisten auslöst.
Der Film ist den ganzen Dezember über beim ArteKino-Festival kostenlos abrufbar
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