Der Clan der Kinder – Kritik
In Claudio Giovannesis Der Clan der Kinder werden die dramatischen Ausschläge der altbekannten Mafiahandlung beharrlich eingeebnet. Und ein Traum geht in Erfüllung, noch bevor er wirklich geträumt wurde.

Es ist ein faszinierendes Wesen, das in den frühen Szenen von Claudio Giovannesis Der Clan der Kinder durch Neapel zieht. Erkennbar menschlich und doch fremdartig, bewegt es sich durch die nächtlichen Gassen, stürmt eine verlassene Einkaufspassage, tanzt um ein großes Feuer – und der Film eilt ihm beständig hinterher, versucht, mit ihm Schritt zu halten und ihm immer wieder neugierig ins Antlitz zu schauen. Dieses Antlitz ist jedoch nicht das eines einzelnen Menschen, es setzt sich aus mehreren Köpfen, einer Vielzahl von Augen und Mündern und einem Knäuel verschlungener Arme zusammen. Es ist ein Gruppenwesen, das Giovannesis Film in diesen Szenen in den Blick nimmt: sechs Jugendliche aus Sanità, einem von der Camorra kontrollierten Viertel von Neapel, die nur als Aggregat wahrhaft existieren können. Die Handlungen jedes Einzelnen sind für sich genommen wirkungslos, der einzelne Gesichtsausdruck ohne Bedeutung – nur wenn Stirn an Stirn gelehnt ist, flammt ein inneres Erleben auf, ein kohärentes Wollen und eine kalte Entschlossenheit.
Schon bald aber verschwindet dieses Wesen wieder, löst sich auf, und an seine Stelle tritt ein klassischer Protagonist: Der 15-jährige Nicola (Francesco Di Napoli), dessen Blick für die Machtstrukturen seines Heimatviertels um das entscheidende bisschen genauer ist als der seiner Freunde. Er knüpft Kontakte sowohl zu den letzten Mitgliedern des gerade entmachteten Clans (von dem nur mehr zwei jugendliche Söhne übrig geblieben sind) und heuert zugleich bei dem gerade herrschenden Don an. Doch kaum hat Nicola seinen ersten richtigen Arbeitsauftrag als Straßendealer, denkt er auch schon daran, mit seinem Freundestrupp die gesamte Gewalt im Viertel zu übernehmen – was ihm, schwuppdiwupp, nach ein bisschen nicht-tödlichem Rumgeballer auch gelingt.
Eine Gangstergeschichte ohne viel Tumult

Mit dem gleichen Achselzucken zeichnet Der Clan der Kinder auch die weiteren Standard-Stationen einer Karriere im organisierten Verbrechen nach: die Machtübernahme, den ersten Mord, die Konsumexzesse aufgrund der plötzlich sprudelnden Einnahmen, schließlich der Zusammenbruch der gewonnenen Machtposition. All das passiert ohne allzu viel Tumult und ohne echten Widerstand, ob von innen oder von außen – es passiert einfach, ohne dass irgendjemand es wirklich gewollt zu haben scheint. Die einzelnen Handlungen sind hier nicht das Ergebnis langfristiger Pläne, sie sind nicht eingebettet in mühsam ausgearbeitete Strategien und gehen auch nicht aus schmerzhaften Abwägungen hervor. Vielmehr entspringen sie spontanen Einfällen, spontanen Wünschen, die, kaum haben sie sich eingestellt, irgendwie auch schon in Erfüllung gegangen sind.
Verstaubte Herrschaftsembleme

Aber diese Einebnung aller emotionalen und dramatischen Ausschläge eröffnet in Der Clan der Kinder nie eine wirklich neue Perspektive auf die bekannte Verbrechergeschichte – allzu sehr bleibt der Film auf seine jugendliche Hauptfigur ausgerichtet, obwohl er doch selbst immer wieder deutlich macht, dass es auf sie eigentlich nicht ankommt. Nur in kleinen Momenten und kurzen, immer wiederkehrenden Motiven wird der Film tatsächlich lebendig: Wenn etwa der Nachkomme der gestürzten Herrscherfamilie durch sein übertrieben barock eingerichtetes Palais führt, dann leben mit einem Mal jahrhundertealte, verstaubte Herrschaftsembleme wieder auf – und als Nicola ein Foto des früheren Clanchefs als Geschenk überreicht bekommt, stellt er es ehrfurchtsvoll bei sich zu Hause auf, so wie man früher in dynastietreuen Bürgersalons ganz selbstverständlich ein Gemälde vom Kaiser hängen hatte.

Auch geht Nicolas Auf- und Abstieg mit einer permanenten Verwandlung und Zurschaustellung des eigenen Körpers einher: Er gewinnt das Vertrauen eines alternden Camorra-Bosses, indem er sich vor ihm entkleidet, er muss sich, um einen widerständigen Unterchef auszuschalten, glaubhaft als junge Frau verkleiden, und schließlich hofft er, seine alte Identität durch einen einfachen Haarschnitt abstreifen zu können. Aber all diese verschiedenen Zurichtungen werden nie systematisch aufeinander bezogen und eröffnen so auch kein Spannungsfeld zwischen den jugendlichen, pubertierenden Körpern und dem Verwundungs- und Zerstörungswerk, das der Kampf um Territorium und Einfluss notwendigerweise ist.
In diesem Widerspruch, das Individuum auszuradieren und doch aus einem seltsamen inneren Zwang heraus nicht von ihm lassen zu können, verharrt Der Clan der Kinder zunehmend unschlüssig. Erst ganz am Schluss bäumt sich das ungreifbare, veränderliche Gruppenwesen, das mit seiner chaotischen Wucht durch die frühen Szenen stürmte, noch einmal auf und macht deutlich, wo die eigentliche Faszination der hier erzählten Geschichte liegt – aber da ist der Film auch schon zu Ende.
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