Piece by Piece – Kritik

Eine große Pop-Oper schaut zwar anders aus, dafür aber dominiert der Spieltrieb in Morgan Nevilles aus animierten Legosteinen gebauten Pharrell-Williams-Biopic Piece by Piece ziemlich famos.

Wie schaut ein Beat aus? In diesem Film wie zwei, drei kleine, lose aufeinandergesteckte Legosteine, die in bunten Farben leuchten. Und idealerweise, dann sind sie potentielle Hits, ganz von selbst auf und nieder hüpfen. Gute Beats ziehen, deshalb ist das eine gute visuelle Übersetzung, gewissermaßen ganz von alleine die Aufmerksamkeit auf sich. Sie sind die funkelnden, bouncenden Stammzellen des HipHop, und immer mehr der gesamten Popmusik, um die herum zunächst Songs, und dann, weiter ausgreifend, ganze Starkarrieren entstehen.

Pharrell Williams ist, lernen wir in diesem Film, der Meister der Beats. Dabei hat sein Leben fernab allen Glamours in Virginia Beach, Virginia begonnen, in einem Viertel, das freilich nur von Mittelschichtlern, lernen wir ebenfalls aus dem Film, als Ghetto bezeichnet wird. Für den kleinen Lego-Pharrell hingegen waren diese Straßenzüge ein unerschöpflicher Quell musikalischer Inspiration. Alles klingt in dieser fröhlich-sonnigen Knöpfchenwelt, und alles klingt erst recht in Pharrells Legokopf. Als Synästhet sind in Pharrells Kopf Sinnesmodalitäten enger miteinander verschaltet als in den Köpfen der meisten anderer Menschen. Die fluide Baukastenvisualität des Legokinos macht es nun auch den Nicht-Synästheten unter uns - zumindest ein bisschen - möglich, in die Welt der farbigen Töne und singenden Formen einzutauchen.

Zurecht wurde in diversen Besprechungen angemerkt, dass Piece by Piece als “normaler” Dokumentarfilm kaum der Rede wert wäre. Beziehungsweise ist der Film, auf die Inhaltsebene reduziert, eben nur eine hagiografische Musikerdoku unter vielen, eine weitere Geschichte eines musikbegeisterten jungen Mannes, der es dank einer Mischung aus Talent und Glück - vor allem aber: Talent - nach oben schafft, dabei das eine oder andere Hindernis zu überwinden hat… und bei all dem doch, schönerweise, ein Mensch wie du und ich geblieben ist. Erzählt worden wäre diese Geschichte via Talking-Head-Interviews mit Williams selbst sowie mit Familienmitgliedern und wichtigen künstlerischen Wegbegleitern - konkret etwa Chad Hugo, einem Schulfreund, mit dem Pharrell lange Jahre das Duo “The Neptunes“ bildete, oder dem legendären Produzenten Teddy Riley, der die beiden bereits im Teenageralter entdeckte. Oder auch mithilfe von Ausschnitten aus jenen Musikvideos, die Pharrell auf der Hochphase seiner Karriere Weltruhm einbrachten: Pharrell und Snoop Dogg in Rio De Janeiro (“Beautiful”), Pharrell und Jay-Z, umgeben von Models und schicken Autos (“Frontin”).

Vorhandenes immer neu zusammensetzen: Pop, Leben, Lego

Aber andererseits wäre das schlicht ein anderer Film gewesen. Es macht etwas mit den Menschen und auch mit den Musikvideos, wenn man sie durch animierte Legosteine ersetzt. Was genau es mit den Menschen, den Videos und auch mit allem anderen macht, wenn dies geschieht, ist freilich gar nicht so einfach zu sagen. Insgesamt scheint es die Menschen einander und auch der Welt, durch die sie sich bewegen, anzugleichen. Konflikte werden in der Legowelt artifizieller, Emotionen verflachen - schließlich sind sie den Legoköpfchen sichtlich nur aufgemalt, können mit ein paar Pinselstrichen verändert werden. Passen solche Sätze, frage ich mich während des Films, womöglich auch auf die Musik der „Neptunes“, auf diese staubtrocken minimalistischen, dabei nie aggressiven, eher fast Zen-haft in sich selbst ruhenden Beats, an denen ein paar Jahre lang im Mainstreampop nichts und niemand vorbei kam?

Was musikalisch das Besondere des Neptunes-Sounds ist, erfahren wir in dem an Williams’ Arbeitsmethode komplett uninteressierten Piece by Piece freilich nicht. “Neu” ist er, wird immer wieder betont, was im Popgeschäft, wie überhaupt in der Moderne, in der Tat eine außerordentlich wichtige Eigenschaft ist. Gleichzeitig weiß und sagt der Film jedoch auch: Das Neue, das gibt es gar nicht. Weil es immer schon bereits Vorhandenes zusammensetzt. Nur eben: neu zusammensetzt. Genau wie bei, so schließt sich der Kreis, Legosteinen. Form und Inhalt fügen sich, so gesehen, perfekt ineinander. Genau wie, könnte man mit den Vergleichen fortfahren, die Beats und Lyrics eines Hitsongs. Letztlich jedoch bleibt Pharrell als Künstler in Piece by Piece ein Enigma. In die Karten schauen lässt er sich nicht.

Drogen- und Groupieexzesse wie jene, um die herum Robbie Williams sein eigenes Affenbiopic strickte, hat sein Leben schon gar nicht zu bieten. Falls doch, will Pharrell sie jedenfalls nicht mit der Welt teilen, wie überhaupt sein Privatleben im Film äußerst selektiv und auf größtmögliche Harmonie bedacht dargestellt wird. Im Geschäftlichen freilich hätte es durchaus Konfliktpotential gegeben - allerdings werden sowohl die vielbeachtete (und erfolgreiche) millionenschwere Copyright-Klage der Erben Marvin Gayes den Superhit “Blurred Lines” betreffend als auch Pharrells aktueller Rechtsstreit mit Chad Hugo komplett ausgespart. Vor allem letzteres kann man schade finden: zwei Schulfreunde, die gemeinsam die Welt erobern, sich jedoch irgendwann derart in die Haare bekommen, dass sie irgendwann nicht einmal mehr miteinander reden - das ist natürlich auch nichts ganz Neues (man kennt es womöglich gar aus dem eigenen Umfeld), hätte aber vermutlich eine packendere Geschichte ergeben als die, die Piece by Piece erzählt.

Der sanfte Wellenschlag des Swimming Pools in der Sprache der Legosteine

Aber Pharrell hat eben anderes im Sinn. Die einzigen nennenswerten Widerstände, die sich ihm in Piece by Piece in den Weg stellen, befinden sich in seinem eigenen Kopf. In den späten Nullerjahren gerät der Lego-Pharell in eine Sinnkrise, die Beats bouncen nicht mehr so recht, er verheddert sich in immer neuen Geschäftsfeldern, meterhohe Legowellen schlagen über seinem Kopf zusammen, er wird gar als einsamer Astronaut ins All katapultiert und schaut sich die Legoerde aus der Ferne an. Wie er sich aus dem Schlamassel befreit, mit dem Überhit “Happy” in die Erfolgsspur zurückfindet und mit dem Kendrick-Lamar-Song “Alright” sogar, darauf deutete in seiner Karriere vorher wenig hin, eine Black-Lives-Matter-Protesthymne kreiert? Auch darüber schweigt sich der Film aus. In Piece by Piece bleiben die Hintergründe wie auch die Überwindung der Pharrell’schen Schaffenskrise weitgehend im Vagen; der Verdacht, dass sie insgesamt eher dramaturgischen als autobiografischen Ursprungs ist, liegt nahe.

Eine große Pop-Oper schaut jedenfalls anders aus. Stattdessen dominiert, auch nicht schlecht, der Spieltrieb. Was Williams’ musikalisches Werk angeht, kann der Film in dieser Hinsicht aus dem Vollen schöpfen - und beispielsweise eine Lego-Britney-Spears und eine Lego-Madonna mit flüchtigen Einsekundenauftritten abspeisen. Lego-Gwen-Stefani hat deutlich mehr Screentime. Dank ihr wissen wir jetzt, dass bauchfreie Oberteile an Legofiguren einigermaßen sonderbar ausschauen. Auch die Versuche, Lego-Snoop-Dogg über das sonst strikt normierte Legomännchen-Normalmaß hinaus zu vergrößern, wirken einigermaßen ungelenk. Ansonsten freilich schaut der Film schon ziemlich famos aus, insbesondere wenn es ihm gelingt, ganz und gar un-Lego-hafte Phänomene wie etwa den sanften Wellenschlag eines Swimming Pools in die Sprache der Legosteine zu übersetzen.

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