Pelikanblut - Aus Liebe zu meiner Tochter – Kritik

In Pelikanblut spielt Nina Hoss eine Adoptivmutter, die sich einen dämonischen Systemsprenger ins Haus holt. Regisseurin Katrin Gebbe macht daraus einen Horrorfilm, der ohne eine kräftige Prise Exotismus wohl nicht funktionieren würde.

Monster, Mörder, Mütter. Aus diesem Dreiklang mögen auf den ersten Blick nur zwei Bestandteile fest mit dem Horror-Genre verbunden sein. Doch das täuscht: Ob in Mama (2013), Mother! (2017), Antichrist (2009), The Babadook (2014), Inside (À l'intérieur, 2007) oder Ich seh, ich seh (2014) – Mutterschaft ist eine nie versiegende Quelle der Inspiration für Horrorfilme. Das mag am männlichen Blick auf „das fremde Wesen Frau“ liegen, an verhaltensverändernden Schwangerschaftshormonen, am blutigen Spektakel der Geburt, an der mythischen Kraft, Leben zu schenken, oder an der mütterlichen Bereitschaft, für die eigenen Kinder ethische, rechtliche und physische Grenzen zu überschreiten.

Kreaturen, Killer, Kinder. Auch Kinder eignen sich scheinbar nicht besonders als Horror-Figuren. Doch gerade weil wir ihnen kulturell Unschuld zuschreiben, wirkt es umso verstörender, wenn sie kontraintuitiv das Böse verkörpern – sei es als Parasit (Rosemary’s Baby, 1968), als übernatürliche Wesen (Village of the Damned, 1960), Untote (Friedhof der Kuscheltiere, OT: Pet Sematary, 1989), Erwachsenen-Mörder (Children of the Corn, 1984 / To Kill a Child, OT: ¿Quién puede matar a un niño?, 1976), Gestörte (Halloween, 1978) oder Besessene (The Exorcist, 1973). Mit Pelikanblut von Katrin Gebbe kommt nun ein weiterer Film für alle hinzu, die immer schon keine Kinder haben wollten.

Tote Igel im Papierkorb

Gebbe führt darin eine Frau und ein Mädchen zusammen, die erst noch Mutter und Kind werden sollen. Die deutsche Pferdetrainerin Wiebke (Nina Hoss) hat vor einigen Jahren bereits Nicolina (Adelia-Constance Ocleppo) aus Bulgarien bei sich aufgenommen. Da es für sie als berufstätige Alleinstehende schwierig ist, hierzulande ein Kind zu adoptieren, fährt sie erneut nach Bulgarien. Diesmal bringt sie die fünfjährige Raya (Katerina Lipovska) auf ihren Reiterhof mit. Die Kleine ist niedlich, malt gern und lernt rasch Deutsch – außerdem versteckt sie tote Igel im Papierkorb, beißt Menschen, schiebt anderen Kindern Stöcke in den Arsch und deutet öfter mal nach oben, wo ihr zufolge ein Wesen schwebt, das sie zwingt, Böses zu tun.

Hast du auch Angst vor ihr?“

Pelikanblut ist von mehreren Kämpfen geprägt: Im Vordergrund steht Wiebkes Kampf darum, aus der bösartigen Raya ein Kind zu formen, das sie lieben und zum Teil ihrer Familie machen kann – begleitend kommt ihr Kampf gegen Überforderung und Selbstzweifel hinzu, wenn nach einem Fortschritt wieder mal drei Rückschritte folgen. Intellektuell geht es um den Kampf zwischen zwei Weltanschauungen: Je mehr die Wissenschaft Raya zum hoffnungslosen Fall erklärt, desto mehr sucht Wiebke die Flucht in die Esoterik. Auf emotionaler Ebene löst Katrin Gebbe (Tore tanzt, 2013) einen Kampf im Zuschauer aus – der Film reißt einen hin und her zwischen dem Mitleid mit der verzweifelnden Wiebke, der verängstigten Nicolina und der traumatisierten Raya, deren Backstory es unmöglich macht, sie zum Dämon in Kindesform abzustempeln.

Was Gebbe aus der Raya-Darstellerin Katerina Lipovska herausholt, ist enorm beeindruckend: Das Mädchen wirkt mal lieblich, mal zutiefst furchterregend, ohne dass man ihr das „Schauspielern“ anmerken würde – und das, obwohl das Kind während der Dreharbeiten vermutlich erst vier oder fünf Jahre alt war und in einer Fremdsprache reden musste. Die Kameraarbeit von Moritz Schultheiß erschafft immer wieder atmosphärisch starke Bilder, etwa mit ins Bläuliche gekippten Nebelschwaden oder durch’s Dunkel galoppierenden Pferdekörpern. Vielleicht am stärksten ist aber die Art und Weise, wie Gebbes Drehbuch mit Einzeilern tief in die Magengrube trifft: „Hast du auch Angst vor ihr?“, fragt Nicolina an einer Stelle und spricht damit etwas Ungeheuerliches aus, was Wiebke schon lange spürt, sich aber nicht eingestehen will. Als die Antwort auf diese Frage längst feststeht und es inzwischen eher darum geht, ob Wiebke aufgibt oder nicht, erklingt einmal Rayas Kinderstimme. Sie blickt ihrer Adoptivmutter ins Gesicht und sagt mit bulgarischem Akzent: „Ich komme, wenn du schläfst, und mach dich tot.“

Düsteres Osteuropa

An einigen Stellen agiert Pelikanblut überdeutlich und kaut dem Publikum vieles vor: Da ist etwa der Psychiater, der lang und breit ausbuchstabiert, unter welcher Störung Raya leidet und was sich dagegen tun lässt. Da ist Wiebke, die sich selbst laut vorliest, was auf ihrem Computerbildschirm steht. Und da ist die physische Narbe auf ihrer Wange, die schon mal mit dem Zaunpfahl winkt, dass Wiebke auch einige psychische Wunden hat. Auch das Finale, in dem sich alle Probleme mit etwas Hokuspokus fein säuberlich in Luft auflösen, hat etwas unfreiwillig Komisches.

Das zentrale Problem des Films ist aber Bulgarien. Wir lernen nur wenige von Wiebkes bulgarischen Kontaktpersonen kennen, doch eine davon reißt Macho-Witze, eine andere verteilt – als Schutzmaßnahme gegen Raya – Kruzifixe auf dem Reiterhof, und eine dritte schiebt Wiebke erst mit voller Absicht ein „Problemkind“ unter und verweigert sich später, als Wiebke sie wegen Rayas soziopathischen Verhaltens kontaktiert. Kurzum: Die wenigen Bulgaren im Film sind entweder kulturell rückständig oder heimtückisch. Später kommt noch eine Magierin mit bulgarischen Wurzeln hinzu, die exorzistische Rituale beherrscht und zufälligerweise immer dann Bulgarisch spricht, wenn ihr Handeln mystisch wirken soll, aber immer Deutsch redet, wenn das Publikum sie verstehen soll. Selbst Raya würde vermutlich weniger diabolisch wirken, wenn sie nicht gebrochenes Deutsch mit bulgarischem Akzent spräche.

Katrin Gebbe hat mit Pelikanblut ein durchaus effektives Cross-Genre-Werk geschaffen, das zwischen Drama und Horror oszilliert und vermutlich als „Prestige Horror“ bezeichnet werden würde, wenn es aus den USA käme. Dass der Film seine Wirkung nicht verfehlt, liegt aber zumindest teilweise daran, dass er westliche Klischees über das düstere, grobschlächtige Osteuropa ausbeutet. An sich hätte nichts dagegen gesprochen, die Story vollständig in einen deutschen Kontext einzubetten. Nur hätte dann einiges im Film vermutlich nicht funktioniert. Denn einen abgehackten Pferdekopf auf einer Mistgabel aufzuspießen – so was machen doch wirklich nur Osteuropäer.

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