Parallele Mütter – Kritik
Zwei alleinerziehende Mütter ziehen ihre Kinder in einem Frauennetzwerk groß. Dabei flanieren die Identitäten und Gefühle so frei wie immer bei Almodóvar. Beim Blick auf die Franco-Ära wird Parallele Mütter dann aber ungewohnt eindeutig.

Rote Kostüme mit knallgrünen Überwürfen, gelbe Zitronen, alles ein wenig satter und greller als in Wirklichkeit: Parallele Mütter trägt die unverkennbare Handschrift seines Regisseurs Pedro Almodóvar. Zur verheißungsvollen Musik Alberto Iglesias’ entfaltet sich ein Melodram im Taumel häuslich-weiblicher Alltagskämpfe, mit übergroßen Mutterfiguren und gefeierten Ausbrüchen von Leidenschaft.

Einer dieser Ausbrüche steht am Anfang des Films, wo Janis (Penélope Cruz) und Arturo (Israel Elejalde), die sich kürzlich kennengelernt haben, miteinander schlafen und Janis schon in der nächsten Szene ein Kind zur Welt bringt. Auf der Entbindungsstation trifft sie die Teenagerin Ana (Milena Smit). Beide Frauen werden ihre Kinder ohne die Väter aufziehen und eine mehrdeutige, enge Beziehung zueinander eingehen.

Die beruflich wie persönlich gefestigte Werbefotografin Janis ist überglücklich mit ihrem Baby, doch sowohl Arturo als auch ihre Freundin Elena (Almodóvar-Muse früherer Tage: Rossy de Palma) melden Zweifel an, ob es wirklich ihres ist. Wurden Janis’ und Anas Kinder etwa im Krankenhaus vertauscht? Was folgt, ist aber keine Verwechslungskomödie, sondern ein Hadern damit, wie mit diesen Zweifeln umzugehen sei, wobei Familienkonstellationen und -vergangenheiten die Figuren prägen.
Schwindende Solidarität

Janis – nach der Rock-Ikone Janis Joplin – meint einmal, Alleinerziehende zu sein habe bei ihr Familientradition: Die Urgroßmutter verlor den Mann im Krieg, die Generation der Mutter lebte ihre 68er-Freiheiten aus. Die beiden parallelen Mütter Janis und Ana finden Wege, ihre Kinder in einem kleinen Netzwerk aus Frauen aufzuziehen.

Zwar ist da die selbstverständliche Solidarität unter diesen Frauenfiguren, die Almodóvar in fast all seinen Filmen gleichermaßen dokumentiert wie beschwört. Doch sie hat ihre Bedingungslosigkeit eingebüßt. Janis beschäftigt eine Putzfrau und eine irische Au-pair, die kaum etwas auf die Reihe bekommt und von ihr regelmäßig gescholten wird. Auch diese Figuren finden etwas Platz, es wird sich nebenbei nach ihnen erkundigt. Aber sie dienen eher dazu, ein Panorama des privaten Dienstleistungssektors zu entwerfen, den Menschen in Janis’ Position in Anspruch nehmen.

Auch im gutbürgerlichen Haushalt der anderen Mutter, Ana, tritt immer wieder eine Haushaltshilfe auf, wichtiger aber ist Anas Mutter Teresa (Aitana Sánchez-Gijón). Eine schon gereifte Schauspielerin, die noch immer dem ersten Erfolg hinterherjagt und außer Geld kaum etwas zur Unterstützung ihrer Tochter aufbringt. Sie erscheint mal als narzisstisches Ekel, dann wieder mit Almodóvar’scher Einfühlsamkeit als gekränkte Seele, die mit ihrer Untauglichkeit als Mutter hadert. Identitäten, Gefühle und Beziehungen: Alles flaniert in diesem Film, legt sich nicht fest und ist doch überzeugend und eindrücklich.
Herkunftsgewissheiten

Über Arturo, den Vater von Janis’ Kind, schlägt der Film nebenbei dann noch eine Querverbindung zur Aufarbeitung des Spanischen Bürgerkriegs und der Franco-Diktatur: Arturo ist forensischer Anthropologe und leitet eine Ausgrabung in Janis’ Heimatdorf. Die Opfer dieses Krieges liegen oftmals in Massengräbern und werden in den letzten Jahren mühsam exhumiert, um den Familien ein angemessenes Begräbnis und den Kontakt zu ihrer Vergangenheit zu ermöglichen. Eine behagliche Solidarität scheint auf, wenn alle bei der Ausgrabung ein- und ausgehen, um zu helfen. Und um der ältesten Generation des Dorfes ihre Familiengeschichte und etwas Seelenfrieden in Form einer Kinderrassel oder Großvaters Glasauge wiederzugeben.

Die häufig in Szene gesetzten Wattestäbchen, die via DNA-Test Gewissheit über Herkunft von Neugeborenen und Kriegswaisen gleichermaßen versprechen, weisen in eine für den Regisseur ungewöhnliche Eindeutigkeit. Hebt er doch in seinen anderen Filmen stets das Vage, das Konstruierte und das Queere hervor. Für seine Transfiguren ist das Ausleben ihres gewollten Geschlechts stets wichtiger als die biologischen Ketten, die sie daran hindern mögen. Anders die Verwandtschaftsverhältnisse, die Parallele Mütter prägen und ihre Anerkennung einfordern. Aber Almodóvar ist nicht plötzlich zum Positivisten geworden. Von Bedeutung ist, wie die sozialen Rollen der Figuren sich ändern im Verhalten auf diese biologischen Gegebenheiten. Dennoch scheint der Regisseur sich in diesem Spätwerk danach umzusehen, Identitätsunsicherheiten durch Herkunftsgewissheit aufzulösen. Wie der Film damit umgeht, ist jedoch zutiefst nuanciert und ohne falsches Pathos mit wunderbar beiläufiger Eleganz erzählt.
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