P3ND3JO5 – Kritik

Mit kleinem Budget und großer Geste hat Raúl Perrone einen Stummfilm gedreht.

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Zwei Menschen unterhalten sich. Ein Bild, dem seine Autonomie längst abhanden gekommen ist. Erst kamen die Zwischentitel, dann der Ton. Man unterhielt sich fortan über etwas. Die Zwischentitel ließen sich zumindest wegdenken, die Störung des autonomen Bildes verlief noch zeitverzögert. Mit dem Ton hat der Inhalt endgültig triumphiert. Und auch wenn wir in einem Spielfilm heute nicht hören, was in einem Gespräch gesagt wird, ist dies nur eine scheinbare Rückkehr. Das Bild wird nicht autonom, nur weil ihm kurzzeitig der Ton abgeht. Wir begreifen es vielleicht als Teil des Settings oder fragen uns, warum sich der Regisseur entschieden hat, uns den Inhalt vorzuenthalten. Wir denken an Eifersucht, an ein Geheimnis, an Spannung vielleicht, sehen ja ohnehin keine Personen, sondern Figuren, die entwickelt werden müssen. Es geht bei diesem Unterschied also nicht um Fragen des Mehr oder Weniger an Information, sondern um das Diktat der Bedeutung, dem selbst der Dokumentarfilm erlegen ist. Wir sehen sie kaum noch an, die sprechenden Menschen, wir hören ihnen zu, oder bedauern, dass wir sie nicht hören können.

In Raúl Perrones Stummfilm-Epos P3ND3JO5 unterhalten sich Menschen, mal mit Zwischentitel, mal ohne, und manchmal erscheint dieses Bild tatsächlich als Bild, vielleicht auch deshalb, weil Perrone weiter zurückgeht in der Geschichte als The Artist (2011) und viele andere Stummfilm-Experimente der letzten Zeit. Er beschwört zwar durchaus die Klassiker, er rührt aber auch am Wunder der Sichtbarmachung selbst, das das Kino in seinen frühen Jahren war, am Zeigen des Alltäglichen in einer neuen Form. Perrone erinnert nicht nur an das Werk der ersten Filmkünstler, sondern auch an die neutrale, prä-signifikante Neugier der Pioniere. Ein Zug fährt ein, Arbeiter verlassen die Fabrik, zwei Menschen unterhalten sich.

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In P3ND3JO5 wird in erster Linie geskatet, und das bricht endgültig mit dem nostalgischen Modus. Kein Blick zurück, auch kein Blick noch vorn oder gar Bestandsaufnahme. Ein Werk der radikalen Gleichzeitigkeit. Gleichzeitigkeit der Form: das körnige Schwarz-Weiß in 4:3, daneben das betont digitale Bild, das manchmal fast in Pixel zerfließt; eine lange Einstellung wird nicht durch Retro-Risse im Filmmaterial, sondern durch YouTube-Ruckler gestört. Gleichzeitigkeit des Tons: Zunächst die beruhigende Piano-Improvisation, ein kurzer Blick zurück, später ein Orchester, das aber bald von Elektrobeats heimgesucht wird, zwischendrin immer wieder unheimliches Lynch-Dröhnen: Eine Cumbia-Oper hat Perrone seinen Film auf Nachfrage genannt. Gleichzeitigkeit im Bild: Die Geister von Verstorbenen skaten ihren Körpern hinterher.

Und schließlich Gleichzeitigkeit des Kinoarchivs statt linearer Kinogeschichte. Wir wohnen einer fast sakralen Zeremonie der Filmbeschwörung bei, der auch der Begriff der Hommage nicht gänzlich gerecht wird, so direkt werden die Referenzen ins düstere Ituzaingó, einen Vorort von Buenos Aires, eingewoben: Ein Skater mit Kapuzenpulli wird zu Dreyers Johanna. Die Filmgeschichte wird nicht aufbewahrt und geehrt, sondern wirft sich schützend über die titelgebenden pendejos, die Kids, verschafft ihrer Gewalt, ihren Drogen, ihren Schwangerschaften nicht sozialrealistischen, sondern poetischen Ausdruck. Denn dass wir hier eher Personen denn Figuren sehen, heißt nicht, dass wir sie nicht kennenlernten, die neutrale Neugier ist nur einer von vielen Modi des Films. Was genau dort passiert auf der Leinwand, das ist manchmal glasklar, manchmal nur zu erahnen; einiges wird angedeutet, anderes erfordert einen zweiten Besuch des Films. Auch in der Handlung Gleichzeitigkeit: Denn natürlich arbeitet das Kino immer mit Geschichten. Nur dass es seine Geschichten manchmal eben nicht erzählt, sondern eine Welt konstruiert, die von ihnen durchzogen ist.

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Mit einem minimalen Budget ein solches Werk zu drehen, mit Drei-Akt-Struktur und Zeitlupen, ist zugleich unverschämt ambitioniert und herrlich respektlos. Perrone ist indes kein frecher Avantgardist, sondern ein gestandener unabhängiger Filmemacher, der bereits an die vierzig Filme gedreht hat, viele davon weit unter Spielfilmlänge, die meisten gedreht in Ituzaingó. P3ND3JO5 dagegen dauert satte zweieinhalb Stunden, und auch deswegen ist es kein leicht konsumierbarer Film. Seine Ambition kann faszinieren, aber auch anstrengen, sie kommt vor allem in den biblisch anmutenden Schlusssequenzen etwas selbstgefällig daher. Doch diese Selbstgefälligkeit hat sich Perrone mit teils schier überwältigenden Bildern redlich verdient. Aus ihnen spricht die Faszination für die Kraft des Wunder gewesenen und Alltag gewordenen Kinos, und das auch, weil hier die Sprache in die Schrift verbannt ist, einen Blick zulässt auf fast autonome Bilder, die keine Bedeutung tragen und sich doch verbinden, eine Geschichte als Welt erschaffen, in der sich zwei Menschen unterhalten – oder skaten.

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