Oxygen – Kritik
Netflix: Nicht wissen, wer man ist, und dann auch noch in einer Kammer mit wenig Sauerstoff feststecken. Oxygen spielt in einem Zwangskokon, aus dem sich Mélanie Laurent zu befreien versucht – und mit der Frage, ob Regisseur Alexandre Aja hier der einzige Sadist ist.

Es beginnt damit, dass sich eine Frau (Mélanie Laurent) aus einem Kokon befreien muss. Das gleicht dem ikonischen Erwachen Neos in Matrix (1999), nur ist dieses Erwachen ein qualvollerer Vorgang. Die luftraubende Hülle gibt nicht einfach nach. Arme, Beine und Hüfte sind festgeschnallt. Infusion und Kabel überziehen sie. Und anstatt sich nach der Befreiung beflügelt davonmachen zu können, findet sich die Frau lebendig begraben. Die kryogenische Kammer, in der sie liegt, hat die Größe eines großzügigen Sargs. Nur lässt sich die Klappe nicht öffnen und die Luft nimmt kontinuierlich ab. Ihr bleibt nur die Kommunikation mit dem Computer M.I.L.O. (Mathieu Amalric). Um einen Weg aus ihrem tödlichen Gefängnis zu finden. Um an Hilfe von außen zu gelangen. Um zu verstehen, was überhaupt los ist. Um sich daran zu erinnern, wer sie ist.
Architekt gesucht

Oxygen schneidet diese „Geburt“ in eine Sackgasse kontinuierlich mit einer weißen Maus gegen, die sich durch ein weißes Labyrinth arbeitet. Während der gesamten Laufzeit des Films, während der die Kammer fast nicht verlassen wird, wiederholt sich diese Gleichsetzung der Frau mit dieser Maus, wenn auch nicht mehr ganz so hochfrequent. Die Implikation wird nachdrücklich gesetzt: Die Frau selbst steckt in einer Versuchsanordnung, die sie nur verlassen und überleben kann, wenn sie die richtigen Hinweise findet und die versteckten Rätsel löst. Die größte Spannung dieses Thrillers liegt dann auch darin, ob der Escape Room nur im Drehbuch Christie LeBlancs entworfen wurde, oder ob es auch innerhalb des Films einen Architekten jener Situation gibt, in der sich die Protagonistin befindet. Ob es also nur der Sadismus der Filmemacher und Zuschauer war, der sie dorthin brachte, oder ob es auch einen Sadisten im Film gibt.

So nachdrücklich dies installiert wird, so bestimmt ist auch Alexandre Ajas Inszenierung und das Schauspiel. Das Licht in der Kammer ist vornehmlich blau. Der Kopf unserer Hauptfigur von einer hellen Gloriole umringt. In den entscheidenden Momenten wird der Schein dieses ruhigen Aquariums aber von roten Farben konterkariert. Zuweilen umkreist die Kamera die Frau, wenn es ihr im Kopf dreht. Und sie sucht auch sonst expressive Möglichkeiten der Darstellung. Mélanie Laurents erratisch suchende Augen füllen wiederholt Einstellungen aus, ihr zwischen Hysterie und Konzentration schwankendes Gebaren drückte ihre emotionale Verfassung klar aus. Die Erinnerungsfetzen und Impressionen zeichnen sich meist durch eine sehr knappe Tiefenschärfe aus. Weil es eben so ist, dass die Frau und die Zuschauer von dem, was geschieht, nur einen sehr knappen Ausschnitt sehen und nur wenig wissen. Der entscheidende und schönste Moment des Films liegt dann auch in einer Weitung der Perspektive. Begleitet von goldenem Sonnenlicht.
Klar, verspielt, aufdringlich

Die Qualitäten von Oxygen liegen einerseits in seiner Klarheit. Im Vergleich zum etwas ähnlich gelagerten Gravity (2013) zeichnet er sich aber doch durch ein höheres Maß an Verspieltheit aus. Wo sich Alfonso Cuaróns Film auf die einfache Schwerkraft seiner Geschichte verlässt, versucht Alexandre Aja, sich durch Überdeutlichkeit abzusichern und durch assoziative Bilder die Einengung der Kammer optisch aufzuwerten. Damit erreicht er allerdings eher, dass sein Film zur Aufdringlichkeit neigt. Oxygen tendiert dazu, seine eigenen Werkzeuge zur Schau zu stellen und offensichtliche Schönheit über emotionale Verdichtung. All das, ohne wiederum eine betonte Künstlichkeit zu erreichen. Kurz: Mit seiner Expressivität verbaut er die eigenen Potenziale etwas.

Oder nochmal anders: Ständig schwingt mit, dass dies ein Film über die Isolation während der Corona-Pandemie ist. Es ist die Geschichte einer auf sich zurückgeworfenen Person, die nur einen Computer hat, um Informationen aus der Außenwelt zu erlangen und mit ihr in Kontakt zu treten. Eine Geschichte voller Paranoia und diffuser Schuldgefühle. Später wird eine Pandemie von Bedeutung sein, bei der ein Virus große Teile der Weltbevölkerung auslöschte. Und zu guter Letzt sehen wir in Einschüben noch Personen mit Mund-Nase-Masken. Das Implizite darf in Oxygen nicht implizit bleiben. Es wird ständig zum Expliziten gemacht.
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