Outside the Law – Kritik

Ein Bankraub, ein Gangsterrivale auf den Fersen und ein aufmüpfiges Tingeltangelgirl als Komplizin. Alles geht gut für Fingers in Tod Brownings Outside the Law. Bis er weihnachtsbeseelt die Welt zu sich einlädt, und diese auch noch kommt.


 

In der geschäftigen Weihnachtsfilmstadt New York von 1930 sitzt ein Mann (!) ohne Unterleib Reklame im Schaufenster einer Bank. Als lebende mechanische Puppe weist er Passanten stumm auf Investitionsangebote hin: Fingers (Owen Moore), Protagonist von Tod Brownings Outside the Law (1930), macht diesen ungewöhnlichen Job, um sich Zugang zu den Tresorräumen zu verschaffen. Sein Gangsterrivale Cobra kommt ihm auf die Schliche. Wenn Fingers nicht fifty-fifty macht, so will er ihn verpfeifen. Cobra ist der Sohn einer Chinesin (das passt erstaunlich gut zu seinem Darsteller Edward G. Robinson). Einmal, als eine schöne Revolverlady ihn bedroht, kommt seine verhuschte, kleine Mama aus ihrem Hinterzimmer und tuschelt mit ihm. Die Revolverlady stutzt. Und er, mit dem berühmten, falschen, weltgewandten, schmierig-gefährlichen Grinsen: „Oh, es ist nichts. Sie wissen ja, wie Mütter sind. Sie macht sich immer solche Sorgen um meine Gesundheit.“

Die Revolverlady ist Fingers‘ widerborstige Komplizin Connie (Mary Nolan). Sie arbeitet als Tingeltangelgirl in einem Vergnügungsviertel. Im jahrmarktsbudenähnlichen „Palast der Schönen Künste“ stellt sie allegorisch die „Unschuld“ dar. Sie und ihre Kolleginnen sitzen spärlich bekleidet und verfroren als lebende Bilder in Rahmen und verkörpern vor einem ungezogen johlenden Publikum schöne Frauen der Mythologie und Weltgeschichte.

 

Mary Nolan ist ein eigenartiger Typ. Ein mokantes, kunstseidenes Mädchen, attraktiv und windschief, ein platinblonder Schluck Wasser in der Kurve. Ihre Körperhaltung, die hängenden Schultern, der geduckte Rücken haben etwas Argwöhnisches und, in ihrer Frauenrollenverweigerung, Aufmüpfiges. Ihr betont schlampiger, achtloser, schlendernder Gang, ihr ironisches, kühles Lächeln… Nolan ist wie eines dieser flatterhaften, witzigen und unglückseligen Girls und Flappers, die ich aus den Romanen von Jean Rhys oder Irmgard Keun kenne. Auch ihre eigene Lebensgeschichte liest sich so. Sie war ein Waisenkind, Künstlermodell, Ziegfeldgirl und von ihrem 14. Lebensjahr an die Geliebte eines 24 Jahre älteren, verheirateten Mannes, des damals sehr erfolgreichen Comedians Frank Tinney. Tinney war aus Eifersucht oft gewalttätig zu ihr. Einmal zeigte sie ihn an – erfolglos; man hielt es für einen Publicitytrick. Und sie blieb, wie ich gelesen habe, trotzdem bei ihm; „a nonsensical mixture of fights and laughs“ charakterisierte sie später diese Beziehung. In den 1920er und 1930er Jahren spielte sie (manchmal als Imogene Robertson) Hauptrollen in deutschen und amerikanischen Stumm- und Tonfilmen. Später heiratete sie einen scheiternden Börsianer, ging selber mit einem Modegeschäft Pleite und tingelte wenig erfolgreich auf Vaudeville-Bühnen durch die Provinz. Probleme mit Justiz und Polizei, Unterernährung, Drogen, Zusammenbrüche von Seele und Gesundheit… 1948 starb sie an einer Schlafmittelüberdosis.

 

Fingers ignoriert Cobras Einmischungsversuche. Er taucht mit Connie und der halben Bank-Million unter und mietet eine propere, kleine Wohnung als Tarnung und Versteck. Dort sieht man ihn versonnen im Türrahmen zum Bad stehen und Connie betrachten… wie sie den Hund einer Kollegin badet. (Man hört sehr lange nur das Plantschen; Outside the Law macht sich den Spaß, lüsterne Zuschauer zu täuschen.) Fingers kommen heimelige, bürgerliche Gefühle. Wie, wenn Connie seine kleine Frau wäre, die sich um den Nachwuchs kümmert… „Du kümmerst dich um dich, ich mich um mich, genau wie abgemacht“, stoppt Connie ihn, ganz „Mann“, Materialist, moderner Feind von Schleim und Spießerkitsch. Keine Heirat, keine Tiere, keine Kinder. Und er, ganz „Frau“, lenkt ein. Doch nur zum Schein.

Emotional unausgelastet in der scheinbürgerlichen Langeweile beginnt er ein neckisches Grußspiel mit dem kleinen, einsamen Jungen vom Fenster gegenüber. Er geht sogar einmal zu ihm zum Drachenbauen. „Ich kann nicht mehr rüberkommen und mit dir spielen“, ruft er danach bedauernd zu ihm rüber, mit spitzem Vorwurf an die strenge Connie, „meine Mama lässt mich nicht.“ Connies Verbot ist aber berechtigter als die beiden wissen. Der Daddy des Kleinen ist nämlich Polizist. Auch er ist reizend zu dem Jungen, wenn er vom Dienst nach Hause kommt. Gibt ihm seine Uniformkappe und mimt sehr niedlich Angst, als der sie aufsetzt. In diesem Film sind es nicht die Frauen, die verrückt nach Kindern und Gefühlen sind.

 

Heiligabend kommt, und Fingers geht die Wände hoch. „Was ist das für ein Fest“, schmollt er, „wenn man nicht raus darf und feiern wie der Rest der Welt! Ich hole jetzt die Welt herein! Ich kaufe uns ein Radio!“ Er ist nicht aufzuhalten.

Er ist noch nicht lang weg, da dreht sich der Türknauf. Connie greift nach dem Revolver. Und die Welt kommt herein. Erst ist es nur eine grazile Hundemama. Dann ihr tolpatschiger Welpe. Noch einer. Immer mehr. Sie will sie nicht. Auch nicht das arme, kleine Schlüsselkind des Polizisten, das nun in kurzen Hosen und mit dicken, nackten Beinchen in die Wohnung stapft, einen süßen Pony hat und so quietschig wie ein Entchen spricht. Hinter ihm wackelt noch das letzte Hündchen rein. Es ist besonders süß und hässlich, und es bettelt um Liebe. Der Junge nimmt es auf den Schoß und lächelt Connie an. Sie ist so barsch, dass ihm die Tränen kommen. „Hör auf zu flennen“, bellt sie, „sonst kriegst du einen Grund von mir!“ Da klettert er, vor Jammer außer sich, auf ihren Schoß. Legt seine Ärmchen um ihren Hals. „Geh weg“, sagt sie. Das Tristkind weint nun laut und bitterlich. Und Rührung und Erbarmen übermannen sie; Weihnachtsdämonen kriechen in ihr Herz. Ihre Klapse werden weniger und sanfter, schließlich gibt es nur noch Streicheln. Besiegt und weich putzt sie dem Kind die Nase. Sie ist verloren.

 

Fingers kriegt ganz tiefe, warme Augen, als er sie so sieht. Kuscheliges Stillenacht von der Heimorgel aus dem Radio. Das Kreuzgerippe des zerfetzten Kinderdrachens wirft einen christlichen Schatten auf den Teppichboden… auf einmal Hektik, Unheil, Panik! Alles überschlägt sich und bricht zusammen. Cobra ist den beiden auf die Spur gekommen, steht vor der Tür, Polizeipapa kommt heim, Cobra schießt, Polizist auch, beide schwerverletzt. Die Kollegen auf der Wache, die ihn telefonisch nicht erreichen können, setzen sich besorgt in Marsch. Fingers will noch schnell sein Geld retten, aber auch den Polizisten („Wir müssen leben, denn nun wissen wir wofür!“). Arzt lässt auf sich warten, sie müssen jetzt aber wirklich abhauen, doch nun will Connie, einmal herzerwärmt, das wimmernde Kindchen nicht alleinlassen…

Fünf Jahre, sagt der Richter: Das ist die minimale Strafe, unter Berücksichtigung ihrer Verdienste um das Polizistenleben. So ist das mit der Nettigkeit und Liebe. Man denkt zu viel an andere, verzettelt sich in Emotion, verliert die Freiheit und sein ganzes Geld. „Macht nichts“, streichelt Fingers Connies Hände, „alles ist in Ordnung, denn wir wissen nun, dass wir uns lieben.“ Und mit einem letzten, ölig sanften Orgelgruß macht der Film sich frei aus ihren Leben und reitet in den Sonnenuntergang.

Zu weiteren Texten unserer Weihnachtsreihe geht es hier: http://www.critic.de/tag/blutige-weihnachten/

 

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