One of These Days – Kritik
VoD: Immer eine Hand am Wagen. Bastian Günther widmet sich in seinem neuen Film einer eigentümlichen texanischen Ausdauerchallenge. One of These Days sprüht vor Fiktionslust, offenbart aber auch einen sehr deutschen Blick auf Texas.

Der transatlantische Blick war in der Vergangenheit für das deutsche Kino häufig ein Blick der Transplantation. Kulturell schweifend und sich teilweise öffnend für faces and places, aber immer im deutschen Körper verankert, der sich in der Ferne sucht und dabei leidet. Bastian Günther selbst psychedelisierte das bereits in Houston (2013). Die Kamera träumte vom Himmel, eingesperrt zwischen Granitbuchten, Highways und überwachten Wohnanlagen. Dazwischen Garret Dillahunt als Reflexionsebene und Klischee: triebgesteuert, profan und schön, etwas offener fürs Leben oder jedenfalls verzweifelter nach ihm suchend. Neu! auf dem Soundtrack. Das war 2013, damals noch größtenteils finanziert und gefördert von deutschen Geldern und nur auf dem deutschen Markt vertrieben. Günthers neuer Film One Of These Days führt zurück nach Texas, diesmal allerdings mit weltweitem Vertrieb von The Match Factory und Joe Cole und Carrie Preston in den Hauptrollen.
Ensemble mit Anführungszeichen

One Of These Days basiert auf einer real existierenden Ausdauerchallenge namens „Hands on“, bei dem Autohändler ein Auto an die Personen verschenken, die am längsten eine Hand auf dem Wagen ruhen lassen können. Es gibt jede Stunde eine fünfminütige Pause, alle sechs Stunden eine fünfzehnminütige. Planen kann man das richtige Essen sowie ausreichendes Trinken und Bewegung; der Rest ist Geduld und mentale Stärke. Vor allem bezieht sich der Film auf den „Hands on a Hardbody“-Contest in Longview, Texas, der aus Gründen, die während des Films klar werden, nicht mehr abgehalten wird. Der Contest wurde bereits von S.R. Bindler verfilmt, aus seinem Hands On A Hardbody: The Documentary (1997) entstanden unter anderem ein Musical und eine Folge des bekannten Radioprogramms This American Life.

Nun also Günther, der den Film rund um Kyle Parson (Joe Cole), einen Familienvater, für den der Truck Existenzsicherung bedeutet, und die Organisatorin Joan Dempsey (Carrie Preston) strukturiert. T-Shirts, Grundregeln und Figurenkonstellation der Doku werden beibehalten, das Teilnehmerfeld aber auf 20 Personen eingeschränkt und auf Konfliktpotenzial gepaart. Das Ensemble stellt sich vor, aber schreibt sich in Anführungszeichen: „G.I.“ (Evan Handerson), „Christin“ (Lynne Ash), „Wettkämpfer“ (Jesse C. Boyd), „Cowboy“ (Clyde Risley Jones), „Fratboy“ (Alexander Biglane), „Sturkopf“ (Carl Palmer) etc. Die Kamera sucht die physische Nähe, verharrt auf den Gesichtern und Händen. Jeder hinterlässt Einblicke, niemand darf wirklich leben. Am ergiebigsten ist One of These Days, wenn der Film wie in Ronnys Ausdauermonolog im Unklaren verharrt: „Man I can stand and stand and stand – no problem. 94°, Ronny stand. 105°, Ronny stand. Tropical thunderstorm, Ronny keep on standing. Hurricane, Ronny … Ronny is still there.“
Erstarrte Offenheit

Wo Bindler beizeiten eine Community findet, die sich zu unterhalten weiß, ist Günthers Vision weniger optimistisch. Die Teilnehmer schweigen sich an und suchen ihre Schwächen. Wird gesprochen, so wird kritisiert oder bewusst provoziert. Zweimal beginnt man, sich durchzuzählen, aber der Versuch, sich so zu verbinden, verebbt nach zwei Runden. Man pisst in Katheter, schwindelt, verzweifelt, verprügelt, zerbricht. One of These Days isoliert die Teilnehmer nicht im Frame, und doch leidet jeder in seiner persönlichen Hölle. Später im Film stimmt man die Nationalhymne an, ehe man in kollektives, hysterisches Lachen verfällt. Dazwischen schneidet Günther weg von dem Contest und zu Joan, die auf Dates geht und versucht, ihr Liebesleben zu ordnen. Jedoch wird auch sie immer zurückgerufen zum Contest und den Gaffern, die sie mit Bull Rides bespaßt.

Das Google-Maps-Footage, das Günther am Anfang und am Ende von One of These Days zeigt, illustriert schön die eigenen Limitierungen: Günthers Blick ist ein fremder Blick, ein deutscher Blick – theoretisch für alle Perspektiven und Möglichkeiten geöffnet, aber doch erstarrt in der einen Einstellung und Sichtweise, die die Welt bedeutet und doch bereits an den Rändern verzerrt. Ein Blick, der dem Publikum das Leben erklären, aber nicht zeigen will. Günther bricht die Körper, das System, die USA auf eine Diskursebene runter, die man in Deutschland gerne durchdekliniert sieht, weil man sie bereits lesen kann und sie das (Selbst-)Verständnis nicht zu sehr verkompliziert. Der amerikanische Traum foltert; am leichtesten diejenigen, die einen Truck benötigen. Die Challenge als Mikrokosmos der Gesellschaft. Kapitalismus als soziales Sieb, das, solange es unterhält, selbst unter den Schwächsten noch den Stärksten ermitteln muss. Alles ordentlich und zweckdienlich aufgereiht für alle, die selbst noch nicht an dieser Perlenkette gewürgt haben oder nochmal wollen.
Moral unter Lügnern und Fremdgehern

Manchmal funktioniert dieser Determinismus. Maria (Callie Hernandez), Kyles Frau, schreibt ihm ein Mantra auf dem Handrücken – DONT MOVE –, das sich über die Zeit bis zur Handfläche durchfrisst, dort Blasen schlägt und blutet. Die Kamera ist so körperlich, dass die Momente des mentalen Bruchs umso stärker durchscheinen. Menschen erkennen sich, lösen ihre Hände und verschwinden in das Dunkle der Nacht. Cole ist als Schauspieler besser darin geworden, sich in diesen Filmen verlieren zu lassen, und der letzte Akt, der Parallelen zwischen ihm und dem System zieht, um die Moral unter Lügnern und Fremdgehern zu finden, zählt zu den Stärken des Films.
Während regionalere Filme wie Bindlers oder Eagle Pennells The Whole Shootin' Match (1978) nah am Überleben der Menschen sind, entzieht sich Günther bewusst dem Sozialrealismus, und dies durchaus gekonnt. Die Kamera verliert den Wagen nie aus dem Bild und lässt ihn bei Zeiten sogar selbst blicken. Hungrig, lauernd, spottend wie einst der Plymouth Fury in Carpenters Christine (1983). Wenn der Truck später zum Leben erwacht und mit Bill Callahans Stimme spricht, um »Riding For The Feeling« anzustimmen, dann darf man vor so viel Fiktionslust auch mal den Stetson knicken.
Der Film steht bis 30.01.2024 in der Arte-Mediathek.
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