One Day, You Will Reach the Sea – Kritik
Vor dem Hintergrund der japanischen Tsunami-Katastrophe von 2011 erzählt One Day, You Will Reach The Sea einfühlsam und mit erfrischender Ruhe die Geschichte einer Freundschaft, die zu früh und tragisch endet.

Eine „Wir-beide-gegen-den-Rest-der-Welt“-Freundschaft kommt nicht alle Tage, und einen Menschen zu verlieren, der einem sogar die frisch lackierten Zehennägel befächert hat, kann das Leben schon mal ordentlich auf den Kopf stellen. Um solch eine Freundschaft und ihren Verlust geht es in One Day, You Will Reach The Sea, Ryutaro Nakagawas Adaption des Romans Yagate Umi e to Todoku von Maru Ayase.
Instant-Melancholie

„Don’t look back“ heißt es ganz zu Beginn des Films – und Protagonistin Mana (Yukino Kishii) schaut in der Tat nur ungern auf ihr Leben zurück. Denn in den Schatten ihrer Vergangenheit lauert die Erinnerung an ihre Freundin Sumire (Minami Hamabe), die 2011, während des bisher größten bekannten Tsunami-Ereignisses Japans, spurlos verschwand. Doch die Erinnerungen an die Freundin werden wieder wachgerüttelt, als Sumires Exfreund sich an Mana wendet, da er mit Sumires verbliebenen Habseligkeiten nichts mehr anzufangen weiß. Bis hierhin war die verschwundene Freundin im Film noch nicht sichtbar, doch ihre entscheidende Rolle im Leben Manas ist längst klar. Um Manas Trauer glaubwürdig zu inszenieren, braucht Nakawaga weder musikalische Untermalung noch großartige Bewegung im Bild, Yukino Kishii verkörpert die Rolle der Mana mit genau dem richtigen Maß an Nuance. Manas angedeutete Emotionen werden mithilfe einer statischen Kamera eingefangen, sie ist meist zentriert vor bewegungslosen Hintergründen sichtbar. So ruht der Blick auf ihr und ihrem Schmerz.

Die Freundschaft beider Protagonistinnen, bei der womöglich auch romantische Absichten im Spiel sind, wird von Regisseur und Drehbuchautor Nakagawa in Flashbacks etabliert: vom Kennenlernen der Figuren in der Orientierungswoche ihrer Universität über ihren ersten Ausflug zur Küste bis hin zum besagten Nägellackieren in Manas Wohnung. In den Gesprächen der Freundinnen geht es um die Zukunft, die Liebe und das Alleinsein. Es sind Dialoge, die beim Zuhören in eine Instant-Melancholie versetzen und wohl sehr vielen twenty-somethings bekannt vorkommen dürften. Nakagawas langes Verweilen in Flashbacks hilft hier, die Vielschichtigkeit beider Protagonistinnen und warum sie einander Rettungsanker sind, zu verstehen.
Aufgeregter Stilmittelabtausch

Recht überraschend verlegt der Film dann in der zweiten Hälfte den Fokus auf die der Handlung zugrunde liegende Tsunami-Katastrophe, die in der ersten Hälfte kaum Erwähnung fand. Um auf deren Auswirkung auf das Leben unzähliger Japaner*innen aufmerksam zu machen, bindet Nakagawa nun eine Interviewsequenz in die Handlung ein. Zum Tränen verdrücken ist die fiktive Handlung um Mana und Sumire an diesem Punkt eh schon, da wirken die dokumentarischen Gespräche mit den Hinterbliebenen der Katastrophe eher disruptiv, zumal der Film diese Erfahrungsberichte nach ihrer Etablierung großteils links liegen lässt. So verlieren sie sich im Gesamtbild und bleiben kaum in Erinnerung.

Nach seinem kraftvollen Einstieg verrennt sich One Day, You Will Reach The Sea so etwas in einem aufgeregten Stilmittelabtausch. Denn durch zwei Animationssequenzen, die die Handlung einrahmen, die dokumentarischen Interviews und einen doch eher verspätet auftretenden radikalen Perspektivwechsel gehen die bedachte Inszenierung von Freundschaft, die gemäldeartigen Bildkompositionen und die intensiv ausgearbeiteten Charaktere fast unter. Aber zum Glück nur fast.
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