Not Fade Away – Kritik

In seinem Kinodebüt reist Sopranos-Schaffer David Chase ins rockige New Jersey der Sixties.

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Zumindest das Kino mag sie manchmal, die gescheiterten und scheiternden Musiker dieser Welt. So ungern man seine Zeit mit mittelmäßiger Mucke verplempert, mit dem richtigen Charme erzählte Storys um das häufig unrühmliche Streben nach Ruhm ohne Happy-End-Garantie sind ein ungleich schönerer Zeitvertreib. Erst kürzlich haben die Coen-Brüder den unbekannten Folksängern New Yorks in der Zeit kurz vor Dylan und dem Folk-Hype ein Denkmal gesetzt. Auch David Chase, bekannt für den Serienerfolg Die Sopranos (1999–2007), geht zurück in vergangene Zeiten. Wo aber die Künstler in Inside Llewyn Davis (2013) an den harten Alltag ohne Ruhm gewohnt waren, weil sie schließlich noch gar nicht wissen konnten, wie übel der musikalische Weltgeist ihnen bald mitspielen sollte, ist das Feld in Not Fade Away längst abgesteckt: Die Beatles sind da, die Stones auch, Rock ’n’ Roll hat die Welt erobert – und die Mitglieder der Chase’ eigener Biografie entsprungenen High-School-Band wollen ganz einfach die nächsten sein. In vorstädtischen Elternhäusern müssen sie sich nicht mühsam durchschlagen, sondern können ganz unverblümt vom Durchbruch träumen.

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Bei den Coens klopften die Sixties gerade mal an die Tür, in Not Fade Away stecken sie bereits in der Pubertät: Die jugendlichen Rebellionen sind zwar noch keine öffentlichen Massenveranstaltungen, aber sie toben bereits im Heim, wo Mütter über die schwarze Bürgerrechtsbewegung den Kopf schütteln, wo Väter sich nichts sehnlicher wünschen als einen Haarschnitt für den eigenen Sohn – wo also spießige Eltern an hippen Kindern verzweifeln. Im Zentrum steht Doug, gespielt vom jungen John Magaro, der mit seiner Lockenmähne tatsächlich aussieht wie der junge Dylan. Als Antagonisten im suburbanen Generationenkonflikt dürfen wir den großartigen James Gandolfini in einer seiner letzten Rollen bewundern, als Vater, der seine eigene Verletzlichkeit hinter einer unnachgiebigen Maske der Rechtschaffenheit verbirgt. Nicht nur Sohn und Vater emanzipieren sich langsam vom Retro-Klischee zu ausgearbeiteten Figuren, der gesamte Film gewinnt erst im Laufe seiner für sein eigentlich sympathisches Understatement etwas lang geratenen Laufzeit an Dichte.

Zunächst aber irritiert der Rhythmus, oder besser: der Mangel an Rhythmusgefühl. In einer der ersten Szenen steht eine Schulband lässig rockend auf der Bühne, während in der Aula einigermaßen begeisterte Zuhörer dazu verdonnert sind, auf ihren Stühlen sitzen zu bleiben und recht debil mitzuklatschen. Und ähnlich mag es manch einem Zuschauer von Not Fade Away ergehen: Nur zu gern würde er sich fallen lassen in die wilde Zeit, so richtig abgehen, doch viel kommt da erst mal nicht rüber: Der Film schleicht sich am Publikum vorbei, die Schnitte ohne Überraschung, die Jugendlichen ganz niedlich, aber nichts zum Mitrocken, eher zur Kenntnisnahme. Chase inszeniert mit affektarmer Coolness, Filmemachen mit Kaugummi im Mund. Doch diese scheinbar platte Pose ohne viel dahinter passt eigentlich ganz gut zum altklugen Selbstbewusstsein der Jungrocker, für die ihre Rock-’n’-Roll-Karriere keine Frage des Ob, sondern des Wann ist.

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Gänzlich talentfrei ist vor allem Doug auch nicht. Man lobt ihn für seine Stimme, und schon bald steigt er vom Drummer zum Sänger auf, womit die ersten Eifersüchteleien einhergehen. Nebenbei verliebt er sich in die hübsche Grace (Bella Heathcote). Es sind die bekannten Coming-of-Age-Motive, die sich nun in die Handlung einschleichen, und auch wenn Chase sie ähnlich nüchtern beobachtet wie die Zuschauer auf ihren Stühlen die Schulband, spiegelt sich der Reifeprozess der Jugendlichen doch in einer subtilen Zunahme filmischer Intensität: Not Fade Away wird ganz allmählich reicher, an Tiefen und an Kontrasten, traut sich bald auch visuelle Zuspitzungen zu. Der ganz wilde Rock ’n’ Roll bleibt zwar aus, doch diese Unaufgeregtheit ist dem starken Script durchaus förderlich. Der Gestus selbstverliebter Coolness weicht selbstbewusstem Kino. Chase’ Schreibtalent ist dabei stets spürbar, nicht nur in den pointierten Dialogen, sondern auch in der Vermittlung zwischen Persönlichem und Historischem: Die großen Themen der Zeit falten sich ganz beiläufig in die Entwicklung der Protagonisten, die Familiengespräche politisieren sich immer stärker, kein Abendessen mehr ohne Vietnam-Bezug, und auch unser Wannabe-Dylan wird Opfer sich verrückender Verhältnisse, als sich Grace seinem besitzergreifenden Beziehungsdenken verweigert. Wie sich das Große hier im Kleinen spiegelt, ganz mühelos, das ist mitnichten einzigartig, aber nach Olivier Assayas’ Die wilde Zeit (Après Mai) ein neuerliches Beispiel für eine differenzierte und doch atmosphärische Annäherung an eine Zeit, deren Erinnerungsbilder so häufig von Klischees dominiert sind.

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Ganz zum Schluss enthüllt Chase neben der Verarbeitung seiner eigenen gescheiterten Musikerkarriere noch ein weiteres Movens seines Films: ein Plädoyer für den Rock, Geschenk Amerikas an die Welt, das es zu ehren gilt. Auch wenn das Pathos, mit dem dieses Plädoyer schließlich expliziert wird, nicht so ganz passen mag zum vorangegangenen Film, tut das dem insgesamt stimmigen Resultat keinen Abbruch: Chase hat einen bescheiden-sympathischen Song komponiert, ohne Verstärker und Verzerrer; mit einer nicht unbedingt originellen, aber doch eingängigen Melodie, nicht unbedingt poetischen, aber doch aufrichtigen Lyrics ohne platte Message, voller Leben. Kein Hit, aber doch die Art von Musik, die man immer wieder gerne hört.

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