Nope – Kritik
Eine Familie versucht ein Ufo zu filmen, das ihre Ranch angreift, und nutzt eine Leerstelle in der Filmgeschichte, um sich in sie einzuschreiben. Jordan Peeles Nope beginnt als ein Film über Bilder und entwickelt sich zu einem Film über das Sehen.

Das Kino ist bereits in seinen Anfängen definiert durch Leerstellen. Von dem Fotografen Eadweard Muybridge, der heute als eine der Gründungsfiguren des Kinos gilt, wissen wir beispielsweise, dass sein Sponsor Leland Stanford ihm den Verteidiger bezahlte, als er zwischen den Arbeiten an The Horse In Motion (1878) den Liebhaber seiner Frau ermordete. Doch im Falle der bekanntesten Serie dieses Projekts, Sallie Gardner at a Gallop, ist sogar mehr über das Pferd bekannt als über den schwarzen Jockey, der nur als G. Domm notiert wurde. Eine Leerstelle, die nun bei Jordan Peele Platz zum Handeln lässt.
Pferde trainieren für Hollywood

Emerald „Em“ (Keke Palmer) und Otis „OJ“ Haywood (Daniel Kaluuya) übernehmen nach dem Tod ihres Vaters (Keith David) dessen Ranch und trainieren Pferde für Hollywood. Um die Verbindung der Familie zum Kino zu unterstreichen, behauptet Em, dass es ihr Ur-Ur-(Ur-)Großvater Alistair Haywood war, der einst Sallie Gardner geritten habe, verbindet somit Film- mit Familiengeschichte und schreibt sich aktiv in die Entwicklung des Kinos. Die Story wird von dem Set mit höflichem Staunen aufgenommen. Eine Szene später werden OJs Anweisungen missachtet, schlägt das Pferd aus, werden die Geschwister gefeuert und überlegen, die Ranch an ihren Nachbarn Ricky „Jupe“ Park (Steven Yeun) zu verkaufen. Bald das kleinere Problem, als OJ herausfindet, dass ihr Gebiet von einem Ufo patrouilliert wird, das gezielt Jagd auf ihre Pferde macht.

Nope erfindet im Laufe des Films seine zentrale Geste immer neu: „Nope!“ verhandelt, wird zur Catchphrase, verleugnet und bejaht. Der Ausruf bildet das Spannungsfeld des Spektakels und all seiner Emotionen, mit denen Peele hier Genre versteht. In IMAX und Infrared gefilmt im kalifornischen Agula Dulce mit seinen offenen Flächen und Hügeln, ist Nope sowohl Western, Horror als auch Science-Fiction und von allem immer nur so viel, wie für die jeweilige Einstellung benötigt wird.
Audiophiles Terrorkino

Peele macht Filme über schwarze Figuren, die sich ihre Identitäten unter prekärsten Bedingungen bauen und verteidigen. Filme über den Zeitgeist und wie er sich selbst kannibalisiert. Wie in Get Out (2017) oder Wir (Us, 2019) definiert das Milieu hier Figuren und deren Psychologie, dementsprechend wird das Ufo in erster Linie als potenzielle Geldquelle verstanden und werden Pläne entwickelt, dessen Existenz filmisch festzuhalten. Für Peele bedeutet das vor allem eine Auseinandersetzung mit dem Digitalem, denn das uns in CGI erscheinende Ufo kann in der erzählten Welt nur über analogen Film dokumentiert werden – der in Zeiten des Deepfakes in Nope noch die Aura des Unverfälschten hat. (Weitere schöne Analogie: Das Ufo kann nur Organisches verdauen und erbricht den Rest in Müllschauern.) Peele zeigt das über einen gewissen Fetischismus – Schneidetische, Dunkelzelte, Kameras mit Handaufzug –, der dabei eine parallele Art der Filmproduktion zeigt, ohne diese jedoch tiefer auszuarbeiten.

So beginnt Nope als ein Film über und für die Bilder und entwickelt sich in seinem Verlauf zu einem Film über das Sehen. Das Ufo wird hier zum organischen, empfindungsfähigen Wesen. Man denke optisch an die Engel in der Anime-Fernsehserie Neon Genesis Evangelion (1995–1996), an die es sich in seiner finalen Form auch angleicht. Es greift medusenartig nur an, wenn das Opfer seinen Blick erwidert. Eine wunderbare Ausgangslage für Horror, weil es das Andere als etwas versteht, dem man nicht aktiv begegnen kann, sondern das man passiv aushalten muss, was in den Setpieces zu audiophilen Terrorkino führt. Kaluuya ist prädestiniert für diese Art von Horror, spielt OJ als so introvertiert, dass nur die Augen die Angst kommunizieren, während sich der Rest des Körpers fast katatonisch abschaltet und im Bild verschwindet.
Ein Anblick, der Zweifel schürt

Peele weiß allerdings auch um den Widerspruch dieses passiven Todes mit dem Genreverständnis, dass im Horrorfilm ein Tod nur wahr oder (in der Sprache Hollywoods gehalten) etwas wert ist, wenn er sich auch zeigen lässt. Ein Widerspruch, den der Regisseur versucht, in Jupes Storyline aufzulösen. Jupe war Kinderschauspieler in Gordy’s Home, einer Sitcom à la Unser Charly, in der der Affe eines Tages beschließt, den Cast anzugreifen. Jupe bleibt verschont in einer Geste, die Peele von Spielbergs E.T. – Der Außeridische (E.T. the Extra-Terrestrial, 1982) nimmt und hier zu einer Solidarisierung unter Ausgebeuteten umdeutet. Jupe spielt die Rolle des asiatischen „Immigrantenkindes“ und wird von der Sitcom genauso exotisiert und belacht wie Gordy, der immer die Kontrolle verliert, wenn er an den Dschungel denkt.

Wie die Haywoods mit Muybridge, definiert sich auch Jupe durch dieses eine Ereignis. Anders als sie kommerzialisiert er sein Trauma in einen Westernvergnügungspark namens Jupiter’s Claim als vermeintliches Gegennarrativ. Hier kann er seine Geschichte abseits der Marginalisierung in Hollywood erzählen, doch bedient sich dabei derselben Mechanismen. Eine Spannung, die sich bald als die thematische Achse des Films entpuppt und auch die Motivation der Haywoods erklärt und hinterfragt. Die Ausarbeitung und Umschreibung der eigenen Geschichte funktioniert in Hollywood nicht ohne die Reproduktion derselben kapitalistischen und ausbeuterischen Strukturen, die Jupe und die Haywoods überhaupt in ihre jetzige Randposition gedrängt haben. Beide kollidieren, wenn sie mit dem elementaren Charakter des Ufos konfrontiert werden, das sich als Wolke tarnt und über Wind und Regen angreift. Es ist ein Anblick, der Zweifel schürt. Kurz nach der ersten Sichtung fragt OJ seine Schwester, ob es so etwas wie schlechte Wunder gebe? Die Antwort kommt spartanisch und schnell: Nope.
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