No Bears – Kritik
In No Bears steht Jafar Panahi exakt auf der Grenzlinie zwischen dem Iran und der Türkei. Ein Schritt und er wäre in Freiheit. Inzwischen sitzt er in einem Teheraner Gefängnis. Sein neuer Film erzählt zwei amüsante und packende Geschichten, in denen auch der Regisseur selbst mal wieder eine Rolle spielt.

Zwischen dem jeweils größten See des Iran und der Türkei liegen nur 150 Kilometer Luftlinie. Der türkische Van-See verliert aufgrund des Klimawandels nach und nach an Wasser. Beim iranischen Urmia-See ist die Lage ungleich dramatischer: Er ist in den letzten Jahrzehnten durch den Klimawandel und staatliches Missmanagement um rund 95 Prozent geschrumpft und gleicht inzwischen eher einer Salzwüste. Diese Diskrepanz spiegelt sich in der Menschen- und Bürgerrechtslage der beiden Staaten: Die Türkei hat unter Erdogan einen Demokratie-Abbau sondergleichen erlebt, wirkt im Vergleich zum Iran aber weiterhin wie ein Hort der Freiheit. Kein Wunder also, dass viele Iraner:innen dorthin fliehen.
Keine eitle Selbstbespiegelung

Dass auch Jafar Panahi eines Nachts an der türkischen Grenze steht, ist ebenfalls kein Wunder: 2010 wurde der Regisseur zu sechs Jahren Haft und 20 Jahren Berufsverbot verurteilt. Dennoch hat er seitdem widerspenstigerweise – und mehr oder minder heimlich – fünf Langfilme realisiert, darunter den Berlinale-Gewinner Taxi Teheran (Taxi, 2015). Sein neuestes Werk No Bears, beim Festival von Venedig mit dem Spezialpreis der Jury ausgezeichnet, ähnelt seinen letzten Arbeiten stark: Die Kamera blickt auf Panahi und begleitet ihn durch den (fiktional erweiterten) Alltag.

Das mag wie eitle Selbstbespiegelung wirken, ist aber den ihm auferlegten Einschränkungen geschuldet – schließlich kann er aufgrund des Arbeitsverbots keine öffentlichen Dreharbeiten veranstalten, sondern muss sich mit minimalistischen Mitteln begnügen. Insofern gibt es zwar längst andere Filmemacher:innen, die für ein aufregenderes, jüngeres iranisches Kino stehen, seien es Mohammad Rasoulof, Reza Dormishian, Mani Haghighi oder Shahram Mokri. Doch gelingt es Panahi in No Bears erneut, über seine persönliche Lage die politische Situation im Iran zu vermitteln und nebenbei noch zwei mal packende, mal amüsante Geschichten zu erzählen.
Romeo und Julia auf dem iranischen Dorfe

Ein Erzählstrang begleitet den Regisseur, der sich in ein ärmliches Bergdorf in der Nähe des Urmia-Sees zurückgezogen hat, Panahis Heimatregion. Dort entspinnt sich eine Romeo-und-Julia-Geschichte sowie ein klassischer Stadt-Land-Konflikt zwischen dem Weltbürger Panahi und den Dorfbewohner:innen, der auf recht absurde Weise eskaliert. Mitunter scheint es, als blicke der Intellektuelle Panahi mit Herablassung auf die Dörfler und ihre archaischen Traditionen herab. Gleichzeitig wird klar: Es ist der Stadtmensch, der die sukzessive Entzweiung der Dorfbevölkerung verursacht.

Der zweite Strang folgt einem (ausgedachten) Filmdreh in der Türkei, den Panahi via Videochat aus dem Iran anleitet. Es geht um ein in die Türkei geflüchtetes iranisches Paar, das versucht, nach Westeuropa einzureisen – gespielt von einem in die Türkei geflüchteten iranischen Paar, das versucht, nach Westeuropa einzureisen. Nur wenige Kilometer trennen den Regisseur von seinem Team, doch da er nicht über die Grenze darf, muss sein Assistent nachts in Panahis Bergdorf fahren, um die neuesten Aufnahmen auf einer versteckten Festplatte zu ihm zu schmuggeln. Auch in dieser Erzählung nimmt Panahi eine invertierte Mephisto-Rolle ein, die stets das Gute will und dabei versehentlich das Böse schafft.
Von der Grenze ins Gefängnis

Es wird Tote geben in diesem Film – und als Zuschauer mag man sich zunächst wundern, dass zumindest zwei dieser Todesfälle nicht dem iranischen Regime zuzuschreiben sind. Das wäre jedoch nur dann ein sinnvoller Einwand, wenn man das iranische Kino darauf reduzieren würde, gegen den Staat aufzubegehren und so die Erwartungen eines westlichen Publikums zu erfüllen. Dabei gibt es natürlich auch im Iran Geschichten zu erzählen, die nichts mit Diktatur und Repression zu tun haben, sondern mit Liebe, Armut oder eben den großen Differenzen zwischen einer eher liberalen Mittelschicht und einer eher konservativen Landbevölkerung.

No Bears steckt trotz (oder gerade wegen) Panahis bedrückender Lage voller Humor, etwa in der Szene, die den Titel erklärt. Wenn man jedoch weiß, dass der Regisseur – ebenso wie viele andere iranische Künstler:innen – seit Monaten in einer berüchtigten Haftanstalt für politische Gefangene sitzt, dort einen Brand und den Einsatz von Tränengas überstehen musste, vergeht einem das Lachen im Kinosaal. Wie der Film zeigt, hätte Panahi wahrscheinlich längst aus dem Iran flüchten können, um anderswo ein freieres Leben zu führen – aber so einfach will er es dem Regime in Teheran dann wohl doch nicht machen.
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