Nighthawks – Kritik
Neu auf DVD: Ein im Alltag noch ungeouteter schwuler Lehrer zieht allnächtlich durch die Clubs und sucht nach Beute fürs Bett. In Ron Pecks Nighthawks (1978) ist dieses Leben weder aufregend noch besonders cool. Seine Utopie ist sichtlich Normalität.

Ein Club. Männer tanzen. Männer stehen an der Wand. Männer reden. Und immer wieder verengt sich das Bild auf ein Augenpaar, das nicht stillsteht, dessen Blicke den Raum durchstreifen, durchsuchen, abchecken. Wieso Nighthawks seinen Titel trägt, wird etwas ungelenk, aber eindringlich in den Raum gestellt. Nacht für Nacht zieht Lehrer Jim (Ken Robertson) los und sucht nach Beute, nach jemandem, mit dem er die Nacht verbringen kann. Und doch ist das nur die Hälfte der Wahrheit. Dem Film geht es auch um den Wechsel dieser Nächte mit einem tristen Alltag, der mit den immergleichen Ritualen und Problemen auf die Jagd folgt.
Kein Saturday Night Fever

Die Stärke von Ron Pecks Film liegt nun darin, dass er alle etwaigen Erwartungen an eine solche Struktur links liegen lässt. Weder geht es um das Saturday Night Fever (Nur Samstag Nacht, 1977) der Hauptfigur, die die Woche nur erträgt, weil die Ekstase in der Disco am Horizont auf sie wartet. Noch darum, dass unsere Figur dramaturgisch in die Enge getrieben wird und lernen muss, dass ein solches Leben sie nicht erfüllt, dass ein Leben mit wechselnden Sexualpartnern leer sei und letztlich ihre Seele fressen würde. Selbst die Ausgrenzungserfahrungen eines Schwulen in den 1970er Jahren wollen sich nicht wirklich zu einer Tragödie verdichten. Das Ergebnis ist so weit weniger packend als solche Dramen, dafür ist es aber ungleich selbstbewusster.
Nighthawks ist radikal, ohne es zu betonen. Coolness und Aufregung werden ignoriert oder ausgeblendet. Weder macht Peck Werbung für den Lebensstil seiner Figur, noch sucht er nach einem Opfer. Die Aufnahmen sind dokumentarisch und verwehren sich künstlicher Ausdrucksstärke. Sie unterstreichen viel mehr eine gewisse Tristesse. In den Clubs warten keine aufregenden Abenteuer. Die immer gleichen zwei Lieder werden gespielt. Oft geht es nur darum, rumzustehen, bis dann doch mal jemand Passendes mit einem redet. Die Partner sind aber auch nie atemberaubende Traummänner mit einer Persönlichkeit zum Verlieben.

Bevor irgendetwas im Bett passiert, wird stets zum nächsten Morgen geschnitten. Zu den unbeholfenen Gesprächen, in denen scheu nach Hinweisen getastet wird, ob der andere vielleicht doch mehr sucht, sich vielleicht zu mehr hinreißen lässt. Es folgen weitere Verabredungen, bei denen Jim auch mal versetzt wird, worauf er eben jemanden als Notlösung reaktiviert. Daneben Momente aus dem Schulalltag, wo er meist mit Aushilfslehrerin Judy (Rachel Nicholas James) über den Job und ihr Leben spricht. Ein repetitives Geschehen ohne Katharsis.
Die Utopie ist Normalität

In einem Austausch der beiden über ihr Liebesleben erzählt Jim Judy selbstverständlich und ohne mit der Wimper zu zucken von seiner letzten ernsten Beziehung. Sie wusste anscheinend nicht, dass er schwul ist. Ihre Gesichtszüge frieren für den Rest des Treffens ein. Aber auch das führt zu keiner entscheidenden Änderung, wie auch ein Annäherungsversuch Judys kurz weggepöbelt wird, und danach ist wieder alles normal zwischen den beiden. Selbst das Gespräch mit seiner Klasse, die ihn über sein Schwulsein zur Rede stellt und deren Fragen und Anfeindungen er ruhig auseinandernimmt, sorgt nur für einen kleinen Ausbruch von Aufregung, der schnell wieder verglimmt.
Ron Pecks Utopie ist sichtlich Normalität. Dass man sich nicht wegen eines Lebensstils verstecken muss, sein Leben nicht an fremde Erwartungen anpasst. Und genau das lässt er Jim in Nighthawks machen: Er lässt ihn sein Leben unaufgeregt dahinleben. Lässt ihn einen Alltag haben, der nervig ist, der unausfüllend ist, der nicht besonders ist. Schwul zu sein ist hier wie jedes andere Leben auch. Voller Aufs und Abs. Und selbst die Coolness eines experimentellen Films lässt Peck nicht aufkommen. Jims Leben ist zwar elliptisch erzählt und ohne Drama, aber bei aller zuweilen hypnotischen Qualität ist er einfach nur ein simples Dokument.

Aber gerade dadurch, dass wir nur kleine Ärgernisse und Eigenheiten eines normalen Lebens zu sehen bekommen, ist Nighthawks nachfühlbar und schön. Ein Statement, das nicht als Statement auftritt. Denn sein nachdrücklichstes Argument wird gar nicht verbalisiert, und doch ist es tief in der Magengegend zu spüren. In den Fragen seiner Schüler und in den unzufriedenen Berichten Judys aus ihrer Ehe offenbart sich im toten Winkel der Darstellung des Alltags Jims etwas ganz Entscheidendes. Dass nämlich nicht er es ist, der die Probleme hat. Dass nicht er das Problem ist.
Streamen kann man den Film direkt im Salzgeber Club.
Ebenfalls enthalten auf der DVD ist die dokumentarische Fortsetzung Strip Jack Naked.
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