Napoleon – Kritik

Apple TV+: In Ridley Scotts Biopic ist Napoleon auf dem Schlachtfeld ein windiger Hanswurst, im Bett jedoch weniger begabt. Sein Film ist gut gelaunte Majestätsbeleidigung – und giftiges Melodram über zwei Menschen, die keinen Ausdruck für ihre Zuneigung finden.

Als Samuel Cooper 1656 Oliver Cromwell porträtieren sollte, verlangte der damalige Lord Protector – grob gesagt, der Napoleon der Englischen Revolution –, dass er so gemalt werde, wie er wirklich sei, mit „warts and all“. Ridley Scotts Napoleon ist ganz unbedingt nicht an einer solch genauen Darstellung seiner Hauptfigur interessiert. Die Biografie wird auf wenige Ausschnitte heruntergebrochen. Höchstens grob wird einfangen, was Napoleon und seinen Aufstieg ausmachte. Sein Liebesleben wird auf eine sexbesessene Soap Opera verkürzt. Und die Drei-Kaiser-Schlacht von Austerlitz wird – wie auch die sonstigen militärischen Ausflüge – nicht detailliert rekonstruiert, sondern auf ein kurzes Gefecht reduziert, in dem einerseits Napoleons Genie auf dem Schlachtfeld sichtbar werden soll und Ridley Scott andererseits ganz in Gore und epischem Getümmel aufgehen kann.

Das ist nicht weiter überraschend, muss doch ein Film, der, ob er nun zweieinhalb (Kinofassung) oder vier Stunden (angekündigter Director’s Cut) dauert, schon aus Platzgründen verknappen. (Der hörenswerte und ausufernde Podcast The Age of Napoleon zeigt anschaulich, dass eine umfassende Beschäftigung mit dem Thema Zeit bedarf.) Und überhaupt sollte ein Biopic keine historische Abhandlung sein. Was nun aber überrascht, ist, das Ridley Scott nicht der Legende zu ihrem Recht verhilft. Dass er sich nicht am Nimbus der übermächtigsten historischen Gestalt des 18. und 19. Jahrhunderts, vielleicht sogar der gesamten Neuzeit abarbeitet, sondern schlichtweg nur „warts“ sehen möchte.

Die Haare konstant zersaust

Joaquin Phoenix stellt Napoleon als 24-Jährigen dar, und größtenteils ändert sich bis zum Exil auf St. Helena nur seine Frisur. Ohne Make-up, Computereingriffe und Prothesen sieht er von Beginn an wie ein verbrauchter Endvierziger aus. Dagegen wirkt selbst Jacques-Louis Davids Napoleon-Porträt wie ein nachbearbeiteter Glamour-Shot. Seine Kleidung ist bis zur Kaiserkrönung stets abgetragen bis ramponiert und danach auch eher Karikatur majestätischen Auftretens. Die Haare sind konstant zerzaust. Und überhaupt tritt er nicht als der Rüpel auf, den viele in dem Emporkömmling sehen, sondern gleich als windiger Hanswurst, der beispielsweise beim Staatsstreich von 1799 versucht, einen imposanten Auftritt hinzulegen, stattdessen aber von den Abgeordneten ohne Anmut aus dem Saal geprügelt wird. Nur ein Schmierentheaterauftritt gegenüber seinen Soldaten, die seine Macht mit Gewalt durchsetzen, rettet ihn.

Gewissermaßen ließe sich das Dargestellte auf einen elaborierten Witz zusammenfassen, dass Napoleon nämlich in seinen Schlachten wusste, wo er seine Kanonen hinzustellen hatte, im Privaten und im Bett jedoch nicht so begabt war. Immer wieder sind es in Napoleon nämlich die Kanonen, die ihm den militärischen Erfolg bringen. Wenn er in Toulon eine englische Flotte abschießt, wenn er 1795 aufständische Royalisten niedermähen lässt, wenn er Ägypten erobert, wenn er in Austerlitz die feindlichen Heere vernichtet. In Paris scheinen ihn stattdessen lediglich die geschichtlichen Fakten nach oben zu bringen, nicht irgendeine Form geschickten Vorgehens. Vor allem rückt aber die Liebe zu Joséphine de Beauharnais (Vanessa Kirby) Napoleon in ein schadenfrohes Licht. So hält diese sich Liebhaber, was ihn dem Gespött der Presse freigibt. Und sie schenkt ihm keinen Erben, obwohl er mehrmals beim Sex mit ihr zu sehen ist, wie er hinter ihr steht und losrammelt, während Joséphine nur gelangweilt ihren Körper hinhält.

Nur ABBA fehlen noch

Diese beherzte Majestätsbeleidigung ist in einen gut gelaunten Film eingelassen. Wenn Marie-Antoinette unmittelbar zu Beginn zur Guillotine geführt wird und von einer rasenden Menge mit Unrat beworfen wird, setzt Scott den Ton. Weder wird der Tod der Monarchin betrauert noch dem Terror mit übermäßiger Betroffenheit begegnet. Stattdessen läuft mit Edith Piafs Ça ira ein Chanson auf der Tonspur, der seinen Aufruf, dass Aristokraten nun an die Laterne kommen, in einen beschwingten, fröhlichen Marsch übersetzt. Später wird ein Kanonengeschoss aus einem Pferd gepult, um es Napoleons Mutter als Souvenir zukommen lassen zu können. Oder: Barras (Tahar Rahim) steckt neugierig seinen Finger in Robespierres Kopfschusswunde. So derb und beschwingt ist die Stimmung zuweilen, dass es gut und gerne damit hätte enden können, wie Napoleon erzählt, dass sich das britische und das preußische Heer hier nicht vereinigen dürfen, während er auf seiner Karte auf Waterloo deutet – woraufhin unmittelbar ABBA und der Abspann hätten starten können.

Aber Scott verleiht seinem Film zunehmend noch einen anderen Ausdruck. Langsam, aber sicher macht sich in der letzten Stunde des Films die Schwermut breit. Mehrmals nimmt Joaquin Phoenix das Wort „Melancholie“ in den Mund. Natürlich, weil Napoleon nach Russland muss und sein Ende einläutet. Aber auch, weil Scott erstaunlich subtil aus der einseitigen Verliebtheit seines Protagonisten zu Joséphine eine komplexe, widersprüchliche, tragische Liebesgeschichte erwachsen lässt, die mit dem militärischen und politischen Werdegang parallel gesetzt wird. Wenn Napoleon im brennenden Moskau steht, dann findet er sich eben auch der Leere seinen Ambitionen gegenüber, die seine Ehe, seine Liebe zerstört haben.

Geschmack und Geschmacklosigkeit bestens vereint

Mit dem metallischen Grauschleier, der über den Bildern von Kameramann Dariusz Wolski liegt, schaffte es Napoleon zwar nicht im gleichem Maß, Stilsicherheit und Sarkasmus zu vereinen, wie es noch bei Scotts House of Gucci (2021) der Fall war. Trotzdem ist es sagenhaft, wie hier abermals Geschmack und Geschmacklosigkeit zu einem verbunden werden. Der Musikeinsatz pendelt auch hier zwischen kommentierenden Kontrapunkten und (teilweise fast spöttisch) Überkandideltem. Inszenatorisch macht Scott aus seiner Erzählung also wieder ein giftiges Melodrama über zwei Menschen, die keinen Ausdruck für ihre Zuneigung finden, die in Spott, Herablassung und Manipulation feststecken, obwohl sie nur einander haben. Die unbeholfen nach einer Beziehungsform zwischen traditionellen und progressiveren Modellen suchen. Und das ist die große Klasse von Napoleon, dass unter Spott und epischem Untergang ein langsamer, unbemerkter, nichtsdestotrotz – oder vielleicht gerade deswegen – ein schmerzhafter Herzbruch zu finden ist.

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