Nana – Kritik
Nicht auf die Femme Fatale blicken, sondern aus ihr heraus: Bei der Émile-Zola-Verfilmung Nana sprang Dorothy Arzner spontan als Regisseurin ein. Dabei verschrieb sie sich ganz einer Figur, die für Samuel Goldwyn eigentlich nur Star-Vehikel sein sollte.

„It’s men who make women whatever they are. I don’t know what I’ll be but I won’t be weak and I won’t be poor.“ Gleich zu Beginn, als Nana (Anna Sten) auf ihren Knien einen schlammigen Boden wischt, tätigt sie diese Kampfansage, die den Ton des nach ihr benannten Film setzen wird. Nicht unterkriegen lassen will sie sich von einer Männerwelt, in der Frauen nirgendswohin kommen, wenn sie sich an die Regeln halten, die ihnen die Moral gewährt. Das Ende in einem namenlosen Grab, mehr wird Nana kampflos auch nicht geboten. In dieser Aussage steckt aber auch etwas anderes, das Nana – Film wie Figur – ausmachen wird: etwas Unbestimmtes, etwas Passives, das die eigene Identität in die Hände anderer legt und sich damit abfindet, dass niemand bekommen wird, was er möchte, nicht der formende Mann, noch die geformte Frau.
Schwarzromantische Kraft vs. Feierliche Ratlosigkeit

Nana ist die Verfilmung des vielleicht berüchtigtsten Skandalromans von Emile Zola – und das Gesamtwerk des Vordenkers des Naturalismus hat viele solche zu bieten, ist es doch von einer gewissen Dr.-Jekyll-Mr.-Hyde-Qualität bestimmt. Einerseits sah sich Zola einem quasi wissenschaftlichen Kodex verpflichtet, der durch genaue Beschreibungen minutiös Milieus einfangen sollte und seinem Erzählfluss zuweilen eine pedantische Enge bescherte. Andererseits klammerte er deshalb auch nichts aus. Prostitution, Geschlechtskrankheiten, bestialische Gewalt, Wahnsinn, grenzenloses Elend und Verzweiflung – all das, was in der Literatur des 19. Jahrhunderts oft nur angedeutet wurde, war bei ihm zentraler Teil des Werks. Und gerade an diesen Orten geistiger wie körperlicher Raserei, auf die seine Werke erstaunlich oft zusteuern, erlangen seine Erzählungen eine geradezu schwarzromantische Kraft. Die Enge der Beschreibung spiegelte die Enge der Gesellschaft wieder, in der sie entstand, und sie bedingte einen glühenden Strom der Gefühle, der irgendwann aus ihr ausbrechen musste. Gefühle, die in ihrem Gefängnis verzerrt und krankhaft geworden waren.

In der Verfilmung von 1934 hat Nana nun keine dieser beiden Qualitäten. Weder ist der Film enervierend penibel noch rauschhaft. Eher feierlich und gleichzeitig ratlos wird einer Femme Fatale gefolgt, die zwischen dem Männer-um-den-Finger-Wickeln und der Liebe schlingert. Einer Frau, die bei jedem melodramatischen Schicksalsschlag stets zuerst die pragmatische Entscheidung fällt und die in der Liebe jede sachliche Absicherung vergisst. Und Dorothy Arzner, die erst nach der Entlassung von George Fitzmaurice als Regisseurin zu diesem Projekt kam, war anscheinend ebenso ratlos. Als Nanas Impresario – ihr Entdecker, der sie zur berühmten Schauspielerin macht, ihr Josef von Sternberg – ihr eine Eifersuchtsszene macht, da werden ihre Antworten von ausgesucht schlechtem Schauspiel begleitet. Die Männer, denen Nana begegnet, sind so hilflos gegenüber einer reizvollen Frau, dass Nana weder Anstrengung noch vorgespielte Aufrichtigkeit benötigt, um sich diese gefügig zu machen. Fitzmaurice kurz zuvor in die Kinos gekommener Strangers May Kiss verhandelte das Geschlechterverhältnis in einer ähnlichen Geschichte. Nana scheint aber zuweilen neben der Handlung zu stehen und sich zu wundern, ungläubig ob der Kläglichkeit dieses männlichen Geschlechts. Statt diese Konstellation also melodramatisch aufzuarbeiten fällt das Geschehen so in ein Schmierentheater, bestenfalls eine Metakarikatur bietend, in der sich unsicher eine verschobene Perspektive offenbart. Nicht auf die Femme Fatale, sondern aus ihr heraus.
Versuch einer neuen Dietrich

Durchaus bietet Nana kecke Momente, wenn etwa die inzwischen berühmte Schauspielerin wie eine Sonnenkönigin vor einem Moralapostel thront und ihn mit einem Kuss zu einem fast willenlosen Liebhaber macht – seine moralische Hoheit zur scheinheiligen Rache für unbefriedigte Lust erklärend. Aber doch ist es eher so, dass sich hier schon die Keuschheit des kommenden Hollywood unter der Herrschaft des sich gerade durchsetzenden Hays Code abzeichnet, in der gebotenen Verkürzung einer Geschichte von Heuchelei, Krankheit und Verfall auf ein bisschen naiv-rebellische Promiskuität. Die heuchlerische Moral, die Nana in der Vorlage attackiert, sie greift hier zu und versteckt die unaussprechlichen Dinge wieder hinter Andeutungen und Auslassungen.

Aber eine genaue Adaption war wohl nie gewünscht. Nana sollte nur den bekannten Namen bieten. Vor allem war der Film Samuel Goldwyns Vehikel, der Anna Sten zum neuen Star machen wollte. Eine russische Schauspielerin mit markanten Wangenknochen sollte eine schlechte Schauspielerin mit einer unbändigen Ausstrahlung spielen, womit die Realität von der Fiktion eingeholt werden sollte. Gerade Nanas/Stens erster Auftritt erinnert weniger an Zola als an Marlene Dietrich in einem Sternberg-Film. Der Film sollte eine neue Dietrich oder eine neue Garbo erschaffen, und so wird diese Figur mal wie eine Göttin in einer Aureole von Blumen drapiert, mal zum zarten Aschenputtel in einer ungerechten Welt gemacht, mal als bittere Kämpferin aufgeboten und dann wieder als abgepauste Kopie anderer Stars präsentiert.
Reichhaltiges Spiegelkabinett

Nana zerfällt unter diesem ständigen Schlingern. Der Film an sich wäre kaum der Rede wert, würde dieses Zerfallen nicht ein reichhaltiges Spiegelkabinett eröffnen. Eine Geschichte, die auszog um Heuchelei anzuprangern, wird nach Standards heuchlerischer Moral angefertigt, die alles, was offengelegt werden sollte, fein säuberlich versteckt. Ein Film über eine mäßige Schauspielerin mit jenem je ne sais quoi sollte seinem Star eben diese Aura verschaffen, wird nur der Anfang des Treppenwitzes einer scheiternden Karriere. Ein Film über eine Femme Fatale wird von einer Regisseurin übernommen, die die Hilflosigkeit der Männer vor ihrem Verlangen nicht zum Feuer einer amour fou macht, sondern in schön fotografierte, aber kraftlose Dekonstruktionen zerfallen lässt. Niemand bekam so richtig, was man sich von Nana versprochen hatte.
Den Einführungstext zu unserer Dorothy-Arzner-Reihe sowie einen Überblick aller Texte gibt es hier
Zu den Filmen:
Craig's Wife (1936)
First Comes Courage (1943)
The Bride Wore Red (1937)
Christopher Strong (1933)
The Wild Party (1929)
Merrily We Go to Hell (1932)
Dance, Girl, Dance (1940)
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