Nam June Paik: Moon Is the Oldest TV – Kritik
Er hat Klaviere zertrümmert und Buddha vor einen Fernseher gesetzt. Nam June Paik war Medienkünstler und Provokateur. Die Dokumentation Moon Is The Oldest TV schildert sein Leben in bunten Bildern und ergibt sich in ideenloser Heldenverehrung.

1957: Ein junger Koreaner läuft ziellos durch München. Er sieht unglücklich aus. „Dunkle Sehnsucht, dunkle Sehnsucht“, murmelt er vor sich hin und wäre gerne ein großer Komponist: Einer wie der Zwölftonkünstler Arnold Schönberg, der als einer der wenigen im muffigen Nachkriegsdeutschland neue Akzente setzt. Aber der junge Mann ist nur Nam June Paik, geboren 1932 in eine koreanische Unternehmerfamilie und im Clinch mit seinem herrischen Vater. Ein echter Ödipus-Konflikt, wie er selbst sagt.
Paiks antiautoritärer Protest gegen die bürgerlichen Normen führt zunächst ins nicht weniger konservative Deutschland und schließlich nach New York. Erst dort gedeiht, was vorher noch dunkle Sehnsucht war: radikale, grenzüberschreitende, demokratische Kunst. Moon Is The Oldest TV ist der schillernde Titel der Dokumentation von Amanda Kim. Sie folgt dem biografischen und künstlerischen Weg Nam June Paiks, der bis zu seinem Tod 2006 aufsehenerregende Installationen schuf, vom zertrümmerten Klavier über den magnetisch verzerrten TV bis zum berühmten Buddha, der sich selbst im Fernseher betrachtet.
Zerstörte Klaviere, entblößte Körper

Er wolle besser kommunizieren, erfahren wir aus den Texten Nam June Paiks, schwungvoll eingelesen vom Schauspieler Steven Yeun (Burning, Mickey 17). Anders als die Propagandafilme während des Koreakriegs, aufgrund dessen Paiks Familie nach Japan fliehen musste, und die US-amerikanischen Werbespots, suchte Paik nach Kommunikationsformen, die nicht manipulativ waren, sondern das Publikum zum selbstbestimmten Handeln anregten. Zu Beginn seiner Karriere äußerte sich dieser Vorsatz noch in Form radikaler Konfrontation. In Deutschland und später den USA galt Paik als Enfant terrible. Im Film sehen wir ihn eine Hommage à John Cage (1959/60) performen, das heißt Klaviere zerstören. Kurz darauf steigt der Künstler mit einer Schere von der Bühne und zerschnippelt die Krawatte des anwesenden, mit ihm befreundeten John Cage. Es habe Paik provoziert, dass der sonst so respektlose Komponist so heuchlerisch im Smoking aufgetreten sei. Immerhin: Im Anschluss wäscht Paik seinem Idol liebevoll mit Shampoo die Haare.
In der pulsierenden New Yorker Avantgarde der 1960er fühlt sich der koreanische Performancekünstler gleich heimisch. Hier weichen seine Zerstörungsakte erotisch-hintersinnigen Installationen. TV Bra for Living Sculpture (1969) heißt eine Performance, bei der Paiks langjährige Kollaborationspartnerin Charlotte Moorman zwei kleine Fernsehgeräte über ihren Brüsten trägt. Bereits hier zeichnet sich ab, was für Paiks Werk grundlegend wird: die obsessive Auseinandersetzung mit den modernen Medien, vor allem dem Fernsehen. Und in diesem Fall: ein äußerst traditionsverhafteter männlicher Blick, der den weiblichen Körper als bloße lebende Skulptur begreift. Von Letzterem ist in der flott geschnittenen, von pulsierenden Elektrosounds getriebenen Dokumentation freilich nicht die Rede.
Ein filmischer Geniekult

Moon Is The Oldest TV ist eine durchgängige Lobeshymne auf Nam June Paik. Wie in vielen „Talking Heads“-Dokumentationen sehen wir zu Beginn verschiedene Expert*innen, die sich darin überbieten, die besprochene Person als die Allergrößte zu deklarieren. Und so geht es weiter. Zwar wird das materielle Elend des radikalen koreanischen Künstlers im konservativen Nachkriegsdeutschland und der äußerst weißen Kunstszene der USA nicht ausgespart. Jedoch dient es am Ende nur der kecken Stilisierung des armen, aber genialen Kreativen: Der wird vom Publikum zwar nicht verstanden, gestaltet aber mit jeder Äußerung Visionäres – notfalls für die Zukunft, die er selbstverständlich vorausgesehen hat. Mit der Kunst Nam June Paiks beschäftigt sich Regisseurin Amanda Kim in ihrem flimmernden Montagezirkus hingegen nur oberflächlich. Statt der intelligenten Multiperspektivik des TV Buddha (1974) nachzugehen, soll das ikonische Werk lediglich begründen, warum Paik in den 1970ern plötzlich nicht mehr skurril und genial, sondern berühmt und genial ist.
Dabei ist das laut gesungene Lob von Größen wie Peter Brötzmann oder Marina Abramović natürlich nicht ganz ungerechtfertigt. Nam June Paiks spielerischer Umgang mit den Massenmedien des 20. Jahrhunderts – darunter sogar eine der ersten weltweiten und dazu noch dadaistischen Satelliten-TV-Livesendungen Good Morning, Mr. Orwell (1984) – ist aus der Kunstgeschichte nicht wegzudenken. Die collagierten, in ihrer Videomaterialität zerfasernden Körper von Tänzer*innen in Global Groove (1973) prägen die Musikvideoästhetik bis heute. Noch dazu birgt die Arbeit des Videokünstlers Paik den ermächtigenden Ansatz, dass mittels privater Videokameras eigene Arbeiten jenseits der großen Medienmonopole geschaffen werden können. Was heute so selbstverständlich wie durch Tech-Konzerne erneut gefährdet ist, hatte damals eine kaum abzuschätzende Wirkkraft.

Für die Dokumentation als eigenständiges Filmgenre ist eine solche unterwürfige Haltung gegenüber dem Künstler aber fatal. Sie hilft dem oft unhinterfragten, öden Mythos des großen (männlichen) Genies, ignoriert seine chauvinistischen Implikationen und regt die Zuschauenden gerade nicht dazu an, eine eigene kreative Antwort auf Nam June Paiks Werk zu suchen. Demokratiebildend, wie sich Paik seine Kunst wünschte, ist das nicht. Trotz seines ungewöhnlichen Titels fügt sich Moon Is The Oldest TV in die unübersehbar lange Reihe professionell produzierter, ideenloser Porträts, die nicht wagen, der Kunst einen selbstbewussten filmischen Zugang gegenüberzustellen.
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