My Summer with Irene – Kritik

Berlinale 2024 – Generation: Zwei Jugendliche brechen nach Sizilien auf und suchen das unbeschwerte Leben. Carlo Sironis My Summer with Irène ist ein Sommerfilm, der von Beginn an unter einem Schatten steht.

Gesichter von Teenager*innen in einem Reisebus. Sie schauen aus dem Fenster, in die jugendliche Leere oder sind schon eingeschlafen. Schon die ersten Bilder von My Summer with Irène greifen auf das visuelle Reservoir des (europäischen) Sommerfilms zurück, suchen gleichzeitig aber einen eigenen, düsteren Zugang zu dieser Art Film. Das Bild der Jugendgruppe in einem Reisebus, das für Reisen an einen anderen Ort, für einen freien Sommer, steht, wird aufgerufen, während die Gesichter eine uneindeutige Sprache sprechen. Ein rätselhafter Moment, weil diese Vorspannsequenz das Gefühl vermittelt, die Menschen hier hätten das, was der Film erzählen möchte, schon erlebt, als wären die vielen Sommer, von denen das französische und italienische Kino so schön erzählen kann, schon ins Land gegangen. Nur die Figuren im Bus scheinen davon nichts mitbekommen zu haben. Eine Setzung, die den Film von Beginn an in ein ambivalentes Verhältnis zu den eigenen Bildern setzt.

Sehnsucht und Angst

Clara (Maria Camilla Brandenburg) und Irène (Noée Abita) lernen sich in einem flüchtigen Moment eines Krankenhaus-Feriencamps kennen. Ohne viele Worte scheinen sie einander zu verstehen und zu mögen. In einem spontanen Moment beschließt Irène, die immer ein Stück mutiger und gedankenloser als Clara wirkt, dass sie beide nicht nach Hause fahren werden, sondern auf einer kleinen sizilianischen Insel einen freien, unbeschwerten Sommer erleben werden.

Die Bilder des Films sind still, leergeräumt und ganz auf die Welt der beiden Protagonistinnen fokussiert, ohne mit ihnen eins zu werden. Auch auf der Soundebene taucht nur an wenigen Stellen laute Musik auf. Vielmehr hört der Film in die Insel und ihr Meer hinein und versucht, das sehnsüchtige und gleichzeitig angstvolle Verhältnis der beiden zu ihrer Umwelt erfahrbar zu machen. Den Sommer ihres Lebens zu erleben, bedeutet für die beiden jungen Frauen nicht so sehr, sich Hals über Kopf zu verlieben, sondern am Strand zu sitzen und einander vorzulesen oder aufeinander aufzupassen, wenn sich die andere einen Sonnenbrand geholt hat. Der Film beobachtet seine Figuren mit aller Vorsicht in stillen Einstellungen und beschwört damit das Gefühl eines Sommerabends, an dem man nach einem langen Tag schließlich allein mit sich und den eigenen Gefühlen ist, an dessen Ende man nicht weiß, wohin mit sich.

Kein freier Sommer

Noée Abita verkörpert diese vielschichtigen Gefühlsebenen ihrer Figur wie schon in Mikhaël Hers großartigem Passengers of the Night[LINK] (2022) mit einer Lebendigkeit, die nie aufdringlich oder gar laut wird, sondern sich immer ins Verhältnis zur ebenfalls tollen Maria Camilla Brandenburg setzt. Ohnehin ist die Präsenz der beiden Hauptdarstellerinnen ein prägendes Element des Films. Ihrem zurückgenommenen Spiel ist es zu verdanken, dass die Verbindung zwischen Clara und Irène vom ersten Blick an natürlich wirkt.

Im Verlaufe des Films tauchen weitere Versatzstücke und Bilder des Sommerkinos auf (lange Strandbesuche, eine Gruppe Gleichaltriger, in die man sich verlieben kann, Stadtspaziergänge in der Sonne), werden aber immer wieder damit konfrontiert, dass Clara und Irène aus nur vage zu erahnenden gesundheitlichen Gründen nie so etwas wie einen freien Sommer hatten. Diese Dunkelheit, das Gefühl, nie frei sein zu können, sich nicht einfach aufs Meer hinauswagen zu können, weil die Sonne dem eigenen Körper schaden könnte, ist in My Summer with Irène sowohl eine für diese beiden Figuren spezifische, körperliche Erfahrung als auch eine universale adoleszente Erfahrung. Diese ständige Angst, der eigene Körper könnte versagen oder, wie von Irène am Schluss ausgesprochen, man könne jederzeit sterben, lässt den Film die gesamte Zeit über nicht los.

In den Körper eingeschrieben

Dabei lassen es Carlo Sironi und seine Autorin Silvana Tamma auf kluge Weise bis zum Schluss offen, unter welcher Krankheit die beiden gelitten haben und ob sie es immer noch tun, weil der Film es gar nicht nötig hat, das zu explizieren. Ihre dunklen Erfahrungen sind vielmehr in ihre Körper, Handlungen und Gefühle eingeschrieben, was auch der Grund ist, warum Clara und Irène sich so intuitiv und ohne viele Worte verstehen. Sie haben etwas Gemeinsames gesehen, das sie nicht mehr loslassen wird. Dass es My Summer with Irène gelingt, diese unbestimmte Erfahrung immer präsent zu halten, sie aber gleichzeitig nicht alles bestimmen zu lassen, ist seine größte Qualität. Er gönnt seinen beiden Figuren einen Sommer, und eine Hoffnung auf etwas, das sie die eigenen Erfahrungen nicht vergessen, aber mit ihnen leben lässt.

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