Ein kleines Stück vom Kuchen – Kritik
Eine Rentnerin sucht nach Nähe, Liebe und Sex – im Iran. Ein kleines Stück vom Kuchen ist eine Romantic Comedy, bei der einem immer wieder das Lachen im Halse steckenbleibt.

Die 70-jährige Mahin (Lily Farhadpour) sitzt abends wieder mal allein vor dem Fernseher. Ihr Mann ist vor 30 Jahren gestorben, ihre Tochter vor 20 Jahren ins Ausland geflohen – und Mahins Freundinnen schaffen es aus gesundheitlichen Gründen nur noch einmal im Jahr, sie zu besuchen. Als es endlich wieder Zeit ist für ein Treffen der alten Damen, passieren zwei erstaunliche Dinge: Erstens zeigt der Film sie allesamt unverschleiert – dabei sind iranische RegisseurInnen normalerweise gezwungen, häusliche Szenen zu verfälschen und weibliche Figuren auch in der eigenen Wohnung Kopftuch tragen zu lassen, weil Schauspielerinnen nicht ohne Hijab auftreten dürfen. Zweitens setzt eine der Freundinnen Mahin einen Floh ins Ohr: Für die Liebe ist es nie zu spät – Mahin solle sich endlich mal einen Liebhaber suchen. Die Witwe, die nach dem Tod ihres Ehemanns nie wieder eine romantische Beziehung hatte, muss zwar zunächst ein bisschen auf diesem ungewöhnlichen Ratschlag herumkauen. Doch bald macht sie sich tatsächlich auf die Jagd.
Balzreigen mit Duschszene

Ein kleines Stück vom Kuchen (Keyke mahboobe man) ist mit Abstand das Lustigste, was das – üblicherweise eher bedrückende – iranische Festivalkino in den letzten Jahren hervorgebracht hat. Wenn die äußerst zielstrebige Mahin einen gleichaltrigen Mann abschleppt und die beiden sich langsam (und herrlich unbeholfen) näherkommen, sorgt das für viele Lacher im Kinosaal. Anfangs sitzen die zwei noch etwas steif nebeneinander, doch bald schon trinken sie sich mit (im Iran streng verbotenen) Alkohol Mut an und tanzen durch die Wohnung, ehe schließlich auch Viagra ins Spiel kommt. Den absoluten Höhepunkt dieses Balzreigens stellt eine urkomische Duschszene dar. Vor allem aber ist es ein ziemlicher Clou, Versatzstücke einer westlichen Teenie-RomCom auf zwei Rentner im Iran zu übertragen.

Dass einem das Lachen dennoch im Halse steckenbleibt, liegt daran, dass das Regie-Duo Maryam Moghaddam und Behtash Sanaeeha – bereits vor drei Jahren im Berlinale-Wettbewerb vertreten mit dem starken Todesstrafe-Drama Ballade von der weißen Kuh (Ghasideyeh gave sefid, 2021) – immer wieder spezifisch iranische Dramen des Alltags in den Komödienplot einflicht. So erzählt Mahin einem Taxifahrer wehmütig, wie sie sich früher schick machen durfte, mit hochhackigen Schuhen und tiefem Ausschnitt, ehe ihr Land zur Theokratie wurde. Später im Film macht die politisch gewollte Geschlechtertrennung es unmöglich, in einer Notsituation Hilfe zu holen. Und dann ist da noch die Szene, in der die Protagonistin eine junge Frau davor rettet, von der Sittenpolizei verhaftet zu werden – eine überdeutliche Anspielung auf die Ermordung Jina Mahsa Aminis, die im Jahr 2022 massive Proteste gegen das Regime auslöste.
Späte Wendung ins Tragische
Ein kleines Stück vom Kuchen ist am stärksten, solange er diese tragischen Elemente beiläufig behandelt und sich auf die Begegnung zweier Menschen konzentriert, die längst schon nicht mehr von der Liebe zu träumen wagten. Verspielte Romanzen mit Alkohol, Viagra und One-Night-Stands sind im post-revolutionären iranischen Kino schließlich absolute Mangelware. Mit einer späten, nicht besonders überzeugenden Wendung ins Tragische hingegen betritt der Film bekanntes Terrain. Altbekannt ist leider auch die Entscheidung des Teheraner Regimes, den beiden Co-RegisseurInnen wegen Verstößen gegen Zensurvorschriften die Reise zur Berlinale zu verweigern. Doch je mehr der Staat Kopftuch, Geschlechtertrennung und Ausreiseverbote durchsetzt, desto stärker wird der Brain Drain im Land – und der Ruf nach Woman, Life, Freedom.
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