Museum Hours – Kritik
Kleine Schätze, überall: Jem Cohen hat einen wunderbaren Film gemalt.
Man wird sehr ruhig bei diesem Film, obwohl Museum Hours mit dem Label des Meditativen nicht recht beizukommen ist. Denn eigentlich ist hier immer was los: Präzise Reflexionen im Voice-over, die Konzentration erfordern; Ausschnitte aus berühmten Gemälden, die nicht lange genug auf der Leinwand bleiben, um sie studieren zu können; zwei Menschen, die einander kennenlernen; dazwischen Ansichten Wiens, in den unterschiedlichsten Einstellungsgrößen. Man wird bald gewahr, dass man diesem Werk nur auf den Grund gehen kann, wenn man sich seinem Rhythmus hingibt. Und dieser Rhythmus ist ein unmöglicher. Jem Cohens Film ist stetig nach vorn treibender Fluss von Assoziationen und zugleich Einladung zum ständigen Verharren. So wird man ruhig bei diesem Film, nicht aus Entspannung, eher andächtig, wie in einem Museum.
Neugier fürs Fragment

Das Kunsthistorische Museum in Wien, das ist die Mitte dieses Films. Dort arbeitet Johann (Bobby Sommer), der früher, während seiner lauteren Zeiten, mal Rockbands begleitet hat, aber das ist lange her. Mittlerweile lebt er seine ruhigeren Zeiten, passt auf Kunst auf, beobachtet die Besucher des Museums, beantwortet Fragen nach einem Werk oder nach dem Standort der Toiletten. Das alles wissen wir nicht, weil es der Film, sondern weil Johann es uns erzählt. Durch sehr bedachte, ihre literarische Beschaffenheit niemals verleugnende Monologe erfahren wir von Johanns Vergangenheit und von seinen Gedanken – über die Arbeit im Museum, über die Jugend von heute, über den Bruegel-Raum, der ihm sein liebster ist, weil es so viel zu entdecken gibt auf den großen Gemälden des Renaissance-Malers. So viel zu entdecken wie in Museum Hours. Anschließend an seine dokumentarischen Arbeiten lässt uns Cohen an ungeheuerlich stimmigen Bildfolgen teilhaben: Fragmente aus der Kunst selbst, aus dem Museum, aus der Stadt. Schließlich Fragmente einer Begegnung. Die US-Amerikanerin Anne (Mary Margaret O’Hara) hat es nach Wien verschlagen, weil hier eine entfernte Cousine nach einem Unfall im Koma liegt. Im Museum fragt sie Johann einmal nach dem Weg zum Krankenhaus, er bietet ihr seine Hilfe an, der fremden Sprache wegen. Während sie sich erstmals unterhalten, sehen wir aus dem Fenster des Museums zwei Putzfrauen über den Hof schlurfen.

Wenn das Museum die Mitte dieses Films ist, dann ist Anne sein äußerster Rand: die Fremde, die den mit seiner Arbeit verschmelzenden Johann aus der Routine reißt, weil sie selbst aus ihrer fernen Routine gerissen wurde. Wie in den auf der Straße aufgesammelten Einstellungen, den Ausschnitten aus Gemälden, auch in den Dialogen nichts anderes als Neugier für Singuläres: Man begibt sich auf Nennersuche und landet bald bei AC/DC. Und wir sind ganz bei Johann und Anne, nicht weil Cohen die Grenzen zwischen Doku und Fiktion verwischen, die Distanz zwischen Kunst und „echtem“ Leben abschaffen würde, sondern weil er selbst Leben erschafft. Mittendrin statt nur dabei: Ihre Gespräche sind nicht authentische Dokumente, sondern Geburt einer wunderschönen Fiktion. Nur dabei statt mittendrin: Wir spüren ihre Blicke, brauchen nicht ihre Verdopplung auf einer Achse.
Malerei und Kino

Der bildenden Kunst gegenüber verhält sich Cohen zugleich angemessen ehrfürchtig und angenehm respektlos. Fragmente der großen Gemälde werden in einen neuen Kontext versetzt, in Bezug gebracht zu anderen Fragmenten, die mal der Malerei, mal der Außenwelt entstammen. Ein Gesicht Bruegels wird zum Gesicht der im Koma liegenden Cousine. Der Schnitt stellt die Frage nach Zeitlichkeit: im Museum erhabene Zeitlosigkeit, im Krankenhaus radikale Vergänglichkeit. Aber kann ein Gemälde wirklich zeitlos sein, fragt schließlich eine Kunstdozentin, die während der längsten Sequenz von Museum Hours eine Gruppe interessierter Besucher durch den Bruegel-Raum führt. Dass ihre sehr genauen Beobachtungen zugleich den Film selbst zu kommentieren scheinen, mag man Cohen als unnötige Deutlichkeit vorhalten. Doch eigentlich verhält es sich andersherum. Die Bilder kommentieren die Beobachtungen, die Versatzstücke des Vortrags entfliehen der Behauptung und lassen das Filmische denken. Das Dokumentarische bei Bruegel, referiert die Expertin, geht nicht in der bloßen Behauptung von der Faktizität des Dargestellten auf, sondern bedeutet zunächst ein Absehen vom Urteil. Einer der Zuhörer zückt in diesem Moment ein Smartphone, und schon urteilen wir. Doch wie der kleine Junge hinter der Jesus-Figur auf dem Bruegel-Werk, so häufig übersehen, weil so nah am vermeintlichen Thema dieses Werks, hat auch dieser Zuhörer keine Funktion, sondern ist singuläres, wichtiges Element eines Ganzen. Anregungen dieser Art, unzählige.

Das ist kein blödes Metaspiel, auch keine elitäre Aufforderung, mehr Kunst ins Kino zu bringen, oder gar der Versuch, den eigenen Film in die Nähe großer Kunst zu rücken. Vielmehr offenbart sich in diesem Bezug auf die Malerei ein bescheidener Hinweis auf die dem Kino eigenen Möglichkeiten der Weltaneignung. Gerade die Erfahrung von Museum Hours vor dem Hintergrund Bruegel’scher Gemälde legt nahe, die Analogie von Malerei und Kino über die Gemeinsamkeit der Rahmung hinauszutreiben. Was macht das Bild mit seinen Elementen im Raum, was das Kino mit diesen Elementen in der Zeit? Singuläres, nebeneinander, nacheinander. Den Blick schweifen lassen, wichtiger Anschauungsmodus im Museum, das ist im Kino in der Regel doch nur in der begrenzten Zeit zwischen zwei Schnitten möglich. Dann wird unser Blick genötigt, weiter zu schweifen. Ist das Kino deshalb eher Manipulation, das Museum eher Freiheit? Oder ist das Schweifen nicht vielmehr ins Werk selbst eingegangen, ist dieser schweifende Blick die eigentümliche Kunst des Kinos? Ein Blick, der sich aus der Zeitlichkeit des Raums eine Szenerie erschafft wie der Maler eine aus der Räumlichkeit der Zeit.
Treiben und Verharren
Der schweifende Blick Jem Cohens – über den Tod einer Cousine, über die Arbeit eines Museumswächters, über Putzfrauen auf dem Hof – lässt uns ruhig werden. Er lässt uns verharren und treibt uns weiter, bewahrt uns gleichermaßen vor dem schnellen Urteil wie vor der starren Ehrfurcht. In diesem Sinne ist Museum Hours tatsächlich filmisches Gemälde, und das nicht wegen seiner Rahmungen. Er erfordert ein Hinsehen, ein Hinhören und Hinfühlen, die Hingabe an Nebensächliches, ein Schweifen nicht nur über die Leinwand, sondern durch die Bilder, Dialoge und Monologe, die Ausschnitte aus dem Leben eines Museums, einer Stadt.
So wird man ruhig bei diesem Film. Nicht erstarrt im Angesicht eines Meisterwerks, sondern in glücklicher Stille über eine Welt, in der man, einmal angekommen, sich nie fragt, was wohl als Nächstes passiert, sondern jedes Wort, jedes Bild als kleinen Schatz erfährt. Wenn Johann sich fragt, was Spätkapitalismus heißt, wenn doch vielleicht alles erst der Anfang ist. Wenn im Moment der Trauer nur ein halb Fremder noch dabei ist, dessen Umarmung schmerzhaft fraglich ist. Wenn man auf einem längst bekannten Gemälde auf einmal ein Ei entdeckt, das vorher nicht da war. Bilder, Stimmen, Gedanken, Gespräche, verharren, um weiter getrieben zu werden, um wieder zu verharren.
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