Ein Festtag – Kritik

An nur einem Tag fädelt Eva Husson die Lebensgeschichte einer Hausangestellten auf. Ein Festtag ist ein so sinnlich-saftiger wie aufmüpfiger Film, der für seine Protagonistin sogar ein bisschen Dekadenz erhascht.

Jane (Odessa Young) kocht für ihre Arbeitgeber, die wohlhabende Familie Niven, bringt ihnen das Essen zu Tisch, räumt ab, hilft Mrs. Niven (Olivia Colman) aus der Kleidung, begleitet Mr. Niven (Colin Firth) bei seinen Erledigungen. Ihre wahre Gabe aber ist die Beobachtung, so deutet zumindest Janes späterer Lebensgefährte Donald (Ṣọpẹ Dìrísù) Janes Arbeit im Hause Niven rückblickend. Ein Festtag (Mothering Sunday) zeigt die Nähe, die das Hausangestelltendasein herstellt. Jane, die als Waisenkind aufgewachsen ist, findet sich wieder im Herzen eines Hauses, zu dem sie nur durch ihre sehr spezifische Rolle einen Zugang hat. Aber weder fügt sie sich ehrfürchtig den Arbeitgebern noch prangert sie die Ungerechtigkeit der gesellschaftlichen Verhältnisse an. Vielmehr prägt sie eine Neugier und Lebenslust, die dem Film sein sinnlich-saftiges, aufmüpfiges Wesen verleiht.

Feste

Im Zentrum des Films steht der titelgebende Festtag, ein Muttertag irgendwann nach dem ersten Weltkrieg. Die Hausangestellten haben frei, um ihre Mütter zu besuchen; Familie Niven triff sich mit Familie Hobday und Familie Sheringham, um die Verlobung von deren Kindern Paul Sheringham (Josh O'Connor) und Emma Hobday (Emma D'Arcy) zu feiern. Der so gesittet daherkommende Familienfeiertag erfährt aber schon bald Abbruch: Jane hat keine Mutter, die sie besuchen könnte, und radelt stattdessen zu Paul, mit dem sie ein Verhältnis hat; Emma, so werden wir erfahren, war eigentlich einem anderen der Sheringham-Söhne versprochen, aber bis auf Paul wurden alle vom Ersten Weltkrieg dahingerafft. Hinter der aufgesetzten Unternehmungslust von Herrn Niven, der lethargischen Steifheit von Frau Niven, dem falschen Enthusiasmus von Mrs. Hobday (Caroline Harker) verbirgt sich in Wahrheit eine tiefe Trauer.

Umso stärker dieser Trauer enthoben wirken die gemeinsamen Stunden, die Jane und Paul dem allgemeinen Trübsal abringen, geradezu utopisch ist die Gleichberechtigung, die dort herrscht: Jane und Paul begegnen sich auf Augenhöhe, teilen eine Liebe zur Literatur. Beim Sex verweilt die Kamera auf ihrem lustvollen Gesicht, tastet Pauls Körper gierig ab. Er besorgt ihr Verhütungsmittel und bewahrt sie so vor dem gesellschaftlich geächteten Schicksal, das wohl Janes leibliche Mutter ereilte.

Auch hier keinerlei Achtung vor Pauls höherem Stand oder ein Gefühl von Ungerechtigkeit bei Jane, stattdessen Lust auf das, was Pauls Leben ausmacht: sich Büchern widmen zu können, ein von Bediensteten zubereitetes Mahl auf dem Esstisch vorzufinden. In einer grandiosen Szene macht sich Jane all das zu eigen, mit stolzer Selbstverständlichkeit: Nackt spaziert sie durch die üppig geschnittenen und ausgestatteten Räume des Anwesens der Sheringhams, stöbert in den endlosen Bücherregalen, beißt gierig in eine Pastete. Ihre Nacktheit wird dem Zuschauer aber nicht zum Gaffen dargeboten, sie ist Ausdruck höchster Freiheit. Dies ist ihr Festtag.

Das dritte Mal

Die Szene mutet dekadent an, aber es geht um eine befristete, so selten erhaschte Dekadenz. In ihr scheint der Keim von Janes gesellschaftlichem Aufstieg zu liegen, im scheulosen Nehmen dessen, worauf sie Lust hat. Gewissermaßen ist Jane in dieser Szene schon Schriftstellerin: weil sie beobachtet, ertastet, erfühlt, weil sie sich den Zwängen ihrer Lebenswirklichkeit entzieht und sich in eine andere befördert; ob die Szene wirklich stattgefunden hat oder von Jane nur nachgedichtet wird, ist diesbezüglich unerheblich. Ein Festtag ist eine an einem Tag aufgedröselte Lebensgeschichte, und diese Geschichte ist die Geschichte eines Aufstiegs: von der Hausangestellten zur Buchhandlungsmitarbeiterin zur Schriftstellerin.

Drei Mal sei sie zur Schriftstellerin geworden, sagt Jane: als sie geboren wurde, als ihr Vorgesetzter in der Buchhandlung ihr seine alte Schreibmaschine überließ und … Das dritte Mal verrät sie uns nicht, aber vielleicht war es dieser Festtag, an dem sie mit großer Ernsthaftigkeit für Paul die Geschichte zu dichten beginnt, wie seine Verlobte Emma zu ihm fährt und Janes Fahrrad im Hof entdeckt; oder als Mr. Niven ihr eröffnet, dass Paul in einem Autounfall tödlich verunglückt ist und ihre gemeinsame Geschichte ein jähes Ende nimmt.

Der deutsche Filmtitel, Ein Festtag, ist um eine Bedeutungsebene ärmer als der Originaltitel, zu Deutsch etwa Muttertag, denn der freudvollen Erwartung an das Familienfest steht in Ein Festtag der Verlust von Familienmitgliedern gegenüber. Gesegnet sei sie, das Waisenkind, sagt Mrs. Niven zu Jane: Sie habe nichts zu verlieren. Am Muttertag wird Mrs. Sheringham ihres letzten Sohnes beraubt; Jane, die angeblich nichts zu verlieren hat, ihres Liebhabers. Auch in dieser Verlusterfahrung legt Ein Festtag Janes künftiges Autorendasein an, wiederholt sie in einem späteren Lebensabschnitt. Vielleicht müsse sie alle Männer ihres Lebens verlieren, mutmaßt Donald, um ein großes Buch hervorzubringen.

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