Mond – Kritik
Eine österreichische MMA-Kämpferin bringt in Kurdwin Ayubs Mond drei jungen jordanischen Frauen das Kämpfen bei. In der Brutalität des Kampfsports prallt dabei patriarchale Unterdrückung gegen das Versprechen der Emanzipation.

Kurdwin Ayubs Mond beginnt mit dem blutverschmierten Gesicht der Protagonistin Sarah (Florentina Holzinger), die fest im Würgegriff ihrer Gegnerin gehalten wird. Im Off sprechen Kommentatoren vom Ende ihrer Karriere als MMA-Kämpferin. Mixed Martial Arts (MMA) ist ein Vollkontakt-Kampfsport, bei dem, wie der Name schon sagt, verschiedene Kampfstile miteinander vermischt werden, um die/den GegnerIn durch einen Knockout zu besiegen. Spätestens seit den 90er Jahren erfreut sich der brutale Sport hoher Popularität – gerade auch in der arabischen Welt, wo viele Events ausgetragen werden. Es ist deshalb für Sarah nicht erstaunlich, als sie ein Jobangebot aus Jordanien erhält: Sie soll dort als private Trainerin drei Mädchen das Kämpfen im MMA-Stil beibringen.
Schnell wird klar, dass sich Sarah mit ihrer neuen Arbeit nun von dem wortwörtlichen Käfig des MMA-Rings in einen metaphorischen begeben hat. Obwohl sich das Anwesen ihrer Arbeitgeber mitten in Amman befindet, wird die Stadt selbst überhaupt nicht gezeigt, stattdessen wechseln wir zwischen unpersönlichen Innenräumen hin und her. Auf das kalte Weiß des Hotelzimmers folgt das sterile Sofameer des Hauses, in dem die drei Schwestern leben, und schließlich die Anonymität der Hotelbar. Verbunden sind diese (Nicht-)Orte durch massive schwarze SUVs, die einen auch ab und zu in verlassene Shoppingmalls transportieren. Die visuelle Gestaltung unterstreicht durch die klaustrophobische Atmosphäre der unpersönlichen Schauplätze die gesellschaftliche Enge, in der sich die Protagonistinnen bewegen.
Feuer wird mit Feuer bekämpft

Denn Sarah merkt bald, dass die Schwestern mehr Gefangene als Bewohnerinnen des Hauses sind. Es gibt keinen Internetzugang, die wenigen Fenster sind meistens mit Rollos verdeckt und die Mädchen sind in ständiger Begleitung. Während den Besuchen in der Mall, die natürlich immer mit einem männlichen Aufpasser stattfinden, fragt eine der Schwestern Sarah heimlich nach ihrem Handy. Als eine andere Schwester beim Training mit blauen Flecken im Gesicht erscheint – Verletzungen, die Sarah nur zu gut vom Kampfsport kennt – wird eine Botoxbehandlung als Grund genannt. Das Training selbst verläuft auch nur schleppend, die erste Einheit wird gleich nach wenigen Minuten aufgrund von fehlender Motivation abgebrochen.
Mond vollzieht eine komplexe Verbindung des Kampfsports mit patriarchalen Gesellschaftsstrukturen, die auf keine simple Parallelisierung, sondern vielmehr auf eine wechselseitige Überlagerung und Durchdringung hinweist. Aus feministischer Perspektive betrachtet besitzt der Kampfsport, vor allem wenn er auf Selbstverteidigung ausgerichtet ist, durchaus eine emanzipative Dimension. In Bolivien z.B. hat sich eine Wrestling-Form etabliert, in der Frauen in traditionellen Gewändern kämpfen, um ein Zeichen gegen häusliche Gewalt zu setzen. Die Selbstermächtigung der Frau wird (zumindest symbolisch) vollzogen, indem sie sich einzelne Elemente des Patriarchats aneignet und gegen das Patriarchat anwendet. Diese dialektische Bewegung vollzieht auch Mond, indem der Film darauf hinweist, dass die Praktiken des Kampfsports – Kontrolle, Gewalt und Unterwerfung – genau jene Mechanismen sind, unter denen die drei Schwestern leiden. Damit stößt der Selbstermächtigungsgedanke des Kampfsports unweigerlich an eine Grenze, weil der Kampfsport immer auch die patriarchalen Strukturen re-affirmiert gegen die er eingesetzt wird.
Selbstermächtigung im Genrekleid des Thrillers

Diesen Widerspruch macht der Film sichtbar, indem er sich das Genrekleid des Thrillers überstülpt. Als Sarah sich in der Hotelbar über ihren Arbeitergeber erkundigt und Gerüchte über dessen illegale Machenschaften erfährt, kann sie ihre Situation nur mit der eines Netflix-Thrillers vergleichen. Der Film bedient sich auch selbst an den Versatzstücken dieses Genres: Ein mysteriöser Arbeitgeber, der bei ihrer Ankunft von Sarah verlangt, dass sie ein non-disclosure agreement unterschreibt; ein labyrinthartiges Haus, dessen oberer Stock nicht betreten werden darf; Figuren, die mehr zu wissen scheinen, als sie preisgeben wollen oder können; und dann schließlich noch eine vierte Schwester, die gefangen gehalten wird. Außerdem werden die Dialoge auf Arabisch für das Publikum untertitelt, während Sarah kein Wort davon versteht, womit sich ein Informationsgefälle etabliert, das zu weiterer Anspannung führt.
Trotz dieser Genreelemente ist Mond eben doch kein Netflix-Thriller, bei dem sich Sarah zum Schluss in einem ungeschnittenen One-Take durch das Haus prügelt und die Schwestern befreit – sollte sich das Publikum dabei ertappen, sich solch eine Szene zu wünschen, ist es dem Film bereits in die Falle gegangen. Selbst der tatsächliche Fluchtversuch, den Sarah und drei Schwestern unternehmen, endet nicht mit einer Schießerei oder einer Verfolgungsjagd, sondern wird gestoppt, bevor er richtig losging. Die Flucht scheitert so zwangsläufig wie die Selbstermächtigung durch den Kampfsport – denn wie diese stellt sie nur eine individuelle Lösung auf ein strukturelles Problem dar. Ayubs Film ist damit nicht nur eine Absage an vereinfachende Lösungsansätze, sondern auch eine subtile Aufforderung, über alternative Wege der Emanzipation nachzudenken, die über individuelle Ermächtigung hinausgehen um die zugrundeliegenden gesellschaftlichen Strukturen selbst in Frage zu stellen.
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