Miroirs No. 3 – Kritik

Ein Schicksalsschlag lässt in Christian Petzolds Miroirs No. 3 eine Gemeinschaft voller glücklicher Zufälle entstehen, die vielleicht gar keine sind. Das Drama um Verlust und neue Vertrautheit entspinnt sich nicht in emotionalen Ausbrüchen, sondern in kleinen Verschiebungen.

Die Gardinen sind zugezogen, das Licht und auch die Geräusche von draußen gedämpft. Weich ist das Kissen, an das Laura (Paula Beer) sich kuschelt, auf dem Nachttisch stehen Tee und Kaffee für sie bereit, in beschrifteten Behältnissen. Manchmal braucht man einen solchen Kokon um sich. Ein paar Filmminuten vorher pfeift Laura noch der Wind um die ungeschützten Ohren, im Cabrio, in dem sie mit ihrem Freund unterwegs ist. Ein rasanter Roadtrip zweier Berliner durch Nordbrandenburg, sie brettern über bessere Feldwege, weder die beiden noch das Gefährt wollen so recht passen zu ihrer Umgebung. Die Stimmung im Wagen ist schlecht, und irgendwann knallt es.

Der Cabrio liegt hochkant auf dem Acker, der Freund ist tot, Laura hingegen landet weich. Betty (Barbara Auer) heißt die Frau, die die wie durch ein Wunder nur leicht Verletzte bei sich aufnimmt. Wenn Laura sich nach ihrer ersten Nacht bei Betty aus ihrem Kokon schält und die Gardinen des Zimmers aufzieht, in dem sie nächtigen durfte, sieht sie auf eine friedliche Welt hinab; auf einen Garten und auf Betty, die den Gartenzaun streicht. Als Laura sich zu ihr gesellt, erzählt Betty ihr eine Episode aus „Tom Sawyers Abenteuer“ von Mark Twain: wie Tom es schafft, andere Kinder den Zaun streichen zu lassen, den er selber streichen soll.

Ein Reigen glücklicher Zufälle

Die Pointe dieser nacherzählten Geschichte besteht in Petzolds Film, glaube ich, darin, dass es Tom Sawyer gelingt, andere Menschen in sein eigenes Leben zu involvieren und dass davon am Ende alle profitieren, nicht nur er selbst, sondern auch die Jungs, die ihm seine Arbeit abnehmen. Weil um den Zaun herum, wo vorher nur eine Ansammlung von Menschen war, eine Gemeinschaft entsteht. Miroirs No. 3 ist ein Film über zwei Frauen, die einander, fast ohne äußeren Anlass, in ihr Leben involvieren. Von welcher der beiden dabei die Initiative ausgeht, das bleibt bei Petzold, im Unterschied zu Twain, offen. Die entstehende Gemeinschaft wiederum findet ihre Form erst, als Betty wenig später „ihre Männer“ zum Abendessen ins Haus holt. Es gibt Königsberger Klopse, ein Lieblingsgericht der Männer, das Betty nicht kochen kann – aber dafür Laura. Ein glücklicher Zufall. Vielleicht ein zu glücklicher und vielleicht auch gar kein Zufall.

Bettys Männer, das sind ihr Gatte Richard (Matthias Brandt) und beider Sohn Max (Enno Trebs). Die Männer setzen sich beim Klopse-Mahl an den gedeckten Tisch, essen schweigend, und erst, als die Teller leer sind und die Stille allzu drückend wird, ringt Richard sich zu einem gestammelten Lob auf die Kochkünste des Überraschungsgasts seiner Frau durch. Mehr Aufmerksamkeit als auf Laura verwenden die handwerklich begabten Männer auf den tropfenden Wasserhahn in Bettys Küche und auf die defekte Spülmaschine. Das verstimmte Klavier im Wohnzimmer immerhin liegt außerhalb ihres Zuständigkeitsbereichs, dafür muss dann ein externer Klavierstimmer ran. Als auch im Inneren des Instruments wieder alles so ist, wie es sein soll – eine Szene wird von den Tönen der eine nach der anderen angeschlagenen, neu adjustierten Tasten begleitet –, setzt sich Laura davor und spielt, hinreißend schön, Chopin. Laura studiert Klavier an der Berliner UdK. Ein weiterer glücklicher Zufall.

Das vierte Rad am Wagen

Die Familie, in die sie hineingeraten ist, oder, wer weiß, vom Schicksal hineingeweht wurde, scheint auf Laura gewartet zu haben. Laura ist keineswegs überzählig, nicht das fünfte, sondern eben das vierte Rad am Wagen. Dass Laura etwas vervollständigt, zu dem sie gleichzeitig nicht gehört: das ist eine der Paradoxien, um die herum der Film strukturiert ist. Miroirs No. 3 handelt von Verlust; aber Laura ist keineswegs die Leidtragende dieses Verlusts, sondern diejenige, die einen anderen Verlust, einen Verlust Bettys und ihrer Männer, wettmacht.

Freilich nur vorläufig. Je weiter die Heilung fortschreitet, desto mehr Gründe gibt es, ihr zu misstrauen. Eine Lücke schmerzt dadurch, dass sie perfekt ausgefüllt wird, womöglich nicht weniger, sondern mehr. Vor allem der linkische, ein wenig riesenbabyartige Max fühlt sich in der Nähe Lauras, dieser Frau, die immer die richtigen Worte und immer den richtigen Abstand zu den Menschen um sie herum zu finden scheint, sichtlich unwohl. Einmal fordert er sie dazu auf, sich an ihm festzuhalten, während sie auf ihr Fahrrad steigt, das er gerade repariert hat. Wenig später, wenn die beiden nebeneinander durch die Landschaft radeln, ist es nicht sie, sondern er, der aus dem Takt gerät und in die Wiese stürzt.

Selbstbewusstes Kleinformat

Miroirs No. 3 ist ein selbstbewusst kleinformatiger Film (hat das Kleinformatige damit zu tun, dass der Regisseur diesmal keine Liebesgeschichte erzählt?), geformt aus natürlichem Licht, sanften, leicht gewellten Landschaften, ebenfalls nur leicht gewellten Emotionen und ein paar wenigen, handverlesenen Musikstücken, die, wie meist bei Petzold, keinen untermalenden Charakter haben, sondern sich mitsamt ihren Klangfarben in den textuellen Vordergrund schieben. Über weite Strecken pendelt der Film – diversen Mikrospannungen zum Trotz – ziemlich seelenruhig zwischen zwei Schauplätzen hin und her, zwischen Bettys Haus und einer Autowerkstatt, in der Richard und Max womöglich nicht immer ganz koschere Geschäfte abwickeln. Weibliche Häuslichkeit und männlicher Arbeitsplatz: ein Gegensatz, der in Petzolds Film kein natürlicher ist, vielmehr eine Rückfallposition, Symptom eines Stillstands, den zu überwinden es keiner großen Gesten bedarf, sondern einer Serie kleiner Verschiebungen und Übertragungen, die ihren Anfang mit Lauras Verpuppung in Bettys Kokon nehmen.

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