Minari – Wo wir Wurzeln schlagen – Kritik
Lee Isaac Chungs autobiografisch angehauchter Film Minari erzählt von koreanischen Migranten in den USA der 1980er Jahre. Dabei entzieht er sich nonchalant allen Culture-Clash-Klischees: Die Familie Yi erwarten ganz andere Probleme.

Vater Jacob (Steven Yeun) ist begeistert von der großen Wiese auf dem neuen Grundstück: „Die beste Erde in ganz Amerika!“ Doch beim Anblick des kuriosen langen Häuschens auf Rädern, das darauf steht, versteht man den Missmut seiner Frau Monica (Han Ye-ri). Während die Kinder David (Alan S. Kim) und Anne (Noel Cho) neugierig die Wiese erkunden, müssen die Eltern in Minari ausloten, was sie für eine Zukunft haben möchten und was sie bereit sind, dafür zu geben. Beide sortieren in einer Geflügelfabrik Küken nach Geschlecht. Seinem Sohn David erklärt Jacob anhand der aussortierten männlichen Küken: Nützlich muss man sein, sonst bringt man es nicht weit.
Pasta, Wrestling, Mountain Dew

Wo Jacob große Pläne und Erfolge sieht, wünscht sich Monica wieder nach Kalifornien oder sogar Südkorea zurück. Näher an die Stadt will sie – auch um ihres Sohnes willen, der wegen einer Herzschwäche auf das Krankenhaus dort angewiesen ist. Als Kompromiss zieht ihre Mutter Soon-ja (Yoon Yeo-jeong) bei der Familie ein und bringt ein Stück Korea mit in Form des titelgebenden Minari. Die robuste Gemüsepflanze siedelt sie mit David zusammen an einem nahe gelegenen Fluss an, wo sie sich parallel zu Familie Yi entfaltet. Die schrullige Großmutter entlastet die Familie und nimmt sich gleichzeitig, was der American way of life ihr bietet: Pasta, Wrestling, Mountain Dew („das Gebirgswasser“).

Zumindest Jacob träumt von Anfang an amerikanisch, die Kinder sprechen schon so. Aus dem Garten soll ein Acker werden, aus dem Rollhäuschen eine Farm, aus Geld mehr Geld. Mindestens 30.000 südkoreanische Einwanderer sollen pro Jahr in die Staaten kommen, die wollen alle mit gutem heimatlichem Gemüse versorgt sein. Mit solchem Geschäftssinn macht er sich an die Arbeit, während seine Frau das Haus aller Wehmut zum Trotz wohnlich macht. Die Landwirtschaft in Minari erscheint bei aller Romantik, die im Traum von der Farm liegt, immer als bodenständiges, durchdachtes Handwerk.
Erfrischende Konfliktarmut

Die erste Hälfte des Films ist von einer erfrischenden Konfliktarmut geprägt, die an den Rand des Seichten reicht. Das scheint er selbst zu kommentieren, wenn David mit einem Stock geschlagen werden soll, diesen versehentlich zerbricht und als Ersatz einen Grashalm vorbringt, was die Großmutter stolz mit „Schlauer Junge!“ kommentiert. Minari vermeidet viele klassische Konflikte, was ihn nicht nur auflockert, sondern auch den Blick von uns Zuschauenden auf Einwanderung und die Südstaaten neu justiert. Wenn man unnötigerweise im Bankangestellten den Kredithai wittert, in der Kirchengemeinde eine rassistische Eskalation erwartet und hinter jeder Ecke mit ausbuchstabiertem culture clash rechnet, ist man dankbar für die Nonchalance, mit der sich Minari diesen Konventionen entzieht, ohne deswegen eine heile Welt zu zeichnen. Probleme erwarten die Familie auch anderswo, erscheinen teilweise nur als Hintergrund wie die prekäre Arbeit in der Geflügelschlachtung.

Das Drama entfaltet seine Wirkung nach und nach, nicht in plötzlichen Einschnitten. Wenn etwa ein Händler, der die Ernte kaufen wollte, den Deal platzen lässt, dann stürzen Haus und Hof nicht von einer Sekunde auf die andere zusammen. Jacob muss weiter Küken sortieren, Davids Gesundheit bessert sich, Farmarbeiter Paul führt einen Exorzismus durch. Katastrophales und Heiteres, Lächerliches und Rührendes dümpeln nebeneinander. So schwelen Enervierung und Zukunftsängste oft nur vage angesprochen vor sich hin und dürfen sich erst zum Ende hin entfachen.
Ein Hauch Bedeutungslosigkeit

Die große Stärke von Minari liegt in der ebenmäßigen Aufmerksamkeit, die er seinen Figuren schenkt. Jacob, Monica, David und Soon-ja (Anne jedoch bleibt außen vor) erscheinen uns in ähnlichen Kompositionen. Von Perspektivwechseln lässt sich kaum sprechen, eher wirken die Figuren wie einzelne Aspekte eines Ganzen. Dabei erleben wir sie in der ganzen Vielfalt ihrer Rollen: Monica ist Mutter, Tochter, Ehefrau, Kollegin, Gemeindemitglied, Koreanerin, Amerikanerin … Das alles ist sie nicht im Sinne einer fadenscheinigen Work-Life-Balance, sondern widersprüchlich und unkommentiert.

Lee Isaac Chungs Minari ist ein zahmer, auktorialer und konkreter Film, der – mit Hildegard Knef gesprochen – sagt: „So oder so ist das Leben“. Sich dazu zu verhalten ist furchtbar einfach und schier unmöglich. Denn der Film schildert die komplexen Ambivalenzen eines Zusammenlebens mit einer kitschfreien Klarheit und Schlichtheit, die wie echtes Leben wirken möchte. Augen für seinen historischen Moment oder Familie Yi als Typus hat er dabei kaum, dafür umso mehr für den amerikanischen Traum und schicksalsergebene Familienmenschlichkeit. Darin liegt eine stimmungsvolle Poesie und auch ein Hauch Bedeutungslosigkeit.
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