Millionen – Kritik
Was passiert, wenn ein eigentlich zufriedener Mensch im Lotto gewinnt? Fabian Möhrke versetzt seinen Protagonisten in Schockstarre.

Filme über die eigentlich unwahrscheinliche Erfüllung großer Träume gibt es viele. Normalerweise wird dort entweder sehr hart für die Belohnung gearbeitet oder noch härter gewünscht und gebetet. Am Ende sind die ursprünglichen Probleme dann gelöst, mögen sie nun finanzieller, romantischer oder existenzieller Natur gewesen sein. Was aber, wenn der Schicksalssegen kommt, ohne dass vorher ein einziger Gedanke, geschweige denn ein Wunsch an ihn verschwendet wurde? Von diesem Szenario erzählt Fabian Möhrke in seinem Debütfilm Millionen.
Torsten (Andreas Döhler) ist Ende dreißig und mit seinem Leben zufrieden. Mit Frau und Sohn lebt er in einer schicken Wohnung, abends wird Fußball gespielt, sich mit Freunden getroffen, oder zu Hause gemütlich vor der Glotze angeschwiegen. In seinem stressfreien Bürojob gibt es zwar keine Herausforderung, dafür aber Anerkennung, und das nicht nur bei kleinen Zaubertricks in der kahlen Kantine. Bei der bedrückenden Büroeinrichtung und der zwischendurch wackeligen Handkamera, die den Protagonisten begleitet, drängen sich immer wieder Stromberg-Vergleiche auf, nur dass es in Millionen nicht viel zu lachen gibt. Erzählt werden soll ganz offensichtlich der deutsche Durchschnitts-Büroalltag, in dem es sich angenehm aushalten, wenn auch nicht leben lässt. Weil seine Kollegen es auch machen, füllt Torsten regelmäßig Lottoscheine aus – und knackt eines Tages den 22-Millionen-Euro-Jackpot.
Aufstieg ist out

Das Szenario und Möhrkes realistische Herangehensweise sind interessant und relevant. In einer Wohlstandsgesellschaft, die nach der Wirtschaftskrise Luxus gegenüber generell eher misstrauisch geworden ist, fällt die Zeitspanne der Euphorie bei plötzlichem Reichtum sehr kurz aus, zumal man auch vorher keine echten Zukunftsängste hatte und die größte finanzielle „Sorge“ in der Frage bestand, ob man sich mit den Freunden zusammen nun ein gemeinsames Ferienhaus kaufen soll oder nicht. Rasanter Aufstieg ist out, Verantwortungsbewusstsein in, aber Torsten ist weder an dem einen noch an dem anderen interessiert. Er steht vor seinem Geldberg wie die Maus vor der Schlange, starr vor Angst, dass sich irgendetwas verändern könnte – und deswegen tut es das auch erst mal nicht. Die Welt bleibt grau, draußen mit Dauernebel und drinnen mit selbst gewählter Einrichtung, in der nur die vereinzelten Topfpflanzen deplatziert wirken. Mit seinem dunkelgrauen Dreitagebart, fahlem Teint und schließlich auch dem neuen grauen Porsche fügt sich Torsten perfekt in dieses Bild ein. Einziger Farbklecks ist sein Sohn Lutz, dessen zur Tolle aufgetürmter roter Haarschopf wie ein Leuchtturm in der Einöde des Alltags steht.
Beschäftigungstherapie statt Sinnsuche

In Millionen steigert sich nicht viel, doch die ewige Wiederholung treibt mit der Zeit in den Wahnsinn und verändert die Wahrnehmung des Gezeigten. Die Handkamera wird vom Beobachter zum Jäger, Torsten will vor ihr davonlaufen, aber am liebsten, ohne sich zu bewegen. Seine Zufriedenheit wird zur Kleingeistigkeit, Großzügigkeit zu Bestechung. Sogar seine Frau, die es für eine erfüllende Idee hält, einen Laden für Kindermöbel in Kreuzberg zu eröffnen – mit weißen Wänden versteht sich, kein niedlicher Deko-Quatsch – kann ihn irgendwann nicht mehr ertragen. Bald versucht Torsten, das Geld, das seine Mitmenschen auf Distanz treibt, zu benutzen, um sie an sich zu binden – das Ergebnis ist nicht überraschend. Sein Umfeld voller Erwartungen und Enttäuschungen ist es, das Torsten letztlich in die Verzweiflung stürzt.
Ohnmächtige Helden, geduldige Zuschauer

Möhrke erzählt von Überforderung, der Angst vor Verantwortung und der eigenen Unzulänglichkeit, etwas Sinnvolles zu schaffen, wenn einem die Möglichkeit dazu gegeben wird und keine Ausreden mehr zählen. Doch die faszinierende, fast soziologisch daherkommende Fragestellung des Films wird von den eindimensional gezeichneten Figuren im Zentrum zu schnell ihrer Bedeutung beraubt. Beim Zuschauer wandelt sich die kurzfristige Empathie mit dem Protagonisten über Mitleid bald zu Ablehnung, und selbst diese kann nicht leidenschaftlich werden, weil bis zum Ende jegliches Interesse an Torstens Schicksal verloren ist. Die Ohnmacht aller Beteiligten legt sich wie ein Schleier über Millionen und stellt in Abwesenheit jeglichen Gegenpols den Zuschauer auf eine harte Geduldsprobe. Nach dem ersten Drittel kehrt Langeweile ein, es gibt keine Überraschungen oder Denkanstöße mehr. Emotionen muss man mit der Lupe suchen, Gespräche und Momente von behaupteter Nähe finden hinter Scheiben statt. Man kann diese Passivität und Ziellosigkeit natürlich als gesellschaftliche Probleme erkennen und beschreiben, aber das in neunzig Minuten alternativ- und spannungslos auszubreiten kommt eher einer Bevormundung gleich oder, im besten Falle, einer Schocktherapie.
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